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Kate Lindsey als Orlando. Foto: © Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn
Kate Lindsey als Orlando. Foto: © Wiener Staatsoper GmbH / Michael Pöhn
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Vom Grundrauschen der Welt – Uraufführung von Olga Neuwirths „Orlando“ an der Staatsoper in Wien

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Ein Hort für Opernneuheiten ist die Wiener Staatsoper heutzutage nicht mehr. Aber hin und wieder vergibt auch dieses Haus noch Aufträge an Komponisten. Genau ein Jahr nach der Uraufführung von Johannes Maria Stauds und Durs Grünbeins „Die Weiden“ hat Dominique Meyer im 150. Jubiläumsjahr der Staatsoper Olga Neuwirths (*1968) „Orlando“ folgen lassen und die beträchtlichen Ressourcen seines Hauses in den Dienst dieser Uraufführung gestellt.

Opernnovitäten sind heutzutage mitunter recht kurz. Die jüngste in Wien ist mit ihren dreieinviertel Bruttostunden gefühlt mindestens eine halbe Stunde zu lang geraten. Nach der Pause, wenn sich im Video der Zeitkreisel zu den suggestiven Zwischenspielen dreht, und immer noch ein weiteres der gerade aktuellen Themen zur Sprache bzw. zu Bildern und Klängen kommt, zieht sich der Abend. Die Österreicherin nennt ihr Werk weder Oper noch Musiktheater, sondern treffend „eine fiktive musikalische Biografie in 19 Bildern“. Gemessen werden wird das Resultat freilich an dem, was die Zuschauer, die normalerweise das Haus am Ring füllen, unter Oper verstehen. Die Reaktionen des Premierenpublikums sind da höchstens ein Indiz.

Dabei sind es keineswegs Einwände gegen die Musik, die hier die Prognose trüben. Die ist originell, an- und im besten Sinne aufregend. Zumindest über weite Strecke und in ihrer Anlage. Hier hört man so etwas wie ein Grundrauschen, ja eine Klangvermessung der Welt. Wie sie war und wie sie ist – so komplex zerfleddert in Einzelinformationen, dass sich nur gelegentlich Widererkennbares formt. Hier werden das Staunen über die Natur (alles beginnt mit der Projektion von Vogelschwärmen auf dem Zwischenvorhang und dann mit Vogelgezwitscher) ebenso wie Schönheit oder die pure Zerstörungswut zur Musik. Also flackern barocke Koloraturen auf, explodieren eskalierende Orchestertutti wie Granaten auf den Schlachtfeldern von einst und jetzt. Formiert sich skandierender Widerstand der emanzipierenden und solcher der reaktionär populistischen Art. Dazu und dazwischen wird immer wieder viel gesprochen. Alles – wohl mit Blick auf Vermarktungschancen – auf Englisch. Anna Clementi stemmt diese Aufgabe als Narrator. Immer wieder greift Neuwirth auf Bewährtes ihrer Vorgänger zurück, lässt es durch ihre Finger rinnen und macht Eigenes daraus. Man erkennt Offenbachs Cancan, das an den antifaschistischen italienischen Widerstand erinnernde „Bella ciao“. Dann blitzen aber auch „O Tannenbaum“ und das Kirchenlied „Danke für diesen guten Morgen“ auf, es gibt Walzerklänge ebenso wie Rock, Punk, Jazz und Funk oder Songs der New Yorker Trans-Performancekünstlerin Justin Vivian Bond, die als Orlandos Kind und als sie selbst eine emanzipierte Stellung zwischen den Geschlechtern einfordert. Das ist faszinierend und funktioniert in der Übermalung durchweg.

Diese auf schräge Klänge und schrille Optik setzende musikalische Biografie gilt Virginia Woolfs „Orlando“ – ein Wunschthema der Komponistin. Dem jungen dichtenden Edelmann, auf den Elisabeth I. ein Auge geworfen hat, der irgendwann aus geheimnisvollem Schlaf als Frau erwacht und von nun an die Wirklichkeit mit einem männlichen Blick aus einem weiblichen Körper wahrnimmt. Und dabei all jene Geringschätzung, die eine patriarchalisch geprägte Welt gegenüber Frauen an den Tag legt, erfährt. Bei Woolf endet Orlandos Zeitreise im Erscheinungsjahr ihres Romans 1928. Bei Olga Neuwirth und ihrer Co-Librettistin Catherine Filloux geht sie bis (ausdrücklich) zum Tag der Uraufführung und darüber hinaus.

