Am Portal des Münchner Nationaltheaters stehen zahlreiche Menschen mit fragenden Blicken, sie halten Zettel mit der Aufschrift „Karte gesucht“ in der Hand. Es ist keine Premiere, aber es gilt an diesem Abend die höchste Preisstufe an der Bayerischen Staatsoper, die Karten kosten zwischen 20 und 343 Euro. Netrebko-Alarm, könnte man sagen. Die Russin ist die weltberühmteste Opernsängerin, auch bei den Männern macht ihr keiner außer Placido Domingo Aufmerksamkeitskonkurrenz. Das will man hören, und es ist, kaum zu glauben, ihr Turandot-Debüt.
Es war ein von Nikolaus Harnoncourt dirigierter „Don Giovanni“ 2002 bei den Salzburger Festspielen gewesen, als der Stern der Sopranistin über Nacht aufging: Eine wunderbare Donna Anna war sie, jugendlich-lyrisch. Fast 20 Jahre später, nach einer Riesenkarriere und geehrt nicht zuletzt als stramme Putin-Versteherin mit dem russischen „Volkskünstlerin“-Orden, ist sie im schweren dramatischen Fach angelangt: Turandot. Puh, das ist die böse Eisprinzessin in Giacomo Puccinis letzter, unvollendeter Oper, die reihenweise Männer köpfen lässt. „Niemand soll je mich haben!“ Turandot rächt jenen verzweiflungsvollen Schrei, den ihre entführte Vorfahrin Prinzessin Lou-Ling einst ausgestoßen hatte.

Ziemlich lautes Orchester

Laut geht es auch im Nationaltheater zu, der junge Giacomo Sagripanti dreht am Dirigentenpult des Bayerischen Staatsorchesters die Regler maximal auf. Überwältigungsmusik. Kein Problem aber für die 47-jährige Netrebko. Sie besitzt eine furchterregende Tiefe, aber auch eine mächtig flutende, alles übertönende Höhe beim großen Auftritt „In questa reggia“. Schöner schreien, heißt die Devise. Kein böses Tremolo, nichts banal Megärenhaftes, die farbenvolle Stimme kann auch fein ins Piano ausklingen. Prinzessin Turandot muss ja auch erkennen, was Liebe ist. Eisberge schmelzen auf der Hintergrundprojektion, klimaneutral, aber gefühlvoll.
Als Anna Netrebko vor gut drei Jahren ihre CD „Verismo“ auf den Markt brachte, glaubten die Kritiker noch nicht daran, dass sie die Turandot einmal auf der Bühne wagen würde. Aber sie hat es drauf, kein Wunder, dass sie auch bald die Strauss-Salome anpacken will. Doch abwarten. Die Dame hat Launen. Vergangenen Sommer sagte sie in Bayreuth die „Lohengrin“-Elsa ab: zu erschöpft. Wochen später postete sie dann auf Instagram ein Foto aus dem Urlaub in Sotschi am Schwarzen Meer: im Bikini im Pool, mit Cocktail.

Gesang in der Turbine

In Interviews verkündet sie, keine Lust auf längere Proben zu haben. Das muss sie als Gaststar in München auch nicht in der spektakulär bilderbunten, akrobatisch verturnten „Turandot“-Inszenierung von Carlus Padrissa (La Fura dels Baus), in der zum Beispiel Eishockey mit einem abgeschlagenen Kopf gespielt wird. Chinas Kaisertochter schwebt aus dem Himmel ein, singt in einer Art Turbine, die ein filmflimmerndes Auge sein soll (die Zuschauer genießen dank einer 3D-Brille optische Effekte). Und auf dem Boden der Tatsachen muss die Netrebko auch nur wenige Meter gehen.
Das ist Diven-gemäß. Aber Moment mal: „Turandot“ ist doch eigentlich bekannt wegen der Arie „Nessun dorma“, die Luciano Pavarotti einst herzhaft nicht nur bei Fußball-Weltmeisterschaften schmetterte? Ja, aber auch der Calaf kommt hier aus der Netrebko-Familie. Die Sopranistin hat mit Bassbariton Erwin Schrott einen Sohn, aber seit 2015 ist sie mit dem aserbaidschanischen Tenor Yusif Eyvazov verheiratet. Der singt an größten Häusern größte Partien, aber vor allem mit Gattin.

Mit Gatte Eyvazov auf Tour

Es ist eine unzertrennliche Liebe, es gibt die Netrebkos im Paket. Das zeigt der Kalender. Auf die Münchner „Turandot“ folgen im Februar noch gemeinsame Opernkonzerte in Wien, Hamburg oder Berlin, Ende Mai singt die Sopranistin die Elisabetta in Verdis „Don Carlo“ an der Semperoper: mit Eyvazov in der Titelpartie. An der Pariser Bastille steht Cileas „Adriana Lecouvreur“ auf dem Plan: mit Eyvazov als Maurizio. Nur den Cavaradossi darf er nicht geben als Sidekick der Tosca-Ehefrau: an der New Yorker Met nicht und nicht an Londons Royal Opera House.
Man trifft sich in der Arena von Verona wieder zur Gala. Ach, doch, bei den Salzburger Festspielen im August darf der Haustenor dann als Cavaradossi die blitzenden Sterne besingen und auf der Bühne von seiner Ehefrau, der Tosca, träumen. Und im Herbst geht‘s sowieso zu gemeinsam zu Konzerten in die russische Heimat, nach Nischni Nowgorod oder Krasnojarsk.
Es sind schlimme Auftritte von Yusif Eyvazov verbucht, aber jetzt in München ist er ein bravouröser Calaf, wenn das Orchester sich mal zurücknimmt. Mit einem strahlkräftigen „Nessun dorma“ holt er sich verdienten Extra-Applaus. Die Netrebko-Fanschar jubelte am Ende konditionsstark, holte das Ehepaar ein ums andere Mal vor den Vorhang. Das musste bei diesem Eintrittspreis ja auch drin sein.

Auf Tour im Doppelpack

Im Carmen Würth Forum in Künzelsau ist das weltweit gefragte Opern-Ehepaar auch schon im Doppel aufgetreten. Im Mai 2018 sangen Anna Netrebko und Yusif Eyvazov einen Arienabend, begleitet von den Würth Philharmonikern. Puccinis „Nessun dorma“ durfte auch im Hohenlohischen nicht fehlen.