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Stadttheater Bielefeld

Furiose Premiere: "Aida" erzählt vom trügerischen Triumph fanatischer Priester

Nadja Loschky inszeniert am Bielefelder Stadttheater Verdis „Aida“ als Fanal gegen den Krieg. Eine bemerkenswerte, nachdenkliche und empfehlenswerte Aufführung.

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Elizabeth Llewellyn gibt eine Aida von enormer dramatischer Dringlichkeit. | © Bettina Stoess

Elizabeth Llewellyn gibt eine Aida von enormer dramatischer Dringlichkeit. | © Bettina Stoess

02.12.2019 | 02.12.2019, 19:51

Bielefeld. Haben Verdi und Brecht Gemeinsamkeiten? Mindestens eine. Beide waren hellsichtige politische Denker. "Wir werden dem europäischen Krieg nicht entgehen", schrieb Verdi anlässlich der Gründung des zweiten deutschen Reiches in Versailles, "und er wird uns verschlingen." Er arbeitete gerade an seiner "Aida", die am 24. Dezember 1871 in Kairo ihre Uraufführung erlebte.

Regisseurin Nadja Loschky hat genau hingehört, etwa auf die chorische Hymne "Gloria all'Egitto, ad Iside", die vom Orchester mit wuchtig synkopischen fortissimo-Akkorden ruppig attackiert wird. Die herzzerreißenden Loyalitätskonflikte der äthiopischen Sklavin Aida zwischen ihrer Heimat und dem ägyptischen Generalissimus Radames.

Fundamentalismus und Größenwahn führen in den Abgrund

Der zerstörerische innere Konflikt des letzteren, dessen Liebe zu Aida notwendigerweise auf Verrat an Ägypten und seinen Göttern hinausläuft. Der emotionale Parforce-Ritt der Pharaonentochter Amneris, die sich in ihren eigenen Intrigen verstrickt und in ihrer großen pharaonischen Machtfülle zur Ohnmacht verdammt ist - all diese tragischen Verwicklungen erweisen sich als Spiegelung einer Wirklichkeit, in der Fanatismus und Rachsucht, Größenwahn und religiöser Fundamentalismus in einen Abgrund führen, der nur Verlierer kennt.

Und so wird der überaus populäre Triumphmarsch zum Menetekel unserer Gegenwart. Triumph für die Ohren, Trauer für die Augen. Das Publikum sieht sich konfrontiert mit einem Video des überlebensgroßen, tränenüberströmten Gesichts der Aida. Jeder ruhmbesoffener Sieger hat tausendfache Demütigung im Schlepptau. Hier ist Loschky eine atemberaubende Zumutung gelungen, nicht etwa der Oper aufgestülpt, sondern durch Verdis Musik legitimiert.

Elizabeth Llewellyn gibt eine Aida von enormer dramatischer Dringlichkeit

Elizabeth Llewellyn, Tochter jamaikanischer Eltern, gab eine Aida von enormer dramatischer Dringlichkeit. Fast hat man das Gefühl, eine dem Elend und der Erniedrigung verfallenen Protagonistin aus "Onkel Tom's Hütte" zu begegnen. Die hochdramatische britische Sopranistin überstrahlt mühelos den geballten Klangapparat von Chor und Orchester, verfügt über ergreifende Vokabeln der Klage - eine Idealbesetzung der Bielefelder Inszenierung.

Großartige das Bielefelder Ensemblemitglied Katja Starke als Amneris. Der Facettenreichtum ihrer glänzend geführten Stimme befähigt sie zur riskanten Gratwanderung zwischen Hass und Reue. Arthur Shen als Radames, ehemaliger Startupunternehmer, lässt sich hören als Tenor, der klug die allzu heftige heldische Geste vermeidet und einen verratenen Sieger präsentiert.

Alexander Kalajdzic dirigiert Verdi-Opern so, als hätte er sie selber komponiert

Moon Soo Park leiht dem ideologisch wetterfesten Oberpriester Ramphis sein sonores Stimmorgan und gibt einen Großinquisitor, dessen Gegenwart frösteln lässt. Hagen Enkes bestens trainierter Opern- und Extrachor treibt die Konflikte des Dramas mit beispielloser Rasanz auf die Spitze.

Alexander Kalajdzic dirigiert Verdi-Opern so, als hätte er sie selber komponiert. Intime Partiturkenntnis, ein verblüffendes Feeling für die Dramaturgie des Stoffes, eine angemessene Mischung aus Lässigkeit (ohne die italienische Oper gar nicht geht) und strenger Disziplin (ohne die Dramatik nicht zu schaffen ist) mobilisierten die Bielefelder Philharmoniker zu musikalischen Großtaten.

Regie und musikalische Leitung sind eine erkenntnisstiftende Allianz eingegangen

Fazit: Eine bemerkenswerte nachdenkliche empfehlenswerte Inszenierung, bei der Regie und musikalische Leitung eine erkenntnisstiftende Allianz eingegangen sind.

Weitere Termine: 12., 22. und 27. Dezember, 17. Januar, 4. Februar, 8. und 31. März und 10. April Karten unter Tel. (05 21) 555-444.