Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Ohne Champagner ist diese Welt nicht zu ertragen
Von Stefan Schmöe
/
Fotos von Thilo Beu
Die Fledermaus ist verortet in einem Kurort nahe Wien. Da muss es sich wohl um das Städtchen Baden vor den Toren der großen Stadt handeln, wo dereinst auch Beethoven weilte. Und schon sind die Bonner im Jubeljahr dem großen Sohn ihrer Stadt ganz nah. Bonn bei Wien sozusagen, so kündigt es zu Beginn der Aufführung der Schauspieler Christoph Wagner-Trenkwitz, der später den Gefängniswärter Frosch im sympathischen Wiener Dialekt geben wird, per Lautsprecher an. An Beethoven kommt man gerade halt nicht vorbei, und auf dem Ball des Prinzen Orlofsky haut eine riesige Gestalt auf Stelzen mit Beethovenfrisur mächtig in die Klaviertasten. Rock me Ludwig.
Wenn diese Koproduktion mit den Theatern in Saarbrücken und Dortmund zu anderen Zeiten an anderen Orten gespielt wird, lassen sich die Bezüge schnell wieder streichen, wie auch die (wenigen) aktuellen Pointen. Die vielen fledermausbewährten Wortspiele im (zu lang geratenen) dritten Akt präsentiert Wagner-Trenkwitz mit Charme und Gespür für das richtige Tempo. Die Gefängniszellen sind dann die inzwischen vergitterten Zimmer des setzkastenartigen Wohnhauses der Eisensteins aus dem ersten Aufzug, die Betonstruktur davor gab auch dem Ballsaal des zweiten Aktes den Rahmen, wobei da allerlei herabhängende Pflanzen eine surreale, gespenstische Atmosphäre erzeugten. Zu viel Symbolgehalt sollte man da wohl nicht hineininterpretieren. Wichtiger ist wohl der überspannte Grundton, mit dem sich Regisseur Aron Stiehl und Ausstatter Timo Dentler und Okarina Peter gegen Illusionstheater und Ausstattungsspektakel stemmen und mit Erfolg der Operette etwaige Behäbigkeit austreiben. Sie zeigen eine überdrehte Gesellschaft am Rande des Nervenzusammenbruchs. So fern und abwegig erscheint das nicht.
Rosalinde muss Liebhaber Alfred kuzerhand im Kühlschrank verstecken.
Der erste Aufzug ist geradezu comichaft überzeichnet inszeniert. Rosalinde, ein brodelnder Vulkan hinter abgründiger Brille, will dem Tenor Alfred mit Nachdruck an die Wäsche, und Anna Princepa stürzt sich mit Vehemenz und viel Beineinsatz in die Partie, sehr sexy und reichlich frivol, aber sie meistert das nicht nur darstellerisch brillant, sondern trumpft mit ihrem strahlenden Sopran auf (für ihren Csárdás als vermeintliche ungarische Gräfin fehlt es der Stimme dann ein wenig an Fülle). Das ist überhaupt ein entscheidender Faktor für den Erfolg der Inszenierung: Die durchweg souveränen Gesangsleistungen erlauben es, manchen Klamauk quasi nebenbei einzubauen, ohne allzu sehr darauf zu fokussieren.
Liebhaber Alfred, der als Präsent stolz eine von ihm höchstpersönlich eingespielte Langspielplatte mitbringt, ist trotz Leopardenunterhose von so viel Begierde überfordert; Kai Kluge besticht durch vollen und geschmeidigen Tenor. Großartig singt Johannes Mertes als Rosalindes Gatte Gabriel von Eisenstein, wunderbar selbstverliebt, aber mit bestechender Höhe und großer stimmlicher Präsenz rechtfertigt er das sofort. Giorgios Kanaris ist ein stimmgewaltiger Strippenzieher Falke, und Marie Heeschen eine soubrettenhaft leichte, charmante Kammerzofe Adele. Den geheimnisvollen russischen Prinzen Orlofsky, halb Mann und halb Frau (das zieht sich durch Kleid wie Frisur), gibt Susanne Blattert mit hoher Präsenz. Martin Tzonev als Gefängnisdirektor Frank und Kieran Carrel als Advokat Blind runden solide ein sehr gutes Ensemble ab, das nicht nur prächtig singt, sondern auch mit großer Präzision spielt.
Gefängniswärter Frosch
Man weiß nie so ganz genau, wie ernst die Inszenierung sich selbst nimmt. Da wird Alfred flugs im nostalgischen 50er-Jahre-Kühlschrank versteckt, der nichts enthält als Champagner, offensichtlich das Grundnahrungsmittel. Rosalinde, die höchstpersönlich den Eintopf zubereitet, findet die Fleischeinlage im heimischen Terrarium. Alles ziemlich absurd, und wenn vor lauter Bühnennebel der Feueralarm ausgelöst wird, ist nicht so ganz klar, ob das nun zur Inszenierung gehört (wohl nicht, könnte aber). Stiehl fängt das Publikum schon zur Ouvertüre ein, wenn der Vorhang sich etwa einen Meter hebt und man eine Pantomime (fast) nur aus Beinen sieht. Bärbel Stenzenberger (die als Ida selbst auf der Bühne steht) hat eine flotte und recht unkonventionelle Choreographie geschaffen, die nie richtig greifbar wird, und neben dem Tanzensemble wird auch der (prächtig singende) Chor geschickt eingesetzt. Dabei bleiben, zumindest zwei Akte lang, jederzeit genug Irritationsmomente, die vor falscher Operettengenügsamkeit schützen.
Ein bisschen Mitmachtheater gibt es auch: Für die russische Nationalhymne zu Ehren Orlofskys erhebt man sich (wobei solche androgynen Gestalten dem russischen Präsidenten sicher ein Graus sind, aber das gibt der Szene Witz), ein Karnevalslied darf mitgesungen werden, beim eingeschobenen Radetzky-Marsch (den es nicht gebraucht hätte) auch mitgeklatscht. Aber das sind Ausnahmemomente, denn Kapellmeister Daniel Johannes Mayr dirigiert eine delikate, subtil ausgehörte Fledermaus der schnellen Wendungen, und das aufmerksame Beethoven-Orchester setzt das sehr schön um. Apropos Beethoven: Der ist dann doch schnell vergessen, und seine Fünfte will auch im Gefängnis niemand hören. Er wird's verkraften.
Eine zwei Akte lang herrlich überdrehte, sehr unterhaltsame Fledermaus auf ausgezeichnetem musikalischem Niveau mit vergleichsweise konventionellem Finale.
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Licht
Choreografie
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Gabriel von Eisenstein
Rosalinde
Gefängnisdirektor Frank
Prinz Orlofsky
Alfred
Dr. Falke
Dr. Blind
Adele
Ida
Frosch
Tänzerinnen
|
© 2020 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de