Siegbert Kopp

Es wird heutzutage wieder viel geheiratet. Das freut die Hochzeitsbranche. Für den schönsten Tag im Leben sind die Deutschen zu hohen Investitionen bereit. 30 Prozent wollen für ihre Hochzeit bis zu 5000 Euro ausgeben, zwanzig Prozent blättern sogar bis zu 10 000 Euro hin. Der Bund deutscher Hochzeitsplaner weiß, bei vielen Vermählungen beträgt das Budget bereits 15 000 Euro und mehr. Floristen, Caterer, schicke Locations, ferne Destinations – die Brautmode boomt. Da darf man gespannt sein, wie Promis heiraten. Einer der bekanntesten ist ein gewisser Figaro. Zu dessen Hochzeit komponierte sogar Mozart die Musik, und den Ablauf der Zeremonie arrangierte der italienische Dichter Lorenzo Da Ponte.

Kreuz und quer und queer

„Die Hochzeit des Figaro“ am Theater Freiburg: Das fängt ja gut an hier. Wie Schwanensee, nur anders. Zur brodelnden Melodik der Ouvertüre trippelt ein Ballerina-Trüpplein heran, ganz in Weiß, viel Tüll und Tutu; doch bei genauerem Hinsehen sind es Männer, und in die klassische Attitüde mischen sich erotische Show-Elemente. Das Licht ist auffallend rosarot, und schon ahnt man: Zur Paarfindung im romantischen Sinne wird es hier nicht kommen. Und so lustig kreuz und quer – und vor allem queer – geht es auch weiter. Sehr amüsant mit Mini-Bag: der Koreaner Junbum Lee als tuntiger Diener Basilio. Sehr eindrucksvoll: Doppelgestalten, halb Braut, halb Bräutigam. Sehr wendig, auch stimmlich: Inga Schäfer als Cherubino auf Inlineskates. Sehr aufwendig: Ausstattung und Lichtstimmungen.

Es gibt gleich mehrere Dutzend weißer Bräute. Selbst Männer schlüpfen ins Kleid.
Es gibt gleich mehrere Dutzend weißer Bräute. Selbst Männer schlüpfen ins Kleid. | Bild: Rainer Muranyi / Theater Freiburg

Figaros Hochzeit: Man hat auch in Freiburg einiges springen lassen. Es gibt gleich mehrere Dutzend weißer Bräute. Bühnenbildner Sebastian Ellrich hat einen erstklassig gestylten Salon für Brautmoden entworfen. Es ist ein 1950er-Jahre-Traum in Rosé und Schwarz. Die Drehbühne zeigt in emsigem Wechsel mal den Showroom, mal die Toilette nebenan, mal die nachtschwarze Rückseite sowie mehrere Umkleidekabine mit luftig weißen Vorhängen, alles sehr nützlich für kommende Versteckspiele. Für die betörenden Brautroben ist Kostümbildnerin Sandra Münchow zuständig. Figaro ist Schneider und misst die Kleider aus. Es kommt zu fabelhaften Ohnmachten im Rausch von Tüll und Liebe.

Sie alle sind Braut

Denn Liebe ist in dieser Mozart-Oper ein leichtfertiges Ding der Irrungen und Wirrungen: Hinter der Kammerzofe Susanna, die den Diener Figaro heiraten will, ist der Graf Almaviva her, und in die unglückliche Gräfin ist der junge Page Cherubino unsäglich verliebt. Zum Hochzeitstag spielt das Philharmonische Orchester unter Leitung des neuen Ersten Kapellmeisters Ektoras Tartanis auf, nein, es spielt nicht: Die Musiker erzählen feinsinnig mit, was die Gesangssolisten bis ins Kleinste hinein spielen; die Personenführung ist exzellent. Es kommt zu Intrigen und Kostümwechseln, bis keiner mehr weiß, ob er Männlein oder Weiblein ist. Wie kann es unter diesen Umständen noch zur Paarbildung kommen? Wie kann hier noch anständig geheiratet werden? Am Ende ist jede und jeder eine Braut, ganz in Weiß, aufgereiht zur Chorus Line im gewaltigen Schlusschor.

Inszeniert hat diese verquere Hochzeit der Regisseur Joan Anton Rechi. Entstanden ist, selten genug zu erleben, ein in sich geschlossenes, eigenständiges Gesamtkunstwerk. Mitunter allerdings hat man den Eindruck: Diese Vermählung in Weiß und Rosarot ist lediglich ein kulinarischer Traum aus Himbeeren mit Schlagsahne. Das schleckt sich weg wie eine zuckersüße Torte. Tatsächlich steht eine riesige Hochzeitstorte auf der Bühne. Man singt gemeinsam, füttert sich gegenseitig – und erbricht sich gemeinsam über der Toilettenschüssel, weiß gerundet wie die Torte. Dieser Einfall ist gewagt, aber nicht billig; er zerstört die grundlegende Ästhetik nicht und zeigt kurz kritisch auf: Diese Hochzeitsgesellschaft hat sich an ihrer eigenen Opulenz übergessen.

Hier kommt Tragik ins Spiel

Joan Anton Rechi sieht in seiner Braut-Show nicht alles durch die rosarote Brille. Nach der Pause dunkelt sich das Licht zum Lila und giftigen Gelb ein. Vor allem mit Sarah Traubel als betrogener Gräfin kommt Tragik ins locker-flockige Spiel. Ihre Arien sind von kristallklarer Schönheit und Trauer, wenn sie an ihr verflossenes Glück denkt: „Dove sono i bei momenti“.

Katharina Rückgaber als Susanna mit schwarzer Pony-Mähne ist ein zartes Persönchen, hat aber die Fäden in der Hand und singt die berühmte „Rosenarie“ in ihrer Doppelbödigkeit aus, in wundervoll warmer Linienführung. Wenn die Gräfin und Susanna, beide betrogen, im Duettino singen, klingt es, als seien sie ein Echo voneinander.

Juan Orozco in schwarzer Lederhose und Netzhemd ist ein präpotenter Figaro, fast ein Macho mit hartem Bariton. Sein Gegenspieler, Michael Borth als Graf, ist dagegen ein Gentleman in lachsfarbenem Anzug. Sogar in der Rachearie („Vedrò, mentr‘io sospiro“) behält sein starker, beweglicher Bariton das Gleichgewicht. Mit scheinbarer Leichtigkeit meistern alle zusammen die schwierigen, tumultartigen Ensembleszenen, stimmlich und spielerisch fein aufeinander abgestimmt. Das Publikum spendet langen, starken Applaus.

Die nächsten Vorstellungen: 13., 21. und 23. Februar; 1., 5., 21. und 26. März. Karten und Infos: http://www.theater.freiburg.de