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Foto: Franco Lannino
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Palermo, offene Bühne – Richard Wagners „Parsifal“ im Teatro Massimo

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Wo, wenn nicht hier? Richard Wagner hat seinen „Parsifal“ Anfang 1882 in Palermo vollendet, erst 1914 ist die Oper dort aufgeführt worden, war dann aber seit 1955 nicht mehr zu sehen.

Das Teatro Massimo ist ein prachtvolles Haus. Es vereint Prunk und bröckelnden Putz, ist auch heute noch bzw. wieder eine Baustelle, obwohl es bis in die 1990er Jahre für rund zwei Jahrzehnte zwecks Renovierung geschlossen war.

Der Zuschauersaal strahlt gülden auf das Publikum, wenn sich der rote Samtvorhang öffnet, geht der Blick entweder auf ein Bühnenbild – oder aber auf nacktes Mauerwerk mit fast schon antik wirkenden Rundbögen und die heutige Technik der Hinterbühne.

Die jüngste Neuproduktion des Hauses, „Parsifal“ von Richard Wagner, gestattete sich just diese offene Bühne. Keine Gralsburg, kein Waldsee und auch kein Zauberschloss. Zum Schluss weder die „anmutige Frühlingsgegend“ noch die „sanft ansteigende Blumenaue“, wie vom Librettisten und Komponisten Richard Wagner ursprünglich vorgegeben. Der hielt sich 1881/82 mit seiner Familie in Palermo auf, war von Sizilien höchst inspiriert und hat den bereits an der amalfitanischen Küste erblickten „Garten der Seele“ als Klingsors Zaubergarten in sein Bühnenweihfestspiel einfließen lassen. Im Juli 1882 in Bayreuth uraufgeführt, kam es erst 1914 nach Palermo, wo es zuletzt 1955 (!) neuinszeniert worden ist.

Höchste Zeit also für eine Wiederbegegnung mit diesem Werk in jener Stadt, die immerhin die einzige in Italien gewesen ist, wo 2013 Wagners kompletter „Ring“ präsentiert worden ist. Die Neuinszenierung von Regisseur Graham Vick war zudem der Amtsantritt von Dirigent Omer Meir Wellber als Musikdirektor des traditionsreichen Hauses, wobei das italienische „Direttore musicale“ freilich viel imposanter klingt und dem Stellenwert dieser Position eher gerecht wird.

Der in Israel geborene und seit langem in Europa lebende Künstler, der auch als Komponist und Instrumentalist von sich reden macht, hat derart Bedeutung mit diesem „Parsifal“ großartig umgesetzt. Gemeinsam mit Chor und Orchester des Hauses gelang ihm ein schillernder Wagner mit einem Hauch Italianità, wofür es vom Publikum denn auch heftigen Beifall gegeben hat. Spannungsfülle und Schönheit der Partitur gerieten zum Einklang, das ebenso dunkel wie unaufgelöst klingende Vorspiel weckte schon große Erwartungen, die während des langen, aber nie langweiligen Abends durchweg eingelöst worden sind. Pompöse Wucht war da ebenso zu erleben wie psychologisch ausgedeutete Feinheit sowohl im Orchesterpart als auch in der Verbindung mit dem Bühnengeschehen.

Das wurde inszenatorisch vom britischen Regisseur Graham Vick verantwortet. Der lieferte alles andere als einen herkömmlichen „Parsifal“ ab, deutete das Stück vielmehr in heutiger Gültigkeit, ohne die Kerngedanken Wagners je zu verraten.

Auf der nackten, sehr schräg ansteigenden Bühne gab es kaum Dekoration, ein wie abgestorben wirkender Baum sowie ein häufig genutzter Brecht-Vorhang ganz in Weiß mussten genügen. Diese von Timothy O’Brien gestaltete Szene füllte sich jedoch rasch mit den Mannen der Gralshüterschaft, die von Mauro Tinti mit martialischer Bewaffnung ausgestattet worden sind, als ginge es gleich in den nächsten Wüstenkampf. Uniformen und Helme drückten eine Gewaltbereitschaft aus, die an solch „heiligem“ Ort nichts zu suchen haben sollte – doch bevor ein solcher Gedanke zu Ende gedacht ist, erinnern wir uns, was in den vergangenen Jahren im einstigen Zweistromland angerichtet worden ist und wer dort jüngst erst wieder die Zerstörung weiterer Kulturstätten angedroht hatte.

