Mit dem Rolls Royce auf Dschungeltour

Brass-Oper verbindet erfolgreich Realismus mit Fantasy: Manuel Rengglis «Dschungel» erhielt nach der Premiere am Samstag im Luzerner Theater zu Recht Sonderapplaus für die Brass Band Bürgermusik Luzern.

Urs Mattenberger
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Erwachsenwerden im Fantasie-Dschungel: Nina Langensand als Mädchen Brahma (Mitte) im Origami-Bühnenbild von Sipho Mabona. Bild: Ingo Höhn (Luzerner Theater, 8. Februar)

Erwachsenwerden im Fantasie-Dschungel: Nina Langensand als Mädchen Brahma (Mitte) im Origami-Bühnenbild von Sipho Mabona. Bild: Ingo Höhn (Luzerner Theater, 8. Februar)

Die erste Brass-Oper der Welt? Nach einem Text von Michael Fehr auf eine Geschichte, wie man sie vom Dschungelbuch kennt? Die jüngste Opernproduktion des Luzerner Theaters hat Sonderklasse allein schon durch den Stoff und das junge Leitungsteam mit Manuel Renggli (Musik), Tom Ryser (Regie) und dem Origami-Künstler Sipho Mabona (Bühne, vgl. Apero vom Montag). Zudem wurden die Sängerinnen und Sänger sowie der Chor des Theaters erstmals begleitet von der Brass Band Bürgermusik Luzern.

Das alles klingt nach einem so trendigen wie lokal verwurzelten Bühnenexperiment. Und die Premiere vom Samstag zeigte, wie sie beides nahtlos zusammenbringt. Das gilt zuallererst für Rengglis Musik, die souverän ganz viele Register zieht.

Eine Oper und doch nicht nur für Opernfreaks

Mal treibt sie mit Schlagwerk leichtfüssig die Handlung an, in der das verwahrloste Mädchen Brahma aus der Stadt und in den Dschungel flieht. Da schlängeln sich die Bässe lauernd dahin und jaulen und flattern mit den Tieren. Die hohen Register mischen exotisches Kolorit bei, in Momenten der Gefahr überlagert sich das vielschichtige Klanggeschehen zu schneidender Schärfe und bläht sich in der utopischen Wendung gegen Schluss auf zum hymnischen Rausch.

Dass die von Michael Bach geleitete Brass Band Bürgermusik Luzern im weitgehend abgedeckten Orchestergraben spielt, hilft nicht nur, die Power der Blechinstrumente gegen die – verstärkten Stimmen auszubalancieren, sondern ermöglicht neben direkt bedrängenden auch wie in weite Fernen gestaffelte Klänge. Zu Recht honorierte das Premierenpublikum das Orchester für diese Top-Leistung zum Schluss mit einem Sonderapplaus.

Damit ist «Dschungel» tatsächlich Oper und kein Musical und wird doch nicht nur Opern-Freaks ansprechen. Denn Renggli nutzt nur für die tragende Rolle der Atlanta-Schlange ausgeprägt ariose Melodien, in denen die grossartige Diana Schnürpel die Überwältigungskraft einer bis in die höchsten Höhen durchdringenden Opernstimme ausspielt. Für die übrigen Rollen wählt Renggli einen mehr oder weniger ausgeprägten Sprachgesang. Dieser bringt handfeste Komik ins Spiel (Hubert Wild als Vogelmensch) und übersetzt in den besten Momenten Fehrs Sprachrhythmik in einen melodischen Flow. Wenn Sarah Alexandra Hudarew sich mit der Knarre als Leibwächterin vom Roten Baron emanzipiert, schillert ihr Gesang zwischen Songstil und Hip Hop, auf den sich Renggli unter anderem beruft.

Psychotrip auf der Origami-Bühne

Opernhafte Höhepunkte sind die Ensemble-Szenen, in denen sich all das mit dem mehrstimmig verschachtelten Rudel-Geheul der Affen oder Hunde oder dem mechanischen Drill des Ameisenchors verbindet – und mit der Stimme des Mädchens Brahma selber. Die Schauspielerin Nina Langensand gibt diesem Trip ein realistisches Zentrum. Wie sie sich vom verwahrlosten Mädchen zur aufbegehrenden, selbstbewussten Frau wandelt, macht durch alle Surrealitäten hindurch klar, dass es sich hier um eine gegenwärtige Geschichte vom Erwachsenwerden handelt. Die Regie von Tom Ryser unterstreicht das mit der Erzählerfigur, die das Geschehen etwas ausführlich vorwegnimmt und rekapituliert, aber auch einen emotionalen Höhepunkt ermöglicht. Wo Walter Sigi Arnold den nüchternen Erzählton verlässt und sich in der Rolle des Panthers Brahma nähert, ergibt sich aus der Sprache heraus eine überraschende sinnliche Liebesszene.

Den Gegensatz zwischen regellosem Dschungel und der ihm bedrohlich näherrückenden Zivilisation, aber auch den Doppelcharakter von Realismus und Fantasy setzt Mabonas Origami-Bühne fantastisch um. In die Höhe schiessende Faltgebilde werden durch Bildprojektionen zu einer Grossstadt-Skyline erweitert, die nach hinten gleitet und raffiniert Fluchtbewegungen simuliert. In den Dschungel-Szenen überwuchern riesige Origamiblätter die Bühne, die das Licht auch mal in einen psychedelischen Farbensog hineinzieht. Alles doch nur eine durch die Pillen des Roten Barons (Vuyani Mlinde) ausgelöste Halluzination? Sicher ist, dass in Opern selten so viel gelacht wird wie hier bei der Fahrt mit dem Rolls Royce durch den Dschungel. Da kann man nur sagen: nichts wie hin.

Nächste Vorstellungen: 14., 16. (13.0/19.30), 19. Februar (bis 3. April).