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Eötvös-Oper in Bielefeld: Ärger im Paradies

Umjubelte Premiere für Wolfgang Nägeles sehenswerte Inszenierung von „Paradise Reloaded (Lilith)“.

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Jenseits von Eden: Nohad Becker als Lilith und Lorin Wey als Adam in einer Szene der Bielefelder Inszenierung von Peter Eötvös’ Oper „Paradise Reloaded (Lilith)" am Theater Bielefeld. | © Bettina Stoess

Jenseits von Eden: Nohad Becker als Lilith und Lorin Wey als Adam in einer Szene der Bielefelder Inszenierung von Peter Eötvös’ Oper „Paradise Reloaded (Lilith)" am Theater Bielefeld. | © Bettina Stoess

20.01.2020 | 20.01.2020, 06:00

Bielefeld. Ein bedrohlich anschwellender Unterton bricht sich Bahn, die Streicher seufzen hochfrequent – oder schluchzen sie schon? In der Bühnenmitte eine Art Herbarium, üppig begrünt: Das Paradies – mittendrin: Adam und Eva. Die beiden ersten Menschen. Die beiden Ersten?

Da war doch eine, die zwischen den Zeilen des biblischen Kanons spärliche Spuren hinterlassen hat. Lilith, Adams erste Frau, eigenständig, nicht aus Adams Rippe gebildet. Ärger steht ins Haus. Erzengel Lucifer, der von Anfang an ein Menschenfeind war, rebelliert und stürzt. Der Baum der Erkenntnis wird ins paradiesische Herbarium verpflanzt und Eva nascht vom wurmstichigen Apfel und aus ist es mit der sorgenfreien Existenz im Biotop.

Ein göttlicher Irrtum

Lilith wiederum will ihren Mann zurück und kollaboriert deshalb mit Lucifer. Der möge den Adam davon überzeugen, dass die Erschaffung des Menschen nichts als ein göttlicher Irrtum gewesen sei. Also gibt Lucifer den Cicerone und geleitet Adam auf eine Zeitreise. Der erste Mann ist entsetzt über die historischen Perspektiven seiner Spezies und beschließt, den Befehl „seid fruchtbar und mehret euch" zu verweigern. Doch da sind Lilith und Eva längst schwanger. Das ist der Plot, aus dem Komponist Peter Eötvös (76) mit Librettist Albert Ostermeier die 2013 in Wien uraufgeführte Oper „Paradise Reloaded (Lilith)" gestrickt hat, die am Samstag in Bielefeld eine umjubelte Premiere feierte.

Eötvös, der von 1971 bis 1997 am Studio für elektronische Musik des WDR arbeitete, erweist sich als schöpferischer Klangmagier. Sich stetig wandelnde Klangfarbenbänder, in denen die Grenzen zwischen Streichern und Bläsern, zwischen Holz- und Blechbläsern, zwischen Klang und Geräusch aufgehoben scheinen, erweisen sich als kaleidoskopisches musikalisches Material, dessen umsichtige Verwendung die Untiefen und Paradoxien menschlichen und teuflischen Handelns (hier gibt es beträchtliche Schnittmengen) wahrnehmbar macht.

Gregor Rot, 1. Kapellmeister am Theater, hat den Bielefelder Philharmonikern diese verwickelte Partitur, bei deren Realisierung sich keiner auf irgendwelche Routinen stützen kann, nahegebracht. Das sinfonische Ensemble der Leineweberstadt realisierte seine hoch anspruchsvolle Aufgabe mit Bravour.

Begabter Strippenzieher

Wolfgang Nägele hat eine kluge Inszenierung erarbeitet und in Stefan Mayer einen kongenialen Bühnenbildner gefunden. Er ließ die Leere des Bühnenraums für sich sprechen und durchbrach sie mit elementarer Wucht. Wenn Adam zur Zeitreise aufbricht, stürzt ein flammend roter, seidenartiger Vorhang herab, und damit ist klar, was Adam bevorsteht. Die Kostüme (Irina Spreckelmeyer) vermieden in abstrakter Stilisierung jeden konkreten Zeitbezug und markierten einen angemessenen Widerpart zur leeren zeitlosen Bühne.

Lilith, geschaffen aus jenem Stoff, der später die Scheiterhaufen der Hexenprozesse befeuern sollte, hat in Nohad Becker eine hervorragende Interpretin gewonnen. Souverän ihren schwierigen Part meisternd, zwischen irrlichternder Höhe und makaberer Tiefe changierend, gestaltet sie eine souveräne, empfindungsstarke Frau; ebenso Veronika Lee. Ihre Eva gerät mit brillanten Koloraturen und bewegendem Sprechgesang zu einer aufrüttelnden Figur, die viel mehr ist als eine aus Adams Rippe geformte Gehilfin.

Lorin Weys hell strahlender, kammermusikalisch gehaltener Tenor porträtiert einen Adam zwischen kindlicher Arglosigkeit und erwachsener Verzweiflung. Frank Dolphing Wongs frech sonorer Bass gibt einen eher rationalen als dämonischen Lucifer, ein begabter Strippenzieher, der sich schließlich in seinen eigenen Fäden verfängt.

Eine Sternstunde des Bielefelder Theaters. Das Reloading des Paradieses steht allerdings noch aus.

Weitere Aufführungen: 25.1., 5.2., 21.2., 6.3., 5.4., 16.4. Karten unter Tel. (0521) 555-444.

Information

Komponist zufrieden


Peter Eötvös war Ehrengast der Bielefelder Premiere seiner Oper „Paradise Reloaded". Sichtlich zufrieden mit Regie und Musik, gefiel dem Komponisten besonders die Platzierung zweier Schlagwerker auf der Opernbühne. Das habe ihn an Märchenerzählungen erinnert. Da seien auch die Erzähler stets gegenwärtig.
Verblüfft sei er gewesen, dass am Ende der Oper noch ein Apfelbäumchen gepflanzt worden sei, eine Anspielung auf Luthers legendären Ausspruch, das würde er tun, wenn morgen die Welt unterginge. Das sei, so Eötvös, nicht Bestandteil seiner Partitur. Er fand den Regie-Einfall dennoch „ausgesprochen stark". (jvt)