Bildschöne Mädchen und lächerliche Kampftruppen

Unter solchen Bedingungen also leidet Amfortas an seiner offenen Wunde, schleppt sich blutend, nur mit einem Lendenschurz versehen, über die Bretter, aus denen er schließlich –, wie von seinem als Geschäftsmann gekleideten Vater Titurel verlangt, den Gral herausholt. Eine schlichte weiße Tasse, die durch die Reihen der Kämpen gereicht wird und ihnen neuen Siegesmut und den Wahn der Unverwundbarkeit gibt.

Vom martialischen Anblick dieser fanatisierten Schar durchaus verstört ist der tumbe Tor Parsifal, der sich vorwerfen lassen muss, auf angeblich geschütztem Gebiet einen Schwan erlegt zu haben. Zwecks Wiedergutmachung und um Amfortas’ Leiden zu lindern macht er sich auf und landet in Klingsors Garten, wo ihm Kundry (im ersten Bild noch vollverschleiert, nun mit offenem Haar und wogendem Kleid) die Augen über seine Vergangenheit öffnet. Bildschöne Mädchen umgarnen ihn zwar, doch er stößt sie alle zurück. Klingsors Kraft (mit Schlangen-Tattoo auf dem Rücken und einem Blutfleck im Schritt) ist gebrochen, Parsifal zieht wieder von dannen.

Ist der Knabe nun tatsächlich geläutert, gereift? Schließlich sind Jahre vergangen, bei seiner Rückkehr ist Titurel tot, wankt Gurnemanz greisenhaft, sind die eben noch halbnackt ihrer Lächerlichkeit preisgegebenen Truppen in ein Bürgerkriegszivil gekleidet, das den Gedanken an Frieden natürlich nicht nährt.

Zum Karfreitagszauber, den Wellber betörend opulent aus dem Graben fließen lässt, setzt die Regie harte Kontraste mit Schattenspielen hinterm weißen Vorhang. Meuchelmord und Massenhinrichtungen – die Archaik vieler Jahrhunderte, von der Menschheit auch im 21. Jahrhundert noch immer nicht überwunden.

Gewiss, eine solche Deutung des Bühnenweihfestspiels ist für das Publikum mehr als herausfordernd. Aber auch die gesamte Personage auf der Bühne zeigt großes Engagement, sich diesem Anspruch nicht zu verweigern. Tómas Tómasson gibt einen klanggewaltigen Amfortas, der Todessehnsucht und einstige Machtfülle in seinem fülligen Tiefton vereint. Neben dem Isländer besticht der Weißrusse Alexei Tanovitski als Titurel mit herrschsüchtigem Auftritt, gestaltet der kanadische Bass John Relyea einen kampfsinnigen Gurnemanz und ist Thomas Gazheli aus Deutschland ein finsterer Klingsor.

„Lasset die Kindlein zu mir kommen …“

Die französische Sopranistin Catherine Hunold leistet den enormen Spagat von kraftstrotzender Kundry bis hin zur auch stimmlich sensiblen Mit-Leidenden. Eine Sensation für sich ist in dieser internationalen Riege der britische Tenor Julian Hubbard, der in seinem Parsifal das enorme Spektrum von lyrischem Feinsinn bis hin zu forcierter Lust an der eigenen Stärke umzusetzen versteht.

Im Schlussbild bleibt die Hoffnung, dass diese Figur – mit einem Lächeln sitzt Parsifal am Bühnenrand und wird ganz nach dem Motto „lasset die Kindlein zu mir kommen“ von Jungen und Mädchen verschiedenster Hautfarben und religiöser Herkunft umringt – ein guter Herrscher werden mag.

Wagners Musik lässt im letzten Aushauchen des Orchesterapparats alle Fragen offen.

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