Konsequent bis zur Verharmlosung: Barbara Frey befreit «Figaros Hochzeit» von allen Konventionen

Zürichs frühere Schauspielhaus-Intendantin inszeniert am Theater Basel wieder einmal Oper. Aber was will sie uns mit Mozarts Meisterwerk erzählen?

Tobias Gerosa, Basel
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Da funkt’s: Szene aus der Basler Neuinszenierung von «Le nozze di Figaro».

Da funkt’s: Szene aus der Basler Neuinszenierung von «Le nozze di Figaro».

Theater Basel

Am Schluss geht der Blick in die leere, kalte Bühnenhöhle. Der grün geblümte Rahmen, der den Blick vier Akte lang in eine perspektivisch verjüngte Schachtel fallen liess, ist plötzlich verschwunden. Figaro, Susanna, Cherubino und das gräfliche Paar sitzen nur noch staunend auf dem schmalen Streifen, der von ihrem Huis-clos bleibt. Ein schöner Effekt. Doch was bedeutet er für die grosse Vergebung, die Text und Musik am Schluss dieser vielschichtigen Komödie behaupten, ohne die Verwicklungen wirklich aufzulösen?

Im Sommer 2019 verabschiedete sich Barbara Frey nach neun solid-guten und konsequenten Jahren als Intendantin des Schauspielhauses Zürich. Kurz darauf wurde sie als neue Intendantin der Ruhrtriennale ab Herbst 2020 vorgestellt. Dazwischen macht sie nun einen Zwischenhalt am Theater Basel – aber in der Opernsparte. Die Idee ist eigentlich naheliegend: Die Musik und die Musikalität waren bei Frey im Schauspiel schon lange wichtig. In ihren letzten Arbeiten am Schauspielhaus – vor allem mit James Joyce’ «Die Toten» – wurde dieser Aspekt immer zentraler, und zwar durchaus auch in der Sprachbehandlung. Darin setzt sie ihre Arbeit jetzt konsequent fort.

Der nackte Text

Das Spannendste in ihrem Basler «Figaro» sind die Rezitative. Sicht- und hörbar wurde da am Text gearbeitet, und so reagieren und interagieren die Figuren fast wie im Schauspiel. Auch in den Arien und Ensembles schleichen sich keinerlei Operngesten ein. Stattdessen tastet da zum Beispiel eine unerwartete Hand nach einer andern; oder es wird Spannung durch die beredte Positionierung der Figuren zueinander aufgebaut.

Frey hat ihre Ausstattungspartnerinnen mit nach Basel genommen. Bettina Walters Kostüme lassen offen, wann das Stück spielt. Bettina Meyers perspektivisch verfremdeter Einheitsraum mit Blumentapete ermöglicht mit seinen manchmal halbtransparenten Zwischenwänden und vertieften Quergängen rasche Wechsel und verschiebt den Blickwinkel, wie es zu den Verwirrungen der Figuren passt. Oder passen würde.

Frey reduziert konsequent, bis nur noch der nackte Text und die Figuren als seine Träger übrig sind. Das untergründige revolutionäre Brodeln, die Standesunterschiede interessieren Frey nicht. Die Konventionen der Opera buffa schon gar nicht, um äusserliche Komik geht es nie. Wenn gelacht wird, dann über die Worte, kaum über die ganz beiläufig herbeigeführten Situationen, in denen Figuren halt erscheinen oder abgehen. Dazu passt, dass die Arien der Nebenfiguren gestrichen sind: Sie interessieren nicht. Doch auch die erotischen Spannungen werden fast nur über den Text aufgebaut. Was bleibt dann, will man auch nicht einfach geradlinig die Handlung nacherzählen?

Alleingelassen

Die stärksten Momente entstehen, wenn die Figuren wie im Finale des dritten Aktes die Handlung und ihre Musik gleichsam kontrapunktieren. «Le nozze di Figaro» funktioniert ja auch im Konzertsaal problemlos, das hat die Aufführung unter Teodor Currentzis im Sommer beim Lucerne Festival gezeigt: Die Musik könnte so viel erzählen – und zur Not auch die Leerstellen dieses Regiekonzepts füllen. Doch Christian Curnyn am Pult des Sinfonieorchesters Basels gelingt das nicht. Artikulation und Phrasierung wirken lebendig, der Klang durchhörbar und leicht. Schon in der Ouvertüre zeigt sich indes, was den Abend schliesslich ermüdend macht: Die Lautstärke verlässt das Spektrum von Mezzoforte bis Forte kaum, Tempi werden einmal gesetzt und entwickeln sich kaum. Die so genial immer höher geschraubten Finali entwickeln keinen Sog.

Die Sänger auf der Bühne wirken alleingelassen. In der Oper passiert dann immer dasselbe: Sie werden lauter als nötig. Nicht belebt durch die Regie, kaum gestützt durch Inputs aus dem Graben: Das Ensemble hat es da schwer. Wer wenigstens als Strippenzieherin agieren kann wie Sarah Brady als hell timbrierte Susanna, hat einen entscheidenden Vorteil. Schöne und ausdrucksstarke Stimmen wie die von Kristina Stanek (Cherubino) oder Oksana Sekerina (Contessa) reichen dann aber doch nicht, um die Figuren ausserhalb ihrer Arien interessant zu machen. Hier wird die Konsequenz des Interpretationsansatzes zur Hypothek.