Homers Odyssee, das Epos um die Irrfahrten des griechischen Helden Odysseus, gehört zu den bedeutendsten und meistbearbeiteten Werken der abendländischen Literatur. Es inspirierte zahllose Romane, Theaterstücke, Filme und Opern. Während sich ein Großteil der Bearbeitungen des Titelhelden annehmen, befassen sich nur wenige mit Odysseus Frau Pénélope, die wartend und trauernd auf Ithaka zurückbleibt. Eines dieser wenigen, die weibliche Sicht wiedergebenden Stücke, ist Gabriel Faurés Oper Pénélope, dessen Titelfigur das Musterbeispiel der treuen Frau darstellt.

Dieses 1913 uraufgeführte Poème lyrique behandelt die letzten Gesänge der Odyssee, wie Pénélope, auch nach 20 Jahren noch unbeirrt auf die Rückkehr ihres Mannes wartend, von den nun immer aufdringlicher werdenden Freiern belästigt wird. In patriarchalen Strukturen gefangen ist die Königin nichts ohne einen König und so muss sie versprechen, einen von ihnen zu ehelichen. Doch nicht bevor sie das Leichentuch Odysseus’ Vater fertiggewebt hat. Diese List nutzt sie, um sich weitere Zeit zu verschaffen. Sie selbst trägt das Leichenhemd und lässt damit auf eine gewisse Todessehnsucht vermuten. Erst als die Freier bemerken, dass sie das Leichenhemd immer wieder auftrennt, um eine erneute Heirat zu verzögern, muss sie sich entscheiden.

Obwohl die Oper durchaus erfolgreich uraufgeführt und damals vom Publikum hoch geschätzt wurde, fand sie keinen festen Platz im Repertoire. In Deutschland wurde sie 2002 erstmals aufgeführt. In der ersten Inszenierung an der Oper Frankfurt verlegt Regisseurin Corinna Tetzel das Geschehen in das Hier und Jetzt. Auf der Dachterrasse eines modernen Gebäudes läuft Pénélope wie ein Tiger im goldenen Käfig hin und her. Ein paar wahllos platzierte Stühle, eine verrostete Satellitenschüssel (schon lang wurde nichts mehr von der Rückkehr Odysseus gemeldet) ergänzen das triste Bild.

Mit komplexer Figurenzeichnung wird das Bild einer Frau zwischen Selbstbestimmung und Selbstaufgabe im Dienste ihrer Trauer geschaffen. Das Warten und die Idealisierung Odysseus werden ihrer eigenen Emanzipation vorangestellt und hindern sie daran, ein neues Leben zu beginnen.

Odysseus kehrt schließlich nach 20 Jahren als Bettler verkleidet zurück, um sich zunächst inkognito einen Eindruck über die Lage und insbesondere die Treue seiner Frau zu verschaffen. Pénélope muss sich entscheiden und wird letztlich denjenigen heiraten, der Odysseus Bogen spannen kann. Die Freier scheitern allesamt kläglich, nur dem Bettler gelingt es und er gibt sich schließlich als Odysseus zu erkennen und rächt sich sogleich an den Freiern.

Tetzel inszeniert eindrucksvoll, was passiert, nachdem die Euphorie und der Jubel über Odysseus Rückkehr verflogen sind. Was passiert mit dem Liebespaar? Macht man da weiter, wo man sich vor 20 Jahren trennen musste? Oder gilt es vielmehr, diesen Menschen erneut kennen und lieben zu lernen? Tetzel lässt diese Fragen offen, endet aber mit einer melancholischen Note.

Musikalisch bewegt sich Fauré irgendwo zwischen Wagner und Debussy. Auch Strauss und Ravel lassen sich aus der Musik heraushören. Der Komponist verwendet ebenfalls eine Leitmotivik, die jedoch subtiler als bei Wagner in die Komposition eingewoben ist. Die Partitur zeugt von großer Transparenz und kommt trotz großem Orchester oft kammermusikalisch daher und die Stimmen geraten nicht in Gefahr, vom Orchester überdeckt zu werden. Stattdessen trägt die Musik die Sänger.

Die Dirigentin Joana Mallwitz interpretierte Faurés Oper auf eindrucksvolle Weise – oft mit melodramatischer und spätromantischer Färbung. Virtuos erweckte sie in einer rauschvollen Interpretation mit schillernden Klangfarben die Musik und deren komplexe Orchestration zum Leben.

Wie bereits in vielen anderen Frankfurter Produktionen verlieh die irische Mezzosopranistin Paula Murrihy auch dieser Titelrolle mit ihrer Darstellung die Tiefe, die Faurés Oper verlangt. Vielschichtig und eindringlich machte sie auf Pénélope einen Charakter, dessen Träume und Ängste voll und ganz erfahrbar und nachvollziehbar waren. Statt distanzierter Kühle erfüllte sie die Figur mit Leben, nicht zuletzt auch dank ihres strahlenden warmen Timbre, mit eleganter und von Intelligenz zeugender Deklamation. So wurde sie Faurés Werk, das nicht Odysseus, sondern seine Frau in den Mittelpunkt der Handlung rückt, mehr als gerecht.

Eric Laporte, der mit leuchtender Stimme und heldentenoraler Färbung auch in den Höhen sicher sang, trat als gezeichneter und abgeklärter Held auf. Auch die kleinen Rollen – wie beispielsweise die der Mägde und Freier – waren wie gewohnt stimmlich hervorragend besetzt. Besonders stach Joanna Motulewicz als Euryclée, Odysseus' alte Amme, mit sonorer, dunkel gefärbter Mezzostimme hervor.

Ganz nach Ovid „Hoffen und Harren macht manchen zum Narren”, wird in Pénélope deutlich, welche Verzweiflung aus der Trennung von einem Geliebten erwachsen kann. Die Oper wirft große Fragen des Lebens auf – Fragen nach Liebe und Treue, nach Sehnsucht und nach Verzweiflung. Besonders die differenzierte und emanzipierte Sicht, welche die Empfindungen der zurückgelassenen Frau ergründet, animiert zu eingehender Reflexion.

Und so bleibt zu hoffen, dass Faurés einzige Oper eine Wiederentdeckung erfährt und nicht komplett verloren geht. Corinna Tetzels Produktion hat gezeigt, dass die Themen dieser Oper auch im 21. Jahrhundert noch Relevanz besitzen.

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