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„Tschick“ als Oper:  „Wie endbescheuert ist das denn?“

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Auto ohne Straße: Pichlmaier und Festl unterwegs. 
Auto ohne Straße: Pichlmaier und Festl unterwegs. © Robert Schittko

Ludger Vollmers Versuch, Herrendorfs Roman „Tschick“ als Oper zu inszenieren, funktioniert in Darmstadt überhaupt nicht. Aber Maik und Tschick sind klasse.

Erst der Roman, dann der Film und seit drei Jahren die Oper: „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf, vor zehn Jahren erschienen. Jene im Heute spielende Variante des romantischen Aufbruchs aus dem Leben eines Taugenichts. Kleine Fluchten aus grauer Städte Mauern, aus ermüdenden und enttäuschenden Lebensvollzügen. Eine schöne Beschreibung moderner Abenteurerei mit all den märchenhaften Attributen von schüchterner, erster Liebe, verwunschenen Räumen, bizarren Zeitgenossen und den Hütern der Ordnung. Zwei jugendliche Außenseiter, von Herkunft ganz verschieden, die das Außeralltägliche suchen: am Rand der Gesellschaft.

„Tschick“ - Roman von Wolfgang Herrndorf

Das war von Herrndorf 2010 in einem Ton jugendlichen Selbstverständnisses formuliert, den man als authentisch ansehen konnte. 2016 hat dann Fatih Akin den Roman verfilmt, wobei das oft Problematische von Literaturverfilmung kaum ins Gewicht fiel: Die Atmosphäre blieb in diesem Roadmovie erstaunlich gut erhalten. Die schnoddrige, lakonische, versteckt-sentimentale Haltung war in schöner Schwebe und feiner Ambivalenz im Kontext der naturalen und sozialen Lebensräume, die die Jungens auf ihrer Lehr- und Wanderfahrt streiften.

Am Staatstheater Darmstadt kommt jetzt „Tschick“ als Oper Ludger Vollmers, eines 1961 geborenen Komponisten, auf die Bühne. In deren Mitte im Kleinen Haus steht das „Flucht“-Auto, mit den Scheinwerfern zum Publikum gerichtet: darin die Protagonisten wie in einem Fahrsimulator. Schräg gestellte Bühnenränder sollen die Fahrt suggerieren und den Eindruck verwischen helfen, dass eine Road Opera – so die Bezeichnung des Werks – ein schwarzer Schimmel ist. Alles bleibt statisch, kreist um ein stehendes Objekt. Hier wird die realpräsentische Qualität des Mediums Oper zum Fluch.

„Tschick“ - Darsteller sind klasse

Der Handlungsraum ist als dunkler, karger, unfreundlicher Bereich gegenwärtig: von der romantischen Anmutung eines partiell ins blühende, freie Leben Ausbrechens, was Buch und Film so leichthändig gelingt, keine Spur. Trübselig wirkt dieser von Maik und Tschick am Ende ihrer Reise einmal so genannte schönste Sommer ihres Lebens. Das vordergründig Coole auf der Darmstädter Bühne ist fad. Die Akteure sind, wo nicht als pure Karikaturen von Alter, Ordnung, Familiarität gezeichnet, sich selbst überlassen. Die Regie von Kirsten Uttendorf scheint nicht die Absicht gehabt zu haben, sich mit den Schwebungen und stimmungsvollen Momenten von Herrndorf und Akin zu messen: eine gestalterische Fehlanzeige.

Bestrickend in diesem Feld des Hölzernen und Unbeholfenen aber die Sänger der beiden Hauptfiguren, David Pichlmaier (Maik) und Georg Festl (Tschick): exzellent in Stimme und Geste, ohne Anbiederung den Altersunterschied gegenüber den Rollenvorbildern der pubertierenden Helden aushaltend. Die temporär Dritte im Bunde der Ausbrecher ist aus einem containernden Outlaw zu einer eher trendy-haften Pop-Elevin mutiert (Ludovica Bello): stimmlich einen besseren Eindruck machend als in der unbestimmten Interaktion. Trefflich war Tenor Michael Pegher in mehreren kleinen Rollen, ebenso Katharina Persicke. Schöne, hell timbrierte Stimmen boten Karola Sophia Schmid und Lena Sutor-Wernich. Tschicks und Maiks Klassenkameraden, hatten chorisch und tänzerisch ihre eigene Bewegungsdynamik.

„Tschick“ - Veroperung dieses Stoffs

 „Wie endbescheuert ist das denn?“ – die mehrfach im Roman von Maik verwendete Sentenz kam einem in den Sinn, als dann die größte der Fallen einer Veroperung dieses Stoffs zuschnappte: „Du Arschloch“, „Scheiße, Scheiße, Scheiße!“ – Argot, das gesprochen und gelesen so gut funktionieren kann, jetzt in arioser Form gequirlt. Veroperung als Synonym für Verarschung? Ein Thema für sich, das aber nicht wirklich parodistisch über die Rampe kam. Man sang opern-artig: kein Pop, keine Schlager-Süße, kein Rock, kein Techno.

Elemente davon waren in der flächigen und aufdringlichen Musik Ludger Vollmers vorhanden, auch in den Chorbeiträgen der jungen Leute (sehr gute Stimmen vom Jugendchor der Oper und Sängern des Musikvereins Darmstadt e.V.). Ein dauerbreites Klangband mit rhythmischer Musterung, das eher verengend wirkte, überwog in der durchaus klassischen Besetzung des Orchesters, das auch polystilistisch gefasste Idiome präsentierte; souverän vom Staatsorchester unter Michael Nündel realisiert.

Vor Beginn der Vorstellung lasen Mitglieder des Ensembles eine Betroffenheitserklärung zu den Hanauer Morden vor.

Staatstheater Darmstadt: 26. Februar (10 Uhr!), 1., 25. April. www.staatstheater-darmstadt.de

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