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Tobias Hächler, María Fernanda Castillo. Foto: Olaf Malzahn
Tobias Hächler, María Fernanda Castillo. Foto: Olaf Malzahn
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Wenn Nixen lieben – Antonín Dvořáks „Rusalka“ an Lübecks Theater

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„Rusalka“, Antonín Dvořáks geheimnisvolle Wasserfee, verfehlte ihre magische Wirkung nicht. Bezaubernd und beseelt agierte sie, entzückte den Prinzen, der ihr zu einer Menschenseele verhelfen sollte, und begeisterte das Publikum. Otto Katzameier hatte das Werk durch seine stringente Regie faszinierend, obendrein bedeutsam interpretiert. Zugleich wurde die Aufführung für Stefan Vladar, dem neuen Lübecker GMD, eine glanzvolle Bühnenpremiere. Arndt Voß berichtet.

Otto Katzameier war dem Publikum als Bassbariton bekannt. Er hatte vor eineinhalb Jahren in Salvatore Sciarrinos Oper „Luci mie traditrici“ den Part des Madrigal-Komponisten Gesualdo da Venosa übernommen, der einst Frau und Nebenbuhler umbrachte. Jetzt war seine Aufgabe als Regisseur weiter gespannt. Er schuf das Gesamtkonzept für Rusalkas Bühnenleben, auch das für Kostüme und Bauten, wobei etwas von der sehr eigenen Schöpfung des Italieners und ihrer Bühnenpräsentation nachgewirkt haben mochte. Der Blick zurück war durchaus möglich, da die Sujets beider Opern sich im Kern ähneln: bei beiden geht es um eine todbringende Liebe. Bei dem zeitgenössischen Opus ist es ein als „Ehrenmord“ mystifizierter Doppelmord. In der magisch motivierten, dunklen Geschichte der Rusalka sterben die zwei Liebenden aus inneren Zwängen. „Meine Liebe erfriert alle Gefühle“, ist Rusalkas späte Erkenntnis. Sie weiß, dass ihr Kuss, den der Prinz fordert, ihn tötet und sie in ein Irrlicht verwandelt.

Die Toten schaffen nur periphere Parallelen im Handlungsgeflecht, sie werden aber durch das analoge Konzept vor allem im Bühnenbau hervorgehoben. Mit ihm gelang Katzameier, das abgründige Liebesspiel aus den seelischen Konstellationen heraus zu interpretieren. Das ist mehr als eine psychologische Deutung. Konsequent blickt er in die emotionale oder gefühlsmäßige Innenwelt der Figuren und eliminiert alles, was an Realem das Märchenhafte bunt macht und in anderen Inszenierungen die Szene überbordet. Rusalka muss hier keinen Fischleib tragen, sich durch Fluss- und Waldlandschaften mühen, keiner Hofetikette gehorchen. Alles vollzieht sich – vorzugsweise beim Bühnenbild – in abstrahierten Räumen, denen auch die Kostüme mit dezenten Farbverweisen gehorchen.

Räume

Zuerst versammelt er den Personenkreis der Wasserwelt, eher diskret durch Wellenprojektion angedeutet, in einer Art Seelenaquarium. Es ist ein hoch positionierter Guckkasten, der nach hinten ansteigt. Er gewährt eine begrenzte Innenschau, einer Traumsphäre gleich, irreal wie sie auch durch zwei schief eingefügte Türen mit menschlichen Armen als Türangeln. Sie öffnen sich geisterhaft, lassen die Personen in wie gegen Wasserdruck retardierten Bewegungen auf- und abtreten. Später weitet sich die Szene. Nur eine schräg in den offenen Bühnenraum hineinführende Rampe wird Spielfläche, zeitweise durch Seitenvorhänge begrenzt. Durch Bodenöffnungen steigt das Emotionale, bizarr in seiner körperlichen Erscheinung, aus dem Untergrund auf. Das sind Symbolorte, die dennoch durch die eindrucksvolle Lichtregie (Falk Hampel) und die gewaltige Wellenprojektion zwischen dem zweiten und dritten Akt den Zuschauer unmittelbar mitreißen, zu deuten als Metaphern der Menschwerdung – auch das ein Naturphänomen.  

