Opernglück! – „SAMSON ET DALILA“ an der Staatsoper Berlin

Staatsoper Berlin/ Samson et Dalila/ Brandon Jovanovich (Samson) und Elīna Garanča (Dalila)/Foto @ Matthias Baus

Was für ein Glück: Für einmal atmet die Szene mit der Musik und spielt nicht gegen sie an. Der argentinische Filmregisseur Damián Szifron (Oscar-Nominierung für WILD TALES) und sein Ausstattungsteam (Bühne: Étienne Pluss, Kostüme: Gesine Völlm, Licht: Olaf Freese, Video: Judith Salenko, Choreographie: Tomasz Kajdanski) lassen den biblischen Stoff wie in Filmkulissen eines Historienschinkens von Cecil B.DeMille spielen, mit historisierenden Kostümen, Felsenlandschaften und –höhlen, Tempelgebäuden und Steinhäusern. Und das soll nun nicht despektierlich klingen, sondern ist voller Bewunderung gemeint. Wir müssen uns also nicht den ganzen Abend durch fragen, was denn Männer in dunklen Businessanzügen und modernistische Wohnlandschaften uns zu dem Stoff sagen wollen, sondern können konzentriert in die Handlung und die unglaublich schöne und reichhaltige Musik von Sain-Saëns eintauchen. (Rezension der Vorstellung vom 14.12.2019

 

Beide, Samson und Dalila, sind gefangen in ihren Systemen. Samson muss als Kampfmaschine für seinen Gott Jehova funktionieren, Dalila lässt sich vom Oberpriester des Gottes der Philister, Dagon, als Spionin einspannen. Doch was ist wirklich an echten Gefühlen der beiden da? Sicher, Samson ist ein Mann, also von Natur aus geil. Doch da ist mehr – und das zeigt der Regisseur ganz deutlich. Seiner Rolle als unbesiegbarer Held ist Samson müde, ja überdrüssig geworden. Er sehnt sich nach etwas anderem, das seinem Leben Sinn geben könnte. Und das ist die Liebe, welche in der Verkörperung der sinnlichen Dalila daherkommt. Beim ersten Auftritt Dalilas wird das deutlich, diese ungeheure Sinnlichkeit, welche für die beiden zum Wendepunkt ihres bisherigen Lebensentwurfs wird. Damián Szifron zeigt das mit Doubles der beiden Protagonisten, welche  sich in zärtlichem Liebesspiel finden, Dalila wird schwanger, bringt zwei Kinder zur Welt – ein glückliches Familienidyll (das Publikum lacht mal wieder im falschen Moment – kann man denn erträumtes Glück nicht mehr zulassen in unserer gefühlskalten Welt?). 

Staatsoper Berlin/ Samson et Dalila/ Brandon Jovanovich (Samson) und Elīna Garanča (Dalila) u. Staatsopernchor/Foto @ Matthias Baus

Der zweite Akt spielt in einer Felsenhöhle (die Liebesgrotte der Dalilah – Wagners Venusberg lässt grüßen). Nur schon die offene Verwandlung vom ersten zum zweiten Akt ist ein Hingucker: Die Szene mit dem gefühlsmäßig verwirrten Samson vor Sternenhimmel und Bergketten fährt hoch zum Bühnenhimmel, Dalilas Grotte taucht aus dem Untergrund auf. Hier nun kommt es zum zentralen Liebesakt (fast schon eine Vergewaltigung – aber von beiden Seiten, erst ist Samson oben, dann die starke, selbstbewusste Frau). Dalila ist also nicht einfach eine durchtriebene Verführerin, auch sie hat ganz klare Vorstellungen, von dem, was sie will. Das Problem der beiden ist, dass Samson nie gelernt hat, sich zu öffnen. Und daran verzweifelt Dalila, was schließlich zur Preisgabe des Geheimnisses von Samsons Stärke und seiner symbolischen Kastration führt.  Doch als sie erkennt, was sie getan hat, bricht sie zusammen. Im dritten Akt werden Misshandlung und blutige Folter, Spott und Erniedrigung der gefangenen Hebräer mit aller Drastik gezeigt. Spannende Choreographie – auch wenn das Thema natürlich widerlich und brutal ist.

