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Der gezähmte Beethoven
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Thilo Beu
S'ist Beethovenjahr - aber wie begegnet man dem Phänomen Beethoven zeitgemäß, noch dazu in dessen Geburtsstadt? Die Oper Bonn hat das Jubeljahr spektakulär mit einem hochpolitischen Fidelio in Agitprop-Manier begonnen, bei dem Volker Lösch über etwaige Vielschichtigkeit hinweginszeniert hat, den Unmut der Wächter absoluter Kunst lässig einpreisend. Jetzt legt das Theater nach mit Christus am Ölberge, einem rund einstündigen Oratorium, nicht ganz zu Unrecht ziemlich vergessen. Natürlich fehlt es nicht an den üblichen Rechtfertigungen, ein Werk gegen die Konvention usw., aber gemessen an dem, was Beethoven auf anderen Feldern schuf, mutet das Werk im Gestus bei allen Eigentümlichkeiten dann eben doch ein wenig bieder an. Die Angst Jesu in den Stunden oder Minuten vor der Verhaftung, den qualvollen Tod vorauswissend, zeigt den Zwiespalt zwischen der menschlichen und der göttlichen Natur Christi, im Tenor vertont (mit schöner, geschmeidiger und kraftvoller Stimme im merkwürdigen Zwischenfach, lyrisch und vorsichtig heldisch bewältigt Kai Kluge die Partie bravourös). Ein Seraph ist da der einzig adäquate Gesprächspartner (jubelnd jugendlich mit souverän gemeisterten Ausflügen ins Koloraturfach: Ilse Eerens). Es wäre aus heutiger Sicht wohl spannender, die Partie des Petrus wäre ausgedehnter (Seokhoon Moon überzeugt als draufgängerischer Wüterich). Und einen Chor mit opernhaften Momenten gibt es auch (Chor und Extrachor der Bonner Oper, von Marco Medved bestens einstudiert, deklamieren sorgfältig und bleiben auch beim - verhaltenen - Jubelfinale klangschön).
Musikalisch kann die Aufführung unter der Leitung von Chefdirigent Dirk Kaftan, der sensibel die Zwischentöne sucht, also durchaus überzeugen, auch wenn das Beethoven-Orchester in manchen leisen Passagen arg wacklig wirkt. Was aber fängt man szenisch mit einem Werk an, dass vielleicht in die Zukunft, aber dabei auch in Richtung Biedermeier weist? Die Inszenierung ist der Choreographin Reinhild Hoffmann überlassen, die mangels hauseigenem Ballett ein Ensemble aus Tänzerinnen und Tänzern des Folkwang Tanzstudios zusammengestellt hat. Allzu hohe technische Anforderungen werden nicht gestellt, man tanzt durchweg in der Gruppe, in geschlechtsneutralen silbergrauen Kostümen, zur Verhaftung Jesu mit abstrakten Lanzen bewaffnet - alles sehr hübsch und dekorativ, aber auch sehr, sehr harmlos. Der Chor auf der Bühne, in silbergrau eingefärbter Alltagskleidung, reckt die geballten Fäuste, auch das ist als szenische Aktion nicht weiter der Rede wert. Wer eine choreographische Umsetzung erwartet hatte, wird enttäuscht, denn der Tanz entwickelt keinerlei eigene Akzente.
Christus am Ölberge: Aus dem inzwischen aufgeschlagenen Buch tritt ein veritabler Seraph im Marienblau heraus. Christus geht vor Erstaunen in die Knie.
Gedanklich knüpft die Regie an Beethovens Heiligenstädter Testament an, den unter dem Eindruck der Taubheit an seine Brüder adressierten Brief, in dem er Selbstmordabsichten andeutet: "… solche Ereignisse brachten mich nahe an Verzweiflung, und es fehlte wenig, und ich endete selbst mein Leben - nur sie die Kunst, sie hielt mich zurück …". Diese Passage wird am Ende des Abends auf der Bühne zitiert, eine andere wird zu Beginn des Oratoriums auf die Bühne projiziert. Der leidende Christus wird also mit dem unglücklichen Komponisten überblendet, die Kunst wird zur Religion, der Künstler zum Erlöser. Man muss Reinhild Hoffmann lassen, dass sie dieses bürgerlich-romantische Programm recht gut kitsch- und pathosfrei auf die Bühne bringt, ohne den Christus-Tenor auch nur entfernt nach Beethoven aussehen zu lassen: Das biographische Moment bleibt angedeuteter Rahmen, in dem das Oratorium zu lesen ist.
Weil Christus am Ölberge nicht abendfüllend ist, hat Manfred Trojahn den Auftrag bekommen, einen Prolog zu komponieren. Als Textgrundlage hat er den berühmten Chandos-Brief von Hugo von Hofmannsthal gewählt, den 1902 veröffentlichten fiktiven Brief eines Lord Chandos an den Philosophen Francis Bacon. Der Dichter und Schriftsteller Chandos bringt seine plötzliche Sprachlosigkeit zum Ausdruck, die Unfähigkeit zur weiteren literarischen Produktion in der unzureichenden Sprache (das immerhin mit hofmannsthal'schem Wortreichtum). Jenseits aller literaturwissenschaftlichen Deutungen ist der sprachlose Dichter hier sicher als Pendant zum gehörlosen Komponisten zu sehen, die Krise der Sprache steht spiegelbildlich zur Lebenskrise Beethovens. Reinhild Hoffmann, die auch den (für beide Werke des Abends identischen) Bühnenraum entworfen hat, legt ein überdimensionales Buch vor den grauweißen Rundhorizont, durch dessen eine Öffnung welkes Laub hereingeblasen wird. Das Buch lässt sich aufklappen wie ein Notebook, und wenn Chandos von den Kunstwerken seiner Zeit spricht, werden diese prompt eingeblendet. Ansonsten sind die Seiten des Buches - leer. Eine, nun ja, eher schlichte szenische Umsetzung also, und außer dem sehr nuanciert singenden Bariton Holger Falk, der in den rund 35 Minuten im eleganten Mantel zwischen Sprechgesang und Arioso den Brief rezitiert, ist niemand auf der Bühne, auch kein Tänzer.
Hier wird die Kreuzigung ästhetisch elegant angedeutet
Trojahn hat eine fast immer sehr leise Musik komponiert, die den Text in den Vordergrund stellt und selbst immer wieder in Fragmente zu zerfallen scheint. Sehr apart, aber keine Bühnenmusik, wie auch das "Libretto" nicht für die Bühne gedacht ist. So wird Ein Brief eine ziemlich theoretische Angelegenheit, die bildungsbürgerlich beflissen vor sich hin plätschert. Das Buch des Lord Chandos bleibt dann liegen, daraus werden später der Seraph (im Blau früher Mariendarstellungen) und die Tänzer entsteigen. Inhaltlich wie ästhetisch hat Reinhild Hoffmann für diesen Abend eine geschlossene Form gefunden. Das Halbrund, das die Bühne abschließt, könnte freilich der berühmt-berüchtigte Elfenbeinturm sein, und der politische Beethoven, der noch im Januar diese Bühne beherrschte, ist ganz, ganz fern.
Kompliziert gedacht, letztendlich ziemlich schlicht gemacht - Reinhild Hoffmanns ästhetisch stilvoller Spagat zwischen dem Chandos-Brief und dem Heiligenstädter Testament versandet in gepflegter Langeweile.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Choreographie
Bühne
Kostüme
Video
Licht
Chor
Video
Dramaturgie
Solisten
Chandos ("Ein Brief")
Jesus
Seraph
Petrus
Tänzerinnen und Tänzer*
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