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Kritik – "Rigoletto" am Gärtnerplatztheater Warm ist nur der Leichensack

Das Leben als Porno, die Welt als Bordell: Regisseur Herbert Föttinger zeigte Verdis Oper im Münchner Gärtnerplatztheater als düsteres Porträt einer kaltschnäuzigen Macho-Gesellschaft aus Gaffern und Raffern. Das war fesselnd, musikalisch überzeugend und begeisterte das Publikum bei der Premiere am 30. Januar.

Jennifer O'Loughlin (Gilda), Aris Argiris (Rigoletto) | Bildquelle: Christian POGO Zach

Bildquelle: Christian POGO Zach

Die Kritik zum Anhören

Ist doch gar nicht so schwer, sich über Wasser zu halten: Einfach immer mitmachen, aber nie dabei sein, vor allem nicht mit dem Herzen. So läuft das hier, beim Herzog von Mantua. Täglich eine Orgie, kopulieren, saufen und koksen, notfalls direkt vom nackten Beton, und wer eine Erfrischung braucht, der kann ja im Pool ausrutschen, der ist eh nur zehn Zentimeter tief.

Mitmachen oder abhauen

Es ist eine eisige, brutale und rücksichtslose Männergesellschaft, die hier zugange ist, halb organisiertes Verbrechen, halb Polit-Gangster. Sympathisch ist hier niemand, schon gar nicht der Herzog, der das Leben offenbar als Porno begreift. Und alle anderen geifern, was die Party hergibt. Ja, dieser "Rigoletto" am Münchner Gärtnerplatztheater ist hart und unerbittlich, und dem Wiener Regisseur Herbert Föttinger gelang damit eine beklemmende Inszenierung, die am Ende begeistert beklatscht wurde. Nicht von ungefähr zog der Österreicher Parallelen zum Ibiza-Skandal, ohne das freilich optisch irgendwie anzudeuten. Das war auch gar nicht nötig, jeder weiß, welche Spielregeln unter solchen Machos gelten: Mitmachen oder abhauen.

Rigoletto als skrupelloser Mitläufer

Jennifer O'Loughlin (Gilda), Aris Argiris (Rigoletto) | Bildquelle: Christian POGO Zach Aris Argiris (Rigoletto) und Jennifer O'Loughlin (Gilda) | Bildquelle: Christian POGO Zach Der titelgebende Rigoletto ist hier kein verwachsener Hofnarr, sondern ein skrupelloser Mitläufer, der die lüsterne Bagage bei Laune hält. Ein böser Clown, ein kaltschnäuziger Entertainer. Pech für seine Tochter Gilda, dass sie als einzige ihr Herz mitnimmt in diesen Irrgarten der Lüste und natürlich darin zugrunde geht. Ausstatter Walter Vogelweider hatte eine Art Affenfelsen entworfen, einen Betonbau, in dem Glasbausteine für Sichtschutz sorgen und jede Menge Winkel und Ecken für Leute bereitgehalten werden, die sich verziehen wollen oder müssen. Davor die erwähnte Wasserfläche, in der sich der Unrat dieser kriminellen Bande sammelt: Besoffene, leere Flaschen, Getränkedosen – und bis zur Bewusstlosigkeit gepeinigte Frauen. Ein Kältepol, dieses Mantua, und der Auftragsmörder Sparafucile haust an einer trostlosen Zapfsäule im Nirgendwo, beschienen vom dunstigen Neon-Licht der Peitschenlampen. Das einzige, was hier wärmen könnte, ist der Leichensack.

Wegsehen, wenn Zeugen gebraucht werden

Sehr überzeugend, wie der Männerchor des Gärtnerplatztheaters die aasige Verbrechertruppe spielt und singt: Dumm sind diese Kumpane nicht. Sie tragen feine Anzüge, geilen sich an Videos auf Tablet-Bildschirmen auf und wissen genau, wann es wichtig ist, wegzusehen, nämlich dann, wenn Zeugen gebraucht werden. Dagegen schützen Fetisch-Brillen.

Energisches Dirigat, Überzeugende Solisten

Levente Páll (Sparafucile), Aris Argiris (Rigoletto) | Bildquelle: Christian POGO Zach Levente Páll (Sparafucile), Aris Argiris (Rigoletto) | Bildquelle: Christian POGO Zach Auch musikalisch war es ein ergreifender Abend. Dirigent Anthony Bramall vibrierte förmlich vor nervöser Energie, ihm gelang ein fiebriger, nachtschwarzer Verdi. Unbarmherzig stürmt die Melodie voran, ohne Rücksicht auf Verluste, das passte hervorragend zur düsteren Inszenierung. Die wenigen innigen Passagen kamen da allerdings etwas unter die Räder. Die Solisten überzeugten allesamt: Der griechische Bariton Aris Argiris als Rigoletto hatte zwar einige sehr aufgeraute Passagen, aber das trug nur zu seiner Glaubwürdigkeit bei als Kerl am Rande des Nervenzusammenbruchs. Der rumänische Tenor Lucian Krasznec war als Herzog ein strahlender Tenor mit geradezu akrobatischen Fähigkeiten und ganz fiesen Manieren.

Realistisch ohne Allüren

Jennifer O'Loughlin als Gilda war keineswegs das verträumte, fromme Hascherl, das in dieser Rolle oft zu erleben ist, sondern ein gescheiter und selbstbewusster Charakter, der sich um seine Ideale geprellt sieht und lieber stirbt, als in dieser triebgesteuerten und schwer bescheuerten Gesellschaft alt zu werden. Auch Levente Páll als Auftragskiller und Anna-Katharina Tonauer als dessen Schwester waren ungewöhnlich authentisch, realistisch ohne Allüren.

Nicht romantisch, sondern ätzend

Lucian Krasznec (Herzog von Mantua), Herrenchor, Statisterie | Bildquelle: Christian POGO Zach Lucian Krasznec (Herzog von Mantua), Herrenchor, Statisterie | Bildquelle: Christian POGO Zach Ganz bitter, dieser "Rigoletto" – und ganz wahr, denn unsere immer narzisstischere, frostigere Welt der Gaffer, Raffer und Schadenfrohen ist hier bis zur Kenntlichkeit entstellt. Trost gibt es bei Verdi nur im Himmel, was in diesem Fall ganz und gar nicht romantisch wirkt, sondern eher ätzend. Und genau so war das zugrundeliegende Schauspiel von Victor Hugo, "Der König amüsiert sich", aus dem Jahr 1832 natürlich auch gemeint. Selbstredend wurde es sofort nach der Uraufführung verboten. Die damalige Gesellschaft erkannte sich, und das ist für Dichter immer gefährlich.

Sendung: "Allegro" am 31. Januar 2020 ab 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK

Der Münchner "Rigoletto"

Informationen zu Terminen, Vorverkauf und Besetzung erhalten Sie auf der Homepage des Gärtnerplatztheaters.

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