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Buhorkan für "Fidelio"-Urfassung an der Staatsoper

Nicht "namenlose Freude", sondern Missfallen, das einen Namen trug, herrschte Samstag in der Wiener Staatsoper: Amelie Niermeyers ironische Interpretation von Beethovens "Fidelio"-Urfassung fiel als erster Wiener Höhepunkt im Jubeljahr zum 250. Geburtstag des Komponisten durch. Das Publikum quittierte die durchdachte Regie mit mehrstimmigem Buhchor und behielt sich den Applaus für die Sänger auf.

Die Ausführung des Experiments, die Neuinszenierung der 1805 entstandenen Erstvariante durch Niermeyer parallel neben die bereits 50 Jahre alte Inszenierung der gängigen "Fidelio"-Fassung durch Otto Schenk in den Spielplan zu heben, wurde nicht goutiert - was letztlich überrascht. Schließlich hat der "Fidelio" - in jeder Fassung - zwei gefährliche Klippen, die es in einer heutigen Inszenierung zu umschiffen gilt: Die biedermeierliche Betulichkeit des Singspielauftakts und das für heutiges Empfinden vollends überzogene Befreiungspathos des Finales samt Preisung der treuen Gattin. Und Niermeyer findet für beides eine stimmige Antwort.

Im 1. Akt gelingt ihr, die unpassenden Liebeleien im Rahmen eines riesigen Gefängnisses nicht ins Süßliche abgleiten zu lassen, sondern ihr etwas vom innewohnenden Schrecken zurückzugeben. Dafür hat Bühnenbildner Alexander Müller-Elmau eine stillgelegte Bahnhofshalle entworfen, die zum Gefängnis umfunktioniert eine hektische Betriebsamkeit der Statisterie ermöglicht und zugleich jede Form von romantischer Ruinenverklärung unterbindet.

Weitaus radikaler nutzt die Regisseurin indes ihren Freiraum beim pathosschwangeren Ende. Sie entscheidet sich, nicht den Weg zu beschreiten, die vorgegebene Grundstimmung für heutige Menschen möglichst verdaulich zu gestalten, sondern setzt auf vollends übersteigerte Ironie: Die Heldin Leonore wird bei ihr vom Bösewicht Pizarro tödlich getroffen und fantasiert sich mit ihren letzten - zugegebenermaßen langen - Atemzügen die alles befriedende Lösung samt dauergrinsendem Deus ex Machina in Form des Ministers und der Zentralarie "Namenlose Freude" zusammen.

Alles glitzert, von den Anzügen des Chores bis zum Lamettavorhang im Hintergrund. Das Happy End wird hier als kitschiger Fiebertraum einer Sterbenden ironisiert. Eine Entscheidung, die den freiheitsglorifizierenden Gehalt des Stücks samt Preisung der holden Gattin nicht ernst nimmt und abschwächt, zugleich eine durchaus schlüssige Regieentscheidung, die in sich funktioniert.

Klare Kante zeigt auch der Umgang mit dem einhellig als weitere Schwachstelle identifizierten Sprechtext der Vorlage. So hat Erfolgsautor Moritz Rinke neue Dialogsequenzen geschrieben, die in den meisten Fällen allerdings nicht mehr als stimmige kleine Überleitungen sind. Konsequenter fiel da die Entscheidung aus, den Sprechtext überwiegend Leonore und einer sie spiegelenden inneren Stimme (Katrin Röver) anzuvertrauen. Wie Erfolgsregisseur Nikolaus Habjan mit seinen Puppen die Persönlichkeit der Protagonisten in ihrer Vielschichtigkeit sichtbar macht, wird hier der Hauptfigur ein Alter Ego als Sparringpartnerin gegenübergestellt.

Diese Differenzierung innerhalb der Figur lässt sich auch am Umgang mit der Musik feststellen. Wenn Niermeyer die für heutige Ohren unpassend-leichte "Gold"-Arie Roccos mit dem rauen Gefängnisalltag konterkariert, stellt sich die Bühne bewusst gegen die Vorlage. Zugleich lässt die Inszenierung der Ouvertüre anfangs Raum sich zu entfalten, bevor in einer stummen Sequenz die Vorgeschichte der Verhaftung Florestans und der schockbedingten Persönlichkeitsspaltung Leonores gezeigt wird. Auch geht Niermeyer in der Personenführung respektvoll mit der Musik um, überspielt diese nicht, sondern choreografiert ihre Akteure immer wieder im Rhythmus.

Dennoch traf die dem Befreiungspathos und Liebessehnen gegenüber ironische Herangehensweise beim Publikum überwiegend auf klare Ablehnung, während ein Großteil des Sängerensembles wohlverdienten Applaus erhielt. Die Irin Jennifer Davis überzeugte bei ihrem Rollendebüt als Leonore mit verhältnismäßig schwerem und doch beweglichem Sopran, Benjamin Bruns zeigte einen soliden, im Gegenzug stimmlich verhältnismäßig leichten Florestan und nicht zuletzt Falk Struckmann wurde als stimmgewaltiger Rocco umjubelt.

Die als tougher denn in den meisten Inszenierungen konzipierte Marzelline einer Chen Reiss komplettierte die Habenseite. Einzig Thomas Johannes Mayer fiel in diesem Stimmreigen gänzlich ab und entwarf einen Pizarro, dessen diabolische Qualitäten als Bösewicht dem eines Versicherungsvertreters gleichkamen, während er sich stimmlich vergeblich mühte, über das von Tomas Netopil schwungvoll, mit bisweilen leicht rumpelnd-forscher Verve durch den Abend geführte Staatsopernorchester zu kommen.

In seiner Heterogenität fügt dieser Staatsopernabend dem vielschattierten Mosaik der Werkgeschichte einen weiteren Stein hinzu. Der 1805 in dieser Version uraufgeführte "Fidelio" erlebte gemäß dem schönen Apercu "Beethoven hat nur eine Oper vollendet, die aber gleich drei Mal" noch zwei Umarbeitung, bis 1814 als Director's Cut eben jene stand, die heute die Spielpläne dominiert. Im Haus am Ring wurde das Stück in seiner Drittfassung bereits knapp 1.000 Mal gespielt und erklang auch zur Wiedereröffnung 1955.

Zugleich markiert Niermeyers "Fidelio"-Urfassung nur einen ersten Auftakt im heurigen "Fidelio"-Reigen. Bereits am 16. März folgt im Theater an der Wien Christoph Waltz' Deutung der Zweitfassung "Fidelio oder Die eheliche Liebe", bevor am 22. April Otto Schenks 50 Jahre alter "Fidelio"-Klassiker im Staatsopernspielplan seine Runden dreht. Und für Linz haben Musiktheaterintendant Hermann Schneider und Markus Poschner für den 19. September eine eigene Linzer Dialogfassung mit Texten von Schneider angekündigt. Noch viel Gelegenheit also für namenlose Freude - oder ebensolchen Ärger.

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