Verdis „Masnadieri“ in München : Hauptsache, es wird schön gesungen
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Klang der Brunst: Charles Castronovo singt Diana Damrau an. Bild: Wilfried Hösl
Giuseppe Verdis selten gegebene Oper „I Masnadieri“ wird zum ersten Mal an der Bayerischen Staatsoper in München aufgeführt. Es ist ein Sängerfest.
Die Scala in Mailand geschlossen, München als Ausweichquartier? Zumindest zeigt sich der Intendant der Bayerischen Staatsoper, Nikolaus Bachler, stets bestrebt, den Ruf Münchens als eines der führenden Sängeropernhäuser der Welt zu verteidigen. Hier gab es bei der Premiere von Giuseppe Verdis „I Masnadieri“ unter der Leitung des Dirigenten Michele Mariotti einen Abend vollendeten Sängertheaters bei samtig-üppigem Orchesterklang und mitgetragen von einem Chor (Einstudierung: Stellario Fagone), der an Präsenz und Wucht weder den Solisten noch dem Orchester nachstehen wollte.
Volle Flucht nach vorn: Das war offenbar die Strategie des Hauses, um die Aufführung von Verdis „I Masnadieri“ überhaupt zu rechtfertigen. Denn die Oper, deren Libretto auf Friedrich Schillers Drama „Die Räuber“ basiert, ist weder bekannt, noch gehört sie zu Verdis besten. Sie entstand unter Verhältnissen, die selbst für den als arbeitswütig geltenden Verdi nur als „höchst kompliziert“ zu bezeichnen sind.
Emotionspralle Musik
1845 hatte Verdi aus London einen Auftrag für eine neue Oper erhalten. Im Laufe der Zeit entschied er sich für den „Räuber“-Stoff und spekulierte darauf, diese Oper auch für einen Auftrag aus Florenz für das Jahr 1847 nutzen zu können. Florenz aber entschied sich für „Macbeth“. Verdi unterbrach die Arbeit an „I Masnadieri“ nach dem ersten Akt, schob „Macbeth“ ein und brachte erst einmal diese Oper in Florenz zur Uraufführung. Dann reiste er nach London und schrieb die „Masnadieri“ fertig. Gleichzeitig saß ihm ein schon 1844 geschlossener Vertrag für eine Oper in Neapel im Nacken (aus dem 1848 „Luisa Miller“ wurde). Nach der Uraufführung der „Masnadieri“ in London im Juli 1847 ging es fünf Tage später zurück nach Paris, zu der, natürlich von Verdi dirigierten, Uraufführung von „Jérusalem“. Da kann doch einmal, durchaus wörtlich, etwas auf der Strecke bleiben. Bei „I Masnadieri“: die dramatische Dichte, die Verdi-typisch kraftvolle Zeichnung der Charaktere.
Dennoch sind die „Masnadieri“ nicht zu unterschätzen. Verdi war ein Mann, der jederzeit über die entscheidenden Komponenten und Eingebungen gebot, um daraus eine funktionierende Oper mit zündender, den Hörer anpackender Musik zusammenzusetzen. Er hätte zwar auch diese Oper besser durchgestalten, die Menge an Konflikten – zwischen den Brüdern Carlo (dem Guten) und Francesco Moor (dem Bösen), deren Vater Massimiliano sowie der zwischen allen stehenden einzigen Frauenfigur der Oper, Amalia – weniger in die Handlung und tiefer in die Personen legen können. Aber unter dem Druck der Zeit vertraute er den Ablauf der Dinge komplett seinem Librettisten Andrea Maffei an, der freilich ein wenig versierter Operndramatiker war. Aus der Fülle an Arien machte Verdi das Beste: emotionspralle Musik, jedem der Darsteller in die Kehle geschrieben, Delikatessen der hohen Kunst des Gesangs.
Und die bekommt man in München auch geboten. Diana Damrau als Amalia und Charles Castronovo als Carlo sind ein Liebespaar auf der Bühne, das sich im Stimmcharakter nahe kommt. Mit großer Strahlkraft, ja, aber immer mit einem dunklen Ton in den Höhen. Gebrochen-sein schwingt darin, Verzweiflung, Ungewissheit. Damrau kommt mit der hochgelegenen, für die extreme Koloraturfestigkeit der Uraufführungs-Amalia Jenny Lind geschriebenen Partie hervorragend zurecht. Sie macht kein Geheimnis daraus, dass entfesselter Koloraturzauber nicht ihre Sache ist. Stattdessen gibt es konzentrierte, präzis gesetzte und geformte Töne, in denen echte Glut schimmert.
Das Gleiche gelingt Charles Castronovo. Er singt wie auf einem einzigen Atem. Einmal angesetzt, wird Castronovos Tenor getragen von scheinbar grenzenloser Energie und herrlich schillernden Farben. Demgegenüber knicken die äußersten Höhen ein, werden nicht nur dunkel, sondern auch etwas stumpf. Das sind aber Luxusprobleme und fallen nur auf, weil die Basis so phantastisch ausgeformt ist. Der Bariton Igor Golovatenko ist ein Francesco von ebenso schneidender wie gewalttätiger Bösartigkeit, offenkundig verschlagen und seine Machenschaften genau kalkulierend. Der Bass Mika Kares als Herrscher und Vater Massimiliano gestaltet seine Szenen mit einer Mischung aus Sorge und geradezu gespenstischer Würde, dass einem rasch Schauer über den Rücken laufen. Zumal er im dritten Akt einen Auftritt mit orgelnd-hohler Stimme hat, der an Mozarts steinernen Gast hat denken lassen. Dass auf Münchens Besetzungsliste hier noch lange nicht Schluss mit Spitzenqualität ist, davon zeugen die kleineren Rollen des Dieners Arminio (Kevin Conners), des Priesters Moser (Callum Thorpe) und des Räubers Rolla (Dean Power).
Und die Inszenierung? Die gestaltete Regisseur Johannes Erath klug, weit entfernt von allem Räuberischen und damit verbundener Natur-Romantik. Alles bleibt in einem fiktiven Palast-Raum aus dem neunzehnten Jahrhundert und damit konzentriert auf das Wesentliche: die optimale Entfaltung der Sänger. Die agieren nicht zuletzt in den Wahnvorstellungen und Schuldgefühlen des Francesco, die ihm Visionen von Carlo und seiner Bande als Gespenster zuspielen. Grellweiß leuchtet ihm der Sarg des vermeintlich getöteten Vaters entgegen, alles im Schwarzweiß einer Szenerie, die aus Nosferatu und der Addams Family vertraut und beliebt ist. Inszenierung und Raum, die den Rahmen setzen, aber keine Hindernisse für ein Sängerfest an der Isar.