Rusalka wird dadurch zu dem mädchenhaft naiven Wesen, das sich erstmals verliebt und ihrem Sehnsuchtsobjekt bedingungslos in eine unwirtliche Welt folgt. Es ist wie eine pubertäre Entwicklung angelegt, die mit Träumen spielt. Er, der Prinz, sehnt sich nach Liebe, auch der körperlichen, nach einer ihn, im Wortsinn: ansprechenden Frau. Ihr Schicksal aber ist die Stummheit, mit der sie sich ihr Menschsein zu erkaufen sucht. Da wird die Ježibaba, die Hexe, die ihr doppelzüngig den Weg weist, zu einer aufklärenden, zugleich zerstörenden Kupplerin. Ihre vermeintliche Hilfe verdammt die nach Liebe Suchende zur Sprachlosigkeit, womit Rusalka die Fähigkeit zu kommunizieren einbüßt. Das macht eine vertrauensvolle Zweisamkeit von vornherein unmöglich.

Böse Zwillinge

So ansehnlich wie bizarr sind die Einfälle, die aus der slawischen Mythologie stammende Hexe zu versinnbildlichen. Durch Modest Mussorgsky ist weithin bekannt, dass sie in einer „Hütte auf Hühnerfüßen“ wohnt. Die Inszenierung nutzt das und lässt bei ihrem Auftritt zunächst Beine sich aus dem Untergrund nach oben recken. Mit hochhackigen Pumps sehen sie aus wie Hühnerfüße. Die Baba stelzt dann an Krücken mit rot überzeichnetem Mund und in einem Korsett mit Strapsen über die Bühne. Später trägt sie ein eng sitzendes Glitzerkleid mit nicht enden wollendem Schlitz, insgesamt ein ironischer Griff in die tiefenpsychologische Mottenkiste, in der die Versatzstücke für Erotik aufbewahrt werden. Das ist delikat erdacht, ebenso wie die Art, wie die Fremde Fürstin auftritt, die andere Kandidatin um die Gunst des Prinzen: in Aussehen, Figur und Kostüm ist sie der Hexe zwillingshaft gleich. Folgerichtig ist auch das, da die schrillen Frauengestalten Rusalkas Menschwerdung in sehr ähnlicher Weise verhindern. Hinzugefügt sei gleich, dass Lübecks Theater mit der Besetzung der Rollen einen Glücksgriff getan hatte. Romina Boscolo als Ježibaba und Marlene Lichtenberg als Fremde Fürstin sind sich in Größe und Figur bereits zum Verwechseln ähnlich und ergänzen sich in Spielintensität und im Stimmcharakter ideal, die Fürstin mit ihrem klangvollen, variantenreichen Mezzo, die Ježibaba mit ihrem farbigen Alt bei einem erstaunlichen Ambitus.

Rollen

In gleicher Qualität wurden für die anderen Rollen passende Sänger gefunden. Lübeck besitzt seit kurzem mit María Fernanda Castillo einen jungen Sopran, dessen Stimmkraft überlegen alles meistert. Auch wenn man sich zunächst das Mondlied dezenter gewünscht hätte, legte sich die verständliche Anspannung und sie fand gesanglich wie szenisch zu einer sehr präsenten Bühnenleistung, erfreute mit feinen dynamischen Schattierungen. Ihr Prinz war Tobias Hächler, ein Tenor mit heller, klarer Stimme. In dieser Inszenierung verliert er seine Passivität und gewinnt damit ein positives Rollenprofil, das den Wunsch glaubhaft werden lässt: „Küss‘ mich, gönne mir Frieden.“ Rúni Brattaberg war allen Tiefen und Untiefen als Wassermann gewachsen. Seine Stimme ist grandios, vielfach getönt. Er war ein sehr menschlicher Nixenvater, dem man leider zumutete, in Unterwäsche zu agieren. Das Gegenpaar zu den Liebenden sind der Heger und der Küchenjunge. Steffen Kubach als der geile Schwerenöter erfreute wieder einmal mit seiner Spiellust und fand in Milena Juhl eine ebenso lebendige Partnerin. Sie bildete zudem mit Claire Austin und Angela Shin ein wunderbares Terzett, das als seine Töchter sogar den alten Vater Rhein erfreut hätte.

Katzameiers Inszenierung war der Naturtreue in Dvořáks satter, teils volkstümlicher Musik keinesfalls im Wege. Im Gegenteil waren die Bühnenaktionen immer sorgsam auf sie bezogen, mochten sie divergent oder konform sein, selbst bei Jagdsignalen oder Ländlern, die eine enge Konnotation besitzen. Das erleichterte Stefan Vladar die Arbeit, Graben und Bühne zu verbinden und mit seinen Orchestermusikern schlüssig und fesselnd die Musik zu interpretieren. Der Chor, einstudiert von Jan-Michael Krüger, half dabei, ohne selbst auftreten zu müssen. 

Das Premierenpublikum dankte mit langem Beifall für einen hervorstechenden Opernabend.

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