Wenn ein Weltstar ruft, dann kommt ganz München. Wohl keine andere Inszenierung der zweiten Spielzeithälfte an der Bayerischen Staatsoper war so schnell ausgebucht wie Giacomo Puccinis Turandot mit Anna Netrebko in der Hauptrolle. Entsprechend hoch waren die Erwartungen an die Russin, die am Dienstag in München ihr szenischen Rollendebüt als die kaltherzige Prinzessin gab.

Nicht jeder hatte der Diva die Rolle im Vorfeld zugetraut: Zu großes Volumen, zu dunkel – Fans gab es nach der Ankündigung dieser außergewöhnlichen Besetzung wohl ebenso viele wie Kritiker. Doch bis sich das Publikum selbst einen Eindruck verschaffen konnte, mussten sie erst den ersten Akt der mittlerweile acht Jahre alte Inszenierung von Carlus Padrissa und La Fora dels Baus über sich ergehen lassen.

Das Wimmelbild aus Akrobatik, Breakdancers, Neonreklamen und Wuxia-Kitsch hat die Zeit leider nur bedingt gut überstanden. Wie auch 2011 bekommt jeder Zuschauer eine 3D Brille in die Hand gedrückt. Das wirkte schon damals wie gewollt und die 3D-Effekte der Videoproduktionen kann auch heute, außer ständiges Rascheln im Publikumsaal, wenig Tiefgreifendes bewirken. Ständig wird im Hintergrund umgebaut, Bühnenbauer huschen um die Solisten herum – und alles damit man sich fühlt wie in Downtown Shanghai zur Rush-Hour.

Der erste Akt plätschert so vor sich hin. Yusif Eyvasov, der Eheman von Anna Netreboko, sang den Kalaf fast blechern. Auf jugendlichen Schmelz durfte man genauso warten, wie auf das notwendige Volumen, um gegen das an diesem Abend äußerst angriffslustige Bayerische Staatsorchester anzukommen. Sein „Nessun dorma” war recht passabel, aber ließ die Vielschichtigkeit der Emotionen, die dem Prinzen in diesem Moment durch den Kopf gehen, vermissen.

Deutlich mehr Akzente konnte da Alexander Tsymbalyuk als Timur setzen. Sein durchdringender, klarer Bass schaffte perfekt die Gratwanderung zwischen der einstigen Macht und der Verletzlichkeit seiner mittlerweile prekären Situation. Wunderbare Diktion, tolles Schauspiel!

Eine wahrlich große Überraschung war auch Selene Zanetti als Liù. War sie vor weniger als zwei Jahren noch Mitglied des Opernstudios, zeigte das frische Ensemblemitglied, dass sie der traditionsreichen Rolle mehr als gewachsen ist. Ihr „Signore, ascolta!” klang noch etwas flach und ohne große Tiefenwirkung, doch umso weiter das Stück vorschritt, umso mehr konnte sie die notwendige Wärme und Liebe in die Stimme der Dienerin legen. Am Ende, als sie mit „Tu che di gel sei cinta” im Tod gen Himmel steigt, war ihr der Applaus für ihre feinfühlige und leicht düstere Interpretation des Klassikers sicher.

Zum Start des zweiten Aktes ist es endlich soweit. Auf einer gigantischen Schwebebühne gleitet Anna Netrebko aus dem Himmel herein und singt ihre Arie „In questa reggia”. Im Saal war es mucksmäuschenstill, nicht mal Huster waren zu hören, und dass kann durchaus als Verneigung vor Netrebkos Leistung verstanden werden. Dass sie die Turandot mit großem Forte und starker Strahlkraft angehen würde, ist wohl keine große Neuigkeit. Das konnte Netrebko schon immer, aber dass sie genauso leicht und kontrolliert ins Piano wechseln würde, war durchaus überraschend.

Eiskalt und überheblich startete ihre Stimme, doch als Kalaf der Reihe nach ihre drei Rätsel löst, legte sie zunehmend eine angenehme, tief-warme Menschlichkeit in die Stimme der Turandot. Callas, Caballé, Wilson – dass Netrebko mit den großen Verglichen werden würde, war ihr wohl bewusst. Umso erfreulicher war es zuzuhören, wie sie ein durchaus vielschichtiges Rollenporträt erzeugte und eigene dunkel-düstere Akzente setzte. Über die Atemtechnik und die stummfilmhaft übertriebenen Gesten kann man freilich noch reden, doch ansonsten ist Anna Netrebko als Turandot durchweg fabelhaft.

Insgesamt blieb der Abend kurzweilig aber durchwachsen. Giacomo Sagripanti jagte das Orchester im Dauer-Fortissimo von einem Höhepunkt zum nächsten. Das passte zu Netrebkos Stimmgewalt, aber ließ den Rest des Ensembles an vielen Stellen untergehen. Wer einen der wenigen Opernweltstars einmal live erleben möchte, für den war es sicherlich ein Pflichttermin, ansonsten ist an der Bayerischen Staatsoper sonst wohl mehr geboten.

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