Musikalisch war der Abend (leider schon die Derniere dieser starken Produktion) schlicht überwältigend. Brandon Jovanovich bringt nur schon physisch alles mit zur Verkörperung des Helden mit seinen unglaublichen Kräften. Kräftig sind auch seine Stimme und deren Durchhaltevermögen, ohne jegliche Einbrüche. Strahlend glänzt sein geradlinig geführter Tenor, differenziert zeigt er seine Gefühlsverfassungen. Dass er zudem auch optisch alle Voraussetzungen für eine glaubwürdige Verkörperung mitbringt, ist ein zusätzliches Plus. Speziell als gefolterter, erniedrigter und blutüberströmter gefallener Held, der auch seine Haarpracht verloren hat, läuft Jovanovich in seiner Verzweiflung zu irrer Form auf. Großartig!!!

Vor gut zwanzig Jahren saß ich in einer Vorstellung von ANDREA CHÉNIER in der Wiener Staatsoper. Eine junge Mezzosopranistin ließ mich in der kleinen Rolle der Bersi aufhorchen: Elīna Garanča. Unterdessen ist die Künstlerin zu DEM Stern am Mezzosopranhimmel aufgestiegen – verdientermaßen. Der raumfüllende, immense und warme Klang ihrer Stimme verzaubert vom Beginn weg (Printemps qui commence, einfach wunderbar). Natürlich ist dann der zweite Akt ganz der ihrige, mit dem Hit Mon coeur s’ouvre à ta voix, den sie auf dem Rücken liegend singt. Kein Wunder, dass Samson ihr verfällt, sich auch sexuell nicht mehr zurückhalten kann. Im dritten Akt, wo sie in einer Art Turandot-Outfit auftritt, hat sie nicht mehr allzu viel zu singen, doch eine große Tat hat sie in dieser Inszenierung noch zu vollbringen: Sie erdolcht den Oberpriester, der sie zum Verrat an ihrer Liebe zu Samson aufgefordert hatte.

Staatsoper Berlin/ Samson et Dalila/ Michael Volle (Oberpriester des Dagon), Staatsopernchor und Tänzerinnen/Foto @ Matthias Baus

Und dieser Oberpriester wurde von keinem Geringeren als Michael Volle gegeben, der einmal mehr mit seinem herrlichen, präsenten und voll in der unsympathischen Rolle aufgehenden Bariton überwältigte. Besser kann man das Protagonistentrio zur Zeit wohl nicht besetzen. Den Abimelech (wird kurz nach seinem Auftritt von Samson mit einem Stierhorn erschlagen) singt Kwangchul Youn mit etwas starkem Vibrato. Wolfgang Schöne intoniert die Warnungen des alten Hebräers mit Eindringlichkeit.

Maestro Daniel Barenboim ist schon länger ein begnadeter Anwalt von Sain-Saëns’ Meisterwerk: Seine Aufnahme mit Obratzsova, Domingo und Bruson und dem Orchestere de Paris hat Referenzcharakter. Nun also präsentiert er diese viel zu selten gespielte Oper mit „seiner“ Staatskapelle Berlin: Grandios. Er holt alles an direkter Erzählkraft, Stimmungen und unterschwelligen Gefühlen aus dieser Partitur heraus, lässt da einen chromatischen Lauf der Holzbläser aufschimmern, lotet dort Abwärtsbewegungen und unheimlich intensiv geratene Begleitfiguren aus. Es ist ein mitreißender Fluss, dem man gar nicht entkommen möchte. Im ersten Akt werden die kraftvollen Chortableaus mit fantastischer Spannung aufgebaut und durchgehalten, so dass dieser erste Akt (der oftmals im Ruf steht, der schwächste der Oper zu sein) eine wunderbare Exposition darstellt. Der Staatsopernchor wurde von Martin Wright einstudiert und glänzt mit exemplarischer Dynamik und Klangfülle.

Am Ende dann, wenn Samson nochmals all seine Kräfte mobilisiert hat und den Tempel der Philister (dezent) zum Einsturz gebracht hat, sehen wir am Bühnenrand rechts und links nochmals die Tänzer-Doubles des Liebespaares – die Utopie lebt weiter. Und hoffentlich auch diese Oper in dieser Inszenierung in einer späteren Wiederaufnahme!

P.S.: Der Hund, der an der Premiere zum Vorspiel an der Leiche des toten Mädchens schnupperte und dann für Aufsehen gesorgt hatte, ist übrigens nicht mehr mit von der Partie.

 

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