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Mozarts „Don Giovanni“ in Karlsruhe: Menschen im Hotel

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endprobe am badischen staatstheater karlsruhe
endprobe am badischen staatstheater karlsruhe © copyright by falk von traubenberg

Der Karlsruher „Don Giovanni“ schürft an der Oberfläche und wird dort fündig.

Mozarts „Don Giovanni“ und seine Rezeption sagt einiges über das Verhältnis zwischen Männern und Frauen, wobei offen bleibt, ob es und was davon stimmt. Er kann einerseits jede rumkriegen, andererseits gelingt ihm – viel ist darüber nachgedacht worden – im Laufe der Oper selbst praktisch nichts mehr. Sie sind einerseits empört und angewidert, andererseits nicht. Es ist eine Gemeinheit, dass Lorenzo da Ponte und der Komponist dem Prachtkerl, wie unsere Großmütter es fröhlich nannten, zudem einen besonders hochgelegenen Tenor als einzigen gesellschaftlich ebenbürtigen Rivalen mit in die Geschichte geben. Die anwesenden Frauen, das lässt sich mit Sicherheit sagen, interessieren sich nicht für Don Ottavio. Also sexuell interessieren sie sich nicht für ihn. Darüber wird kaum gesprochen – jedenfalls nicht im Libretto, unsere Großmütter hatten einiges dazu zu sagen und ein ungezogenes Wort dafür –, es ist auch ein komisches Thema für eine Oper. Und eine geniale Leistung ihrer Schöpfer, dass sich das Werk im Repertoire so unverdrossen breit machen konnte.

In den „Don Giovanni“ lässt sich tief hineinschürfen. Aber auch an der Oberfläche flirrt es eben von interessanten Fügungen und Details, und der niederländische Regisseur Floris Visser wird dort fündig in einer etwas überdrehten, jedoch vitalen Inszenierung für das Staatstheater Karlsruhe. Unermüdlich in Bewegung das vorzüglich gebaute Bühnenbild von Ausstatterin Dieuweke van Reij: Zwei Halbkreise auf der Drehbühne zeigen Zimmer und den Mehrzwecksaal eines Hotels, dessen gebogene Gänge dazwischen unverzügliche Szenen- und ständige Perspektivwechsel ermöglichen. Ein geeigneter Ort für eine Hochzeit, und selbst ein etwas erzwungenes Element geht noch verhältnismäßig gut auf: Der Sarg des Komturs ist für eine Trauerfeier hier aufgestellt und ersetzt listig das Grabmal.

Dass sich die trauernde Donna Anna und ihr ewiger Verlobter Ottavio hier eingemietet haben, versteht sich von selbst. Donna Elviras Kammerzofe, der Don Giovannis letzter und von einem überwältigend schönen Schlager begleiteter, zudem vielinterpretierter Annäherungsversuch gewidmet ist, arbeitet im Hotel: ein schüchternes Mädchen, dem Giovanni den Weg versperrt. In ihren Augen sieht man ihn auf einmal, wie er ist: Ein alternder, ständig angetrunkener, zugekokster Typ.

Denn in Karlsruhe wird die Geschichte eines Niedergangs erzählt, und Visser und der Titelheld, Konstantin Gorny, erzählen sie so kraftvoll, dass man kaum umhinkommt, Don Giovanni zu mögen. Die Frauen, die ihn schon länger kennen, Anna und Elvira, mögen ihn ebenfalls. Auch Leporello mag ihn. Don Giovanni hat Geld (unterm Hotelbett in einer Sporttasche, wir bekommen wirklich das Ende einer offenbar langen Affäre vorgeführt), aber er hat auch ansonsten was. Es verhilft ihm mitten in der MeToo-Debatte zu einem wenigstens ambivalenten Auftritt.

Nur einer versteht hier gar keinen Spaß: Masetto, der Trottel, der am Ende den Komtur-Auftritt selbst inszeniert. Das Ende ist teilweise ein Trick, teilweise halluziniert Giovanni. Dass Masetto dazu schon intellektuell nie imstande wäre, weist auf die überladenen Momente hin (wie das Hantieren mit einem Kreuz oder die sinnfreien Sadomaso-Anspielungen). Im zerfahrenen, aber auch abgrundtief traurigen Schlussbild richtet sich die Aggression der energischen Frauen gegen ihn. Überladen, aber auch stark.

Die Inszenierung bewegt sich bei aller Erzähllust im Rhythmus der Musik, man sieht, dass Visser genau hingehört hat. Die Staatskapelle geht diesen Weg unter Johannes Willig quicklebendig mit. In der Premiere wurde extrem überzeugend gespielt – glänzend individualisiert auch die Statisten und der Chor – und schön gesungen: Konstantin Gorny ist als Typus ein immens überzeugender, als Bariton abgeklärter, kultiviert agiler Giovanni. Ina Schlingensiepen und Jennifer Feinstein als Anna und Elvira werden die Sympathien nicht schwer gemacht, beide in rollengerechter Abschattierung vom Lyrischen zum Hochdramatischen. Die zwitschernde Sophia Theodorides und der sehr junge Yang Xu sind Zerlina und Masetto. Dass sie gleich zweimal nur knapp oder nicht am Kopulieren auf offener Bühne gehindert werden: Ein rarer, aber verdächtiger Fall von Ideenlosigkeit der Regie. Rasant flott und leidenschaftlich das Leporello-Debüt von Nicholas Brownlee, der sich damit vehement empfiehlt. Cameron Becker ist ein stählerner Ottavio. Auf diesem Niveau aus den eigenen Reihen besetzen zu können: Respekt.

Staatstheater Karlsruhe: 20., 28. Dezember, 19. Januar. www.staatstheater.karlsruhe.de

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