Die heikelste Zwischenstation der Zeitreise gelingt eindrucksvoll. Zur Einspielung eines Violinensolos von Gustav Mahlers in Auschwitz ermordeter Nichte werden mehr und mehr Namen dort Ermordeter eingeblendet. Das sitzt. Der Atombombenpilz zu infernalischem Orchesterlärm greift dann aber plakativ zu kurz. Der Schnelldurchlauf der Nachkriegsjahrzehnte mit Bildern aus dem kollektiven Gedächtnis auch. Thematisch wird auch so gut wie alles behandelt, was für Debatten und Kampf relevant ist. Frauenverachtung und Kindesmissbrauch, Kriege verschiedener Epochen, Zerstörung, die Rassen- und die Genderfrage. Fast schon erwartbar werden dann auch noch „Trump“ und „Greta“ zu Stichwortgebern einer Reflexion der Tagespolitik.

Dabei passiert in der Regie von Polly Graham und auf der Bühne eigentlich nicht viel. Roy Spahn hält ein halbes Dutzend mobiler Riesenprojektionswände bereit, die mit atmosphärischen Videos von Will Duke bespielt werden. Dazu kommen die Kostüme und Masken für deren dominierende Opulenz das japanische Modelabel COMME des GARCONS und die japanische Designerin Rei Kawakubo stehen. Viele von dessen Fans erweiterten die Show bis in den Zuschauerraum. So extravagant flippig aufgestylt wie diesmal ist das Wiener Premierenpublikum sonst jedenfalls nicht. Die zeitliche Verlängerung ins Heute und Morgen wird aber auch zum Problem. Da bestimmt das Design nicht mal das Bewusstsein, sondern gerade noch den Schein. So wie hier die Probleme der Zeit gerafft, bebildert und mit der Wut eines Kindes, das seinen Willen nicht auf der Stelle erfüllt bekommt, angegangen werden, ist das allzu simpel. Wenn rechter Populismus mit einem so unterkomplexen und zugleich übermoralischen Impetus bekämpft wird, dann gibt es einen dialektischen Kurzschluss und aus dem großen Wollen wird ein Nichtgelingen. Die Nummernrevue kommt jedenfalls nicht an die musikalische Substanz heran. Der große Auftritt des Modelabels steht für sich. Irgendwo daneben. Zu schade, dass der Umgang mit der Orlando-Grundidee im zweiten Teil so an Inspirationskraft verliert.

Die Anwälte der Musik Neuwirths sind da wesentlich überzeugender. Vor allem der von Neuwirth geschätzte und als Uraufführungsdirigent gewünschte Kollege Matthias Pintscher am Pult des Orchesters der Staatsoper vermag sich in die Klangarchitektur einzufinden, einen Baustein zum anderen zu fügen, ohne dass da was einstürzt oder unsauber klingen würde, wo es das nicht soll, wie etwa durch die tiefer gestimmten zweiten Geigen.

Das Riesenensemble der Protagonisten wird von Kate Lindsey angeführt, die sich Orlando anverwandelt und damit beständig sich selbst wandelt. Am stärksten beim Wechsel des Geschlechtes. Das ist imponierend. Agneta Eichenholz ist in einer Kreation in Weiß als Sasha mit von der Partie. Constance Hauman hat als Elizabeth I. einen wahrhaft königlichen Auftritt. Shelmerdin, dem Mann, den Orlando tatsächlich mal liebt und heiratet leiht Leigh Melrose markante Präsenz. Die Protagonisten, die Chöre und das Orchester werden zurecht einhellig gefeiert. Bei Olga Neuwirth gibt es auch ein paar Buhs.

  • Nächste Vorstellungen: 11., 14., 18. und 20. Dezember 2019

Die Vorstellung am 18. Dezember 2019 wird via WIENER STAATSOPER live at home weltweit live in HD übertragen (www.staatsoperlive.com).

 

 

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