Berlin. Operndebüt eines Filmregisseurs: Staatsoper zeigt Camille Saint-Saens’ „Samson et Dalila“ in der missglückten Inszenierung.

Der erste Blick, den die Bühne der Staatsoper freigibt, wird auf ein totes Kind am Boden gelenkt. Ein großer Hund schnüffelt daran. Es ist bemerkenswert, wie bei der Neuinszenierung von Camille Saint-Saens’ „Samson et Dalila“ gleich in den ersten Minuten gegen drei ungeschriebene Gesetze der Opernregie verstoßen wird.

Denn es gilt als abgeschmackt, mit Kindern Mitgefühl wecken zu wollen. Mit lebenden Tieren soll man vorsichtig sein, nicht nur wegen des Tierschutzes. Der Hund jedenfalls hält sich nicht an Damian Szifrons Regieanweisungen und einen Moment lang ist zu befürchten, dass er von der Bühne in den Orchestergraben zum Dirigenten Daniel Barenboim springen will. Schließlich kommt der Held Samson und zieht mühelos einen riesigen toten Stier hinter sich her. Es ist unfreiwillige Komik in einer biblischen Tragödie.

Seine übermenschliche Kraft liegt im langen Haar verborgen

Am Ende der Premiere gibt es Jubel- und Buhstürme. Aber das Publikum ist nicht gespalten, die Ablehnung schlägt Damian Szifron entgegen, der Jubel den Künstlern. Wieder einmal bestätigt sich, dass erfolgreiche Filmemacher selbst kluge Ideen selten auf der Opernbühne umgesetzt bekommen. Barenboim und Staatsopern-Intendant Matthias Schulz hatten Szifrons Filmkomödie „Wild Tales“, die für den Oscar nominiert war, gesehen und ihn zum Gespräch eingeladen. Szifron stammt, beiläufig erwähnt, aus Barenboims Geburtsstadt Buenos Aires. Es ist das Operndebüt des 44-Jährigen.

Ein Hund steht bei einem toten Kind zu Beginn von „Samson et Dalila“.
Ein Hund steht bei einem toten Kind zu Beginn von „Samson et Dalila“. © dpa | Jörg Carstensen

Berlin hat jetzt seine Sandalenoper oder besser seinen Sandalenfilm ohne Leinwand. Ben-Hur lässt grüßen. Die alttestamentarische Geschichte ist schnell erzählt: Der unbesiegbare Samson führt die Hebräer im Befreiungskampf gegen die Philister. Die schöne Dalila verrät Samson. Das Geheimnis seiner übermenschlichen Kraft liegt im langen Haar verborgen, sie schneidet es ab. Er wird gefangen genommen und geblendet. Am Ende gibt ihm Gott noch einmal seine Kräfte zurück und er zerstört den Tempel der Philister.

Es gibt drei Standards, Bibelopern zeitlich zu verorten. „Samson“ in die Gegenwart zu verlegen ist für die Staatsoper im politischen Berlin ein vermintes Gelände, weil die Handlung in Gaza spielt. Die Provokation bleibt aus. Gängiger ist es auch, den Konflikt irgendwie in die Entstehungszeit der Oper zu verlegen, 1870/71 tobte gerade der Deutsch-Französische Krieg. An der Deutschen Oper hat das vor acht Jahren der Brite Patrick Kinmonth mit einem historischen Salonwagen als Liebesnest und Anspielungen auf den Antisemitismus des 19. Jahrhunderts getan, am Ende sind Deportationszüge zu erahnen.

Es wabert der Nebel und setzt Gottesblitze beim Kuss

Damian Szifron belässt es im biblischen Ambiente um 1150 vor der Zeitrechnung. Bühnenbildner Etienne Pluss hat ihm einen kargen Wüstenort hingebaut, zwischendurch wird mit staunenerregendem Aufwand die Bühne hochgefahren, um Dalilas Höhlenwohnung freizugeben. Dort wabert der Nebel und es setzt Gottesblitze, wenn die Beiden sich küssen. Es passt zum ganzen Pappmaché.

Der dritte Akt findet im Tempel des Philister-Gottes Dagon statt. Nach zwei Akten voller Sentimentalität kommt Szifron doch noch zur Sache. Das ausgelassene Bacchanal mit barbusigen Priesterinnen, die möglichst lasziv in einer großen Opferschale herumstapfen sollen, führt in die Initiation von zittrigen Jünglingen. Die müssen nacheinander knieenden Gefangenen die Kehlen durchschneiden, es sind Schreckensbilder, wie sie IS-Terroristen in der Welt verbreitet haben. Szifron will die Bilder in die archaischen Ursprünge zurückdatieren.

Für eine Verführerin ist Elina Garanca zu kühl

Dass seine Dalila am Ende den Oberpriester des Dagon, der sie zum Verrat an Samson überredet hat, ersticht, ist schon überraschend. Szifron glaubt, dass doch Liebe im Spiel war. Bereits im ersten Akt gibt es dafür eine gelungene Traumszene. Elina Garanca liefert ihren makellos geführten Mezzosopran, der in der Höhe das Lyrische transportiert, aber in den Tiefen nicht dunkel genug ist, um das Abgründige einer Verräterin zu offenbaren. Für eine Verführerin ist sie insgesamt zu kühl. Michael Volle ist der Oberpriester, der Spielmacher par excellence. Sein Bariton verströmt die ganze dämonische Doppelbödigkeit eines Machtmenschen. Brandon Jovanovich hat einen kraftvollen, leicht metallischen Tenor, ein durchdringender Held ist sein Samson allerdings nicht.

Der Chor der Staatsoper ist in dieser Oper, die eher an die Oratorien-Tradition anknüpft, beeindruckend in der stilistischen Präzision. Die Staatskapelle unter Barenboim lässt den Sängern viel Spielraum und kostet darüber hinaus das Klangfarbenspiel bis in die orientalischen Akzente hinein aus. Die Kapelle bleibt das sicherste Pfund, mit dem die Neuproduktion wuchern kann.