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Nadja Loschkys „Aida“ überzeugt in Bielefeld und bricht mit herkömmlichen Sehgewohnheiten

Liebe in Zeiten des Krieges

Bielefeld (WB). Wer hat beim Stichwort „Aida“ nicht sofort ein klischeebeladenes Bild vor Augen?! Irgendwas mit Ägypten, Sklaven, Tempeln oder so ähnlich. Nadja Loschkys Neuinszenierung der Verdi-Oper am Stadttheater Bielefeld unterläuft diese Sehgewohnheiten komplett. Und liefert nichtsdestotrotz oder gerade deswegen eine ergreifende Sicht auf das Schicksal der Prinzessin Aida, die inkognito als Sklavin am Hofe des Feindes lebt.

Uta Jostwerner

Gegenspielerinen in einer Inszenierung der Verdi-Oper, die mit vielen Klischees bricht: Amneris (Katja Starke, links) und Aida (Elisabeth Llewellyn).
Gegenspielerinen in einer Inszenierung der Verdi-Oper, die mit vielen Klischees bricht: Amneris (Katja Starke, links) und Aida (Elisabeth Llewellyn). Foto: Bettina Stöß, Theater Bielefeld

„Maikäfer flieg! Der Vater ist im Krieg . . .“ – noch ehe die Ouvertüre im zarten Pianissimo der Streicher anhebt, gibt ein bekanntes deutsches Volkslied die Marschrichtung vor: Es herrscht Krieg, und dieser Umstand verdunkelt jegliches Leben. Das von Aida in besonderem Maße. Sie ist zerrissen zwischen der Liebe zu Radames, dem Feind, und der Loyalität zu ihrem Vater. Sie vergeht in der Angst um ihre Liebsten und fürchtet sich vor der Entdeckung ihrer wahren Gefühle. Sie ist gefangen in einem Korsett aus Leidenschaft und Pflichterfüllung. Das Kunststück, das Loschky und ihr Team vollbringen, liegt darin, die innere Konfliktlage, aber auch Willkür und Gewalt in ausdrucksvollen Bildern sichtbar zu machen.

Bühnenbildner setzt wenige, jedoch aussagekräftige Akzente

Da ist eine Aida, die von Visionen und dunklen Vorahnungen heimgesucht wird. Eine Schauspielerin (Diana Marie Müller) übernimmt die Aufgabe, das Seelenleben der Sklavin darzustellen. Die Vision der Hochzeit mit Radames wird zum Albtraum. Aida wird vom Klerus gezwungen, kleine Krieger zu gebären, die ihrem Vater Amonasro an die Gurgel gehen.

Erdrückend wirkt die All- und Übermacht des klerikalen Standes und des Königs. Massig von Gestalt (Steffen Seithel), umspielt ein dreiköpfiges Team den stummen Darsteller wie eine Hydra. Darunter Yoshiaki Kimura, der in volltönigen Tieflagen die Gesangsrolle ausfüllt.

Die Fokussierung auf die Gefühlslage der Hauptdarstellerin gipfelt in einer das gesamte Bühnenportal umfassenden Projektion: Der Triumphmarsch der siegreichen Ägypter spiegelt sich somit einzig in den Gesichtszügen Aidas wider. Und zwar so eindringlich, dass man den an dieser Stelle erwarteten Aufmarsch der triumphierenden Massen gar nicht vermisst.

Der Feldzug hat verbrannte Erde hinterlassen, selbst der Siegeskranz ist aschgrau.

Bühnenbildner Ulrich Leitner setzt wenige, jedoch aussagekräftige Akzente und entwirft in Schwarz-Weiß-Tönen einen Raum, der von Kälte und Tristesse gekennzeichnet ist.

Sopranistin mit immenser Durchschlagskraft

Derweil dienen die von Irina Spreckelmeyer entworfenen Kostüme der Charakterisierung von Status und Prestige. Eindrücklich wirkt das aus Fesseln bestehende Schnürkorsett der Aida. Mächtig, fast wie ein Panzer, erscheint das ausladende Gewand der Amneris. Katja Starke verkörpert den Gegenpart Aidas mit ausdrucksstarkem Spiel und Gesang. Sie lässt ihren kraftvollen wie einfühlsamen Mezzosopran in vielen Schattierungen erblühen und besteht gleichberechtigt neben der großartigen Elisabeth Llewellyn, die frisch von ihrem New Yorker Debüt an der Met an den Teuto geeilt ist, um als eine Aida zu reüssieren, die ihr Innerstes nach außen trägt. Die Sopranistin besitzt eine immense Durchschlagskraft und Größe, beherrscht aber auch die zarten, herzerweichenden Töne. Beide Damen wurden am Ende reichlich mit Bravorufen bedacht.

Neben den beiden stark besetzten Frauenrollen behaupten sich Evgueniy Alexiev als Amonasro, Arthur Shen als Radames und Moon Soo Park als Ramphis. Opernchor und Extrachor bilden in bewährter Weise gesanglich und darstellerisch ein Abbild der Gesellschaft.

Als weiterer Hauptakteur dieser in weiten Teilen kammermusikalischen Oper sind die Bielefelder Philharmoniker auszumachen, die unter der dynamisch und agogisch differenzierten Leitung von Alexander Kalajdzic sowohl die Intimität der Partitur als auch ihre massige Klangwucht bedienen. Man berauscht sich am reichen Orchesterkolorit, inklusive der Aida-Trompeten, aber ebenso an den ausdrucksvollen Soli, angefangen beim Kontrabass über die Harfe bis hin zu den beredten Trompeten und Holzbläsern. Nicht verpassen!

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