Entsetzen und Tumult in der Schule der Liebenden: Bogdan Volkov (als Ferrando), Elsa Dreisig (als Fiordiligi), Marianne Crebassa (als Dorabella) und Andre Schuen (als Guglielmo).

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Kleines Festspielupdate bezüglich Sicherheitslogistik und Selbstverantwortung in Viruszeiten: Im Gegensatz zur Felsenreitschule verfügt das große Festspielhaus über mehr als einen Eingang, weshalb sich vor Così fan tutte draußen keine beunruhigenden Menschentrauben bildeten – wie leider am Samstag gleich daneben vor der Elektra-Premiere. Im Rauminneren dann strenge Anweisung durch das Personal, geregelter Publikumsverkehr. Es schien sich an diesem Sonntag also alles im Rahmen des Vorsichtigen zu bewegen.

Keinerlei Sicherheitsabstand natürlich auf der Bühne: Es rast das Ensemble körperintensiv durch den Palast der Treueprüfung Richtung Lichter der Erkenntnis. Regisseur Christof Loy hätte Così auch bei Berührungs- und Näheverbot sicher intelligent inszeniert.

Voller Kontakt

Besser jedoch, ihm die Freiheit der Distanzlosigkeit in dieser letztlich sehr schnell konzipierten Mozart-Oper gewährt zu haben. Damit kann Loy umgehen: Auf der Spielfläche vor den weißen Riesenwänden (Bühne: Johannes Leiacker) lässt er die Damen zunächst schlafen und, eng aneinandergekuschelt, wohl von der ewigen Liebe träumen.

Fiordiligi und Dorabella ahnen noch nichts von jener Wette, die Opa Don Alfonso gerade mit Guglielmo und Ferrando abschließt. Doch auch Don Alfonso (sehr subtil Johannes Martin Kränzle), vielleicht so eine Art Mix aus Professor und würdevoll gealtertem Don Giovanni, unterschätzt, in welche Regionen der Selbstzweifel und Tiefen der Ernüchterung (bezüglich der Dauerhaftigkeit von Gefühlen) das Spielchen führen wird.

Es wäre so schön

Wenn Fiordiligi später von Liebeshoffnung singt, muss selbst der Don ein Taschentuch zücken, um seiner Sentimentalität Herr zu werden. Es wird selbst ihm kitschig ums Herz, wenn er bedenkt, wie schön es doch wäre zu glauben, Zuneigung hielte ewig. Da wirkt der Alte, als würde er sogar die Wette gerne verlieren. Ja, selbst die unbeschwerte Despina (solide Lea Desandre) erscheint für diesen einen Augenblick melancholisch. Sie, die gerne damit prahlt, an keinem Herrn besonders lange zu hängen.

Dass solch Details im Großen Festspielhaus genauestens wahrzunehmen sind, ist zunächst der Architektur zu verdanken. Die Wände mit ihren zwei Flügeltüren verengen den Riesenraum, und dessen Leere lässt die Figuren dominant erscheinen, ihre Transformation noch unmittelbarer wirken.

Raum des Zweifels

Es trägt diesen Nahkampf der Gefühle vor allem aber Loys gewissenhaftes Ausloten von psychologischen Nuancen. Trotz des Ausstattungsminimalismus kommen nie Gefühle von Leere und Stillstand auf. Ob die Choreografie der Tumulte oder die Darstellung winziger seelischer Regungen und Bebungen: Es herrschte Präzision, Leichtigkeit und ein elegantes Changieren zwischen auflodernder Heiterkeit (ohne Schnenkelklopfer-Klamauk) und Entschleunigung. Sie gibt Wehmut und Zweifeln Raum.

Da wird das Entsetzen Ferrandos (kultiviert und kraftvoll Bogdan Volkov) über die Wankelmütigkeit seiner Fiordiligi zur Tragödie eines Jungen, der sich selbst zuvor als Eroberer Dorabellas aufspielte. Und wenn Fiordiligi über ihre neuen Gefühle staunt, sind es extrem intensive Momente der Selbsterkenntnis, deren musikalische Umsetzung ebenfalls bemerkenswert ist.

Eine Entdeckung

Sopranistin Elsa Dreisig darf als Entdeckung des Abends gelten. Da und dort sind zwar kleine Intonationstrübungen zu hören. Abseits dieser Kleinigkeiten dominiert jedoch eine bemerkenswert tragfähige lyrische Linienführung. Weil wir schon dabei sind: Marianne Crebassa ist als Dorabella kultiviert unterwegs, während Andre Schuen (als Guglielmo) solide wirkt. Natürlich: Die gekürzte, jedoch konzentriert wirkende Strichfassung des Werkes (es durfte ja keine Pause geben) hat den Damen mehr Gestaltungsraum gewährt als den Herren.

In Summe aber alles andere als ein Fragment; auch hinterlässt Loy letztlich keine Beziehungswüste. Es gibt so etwas wie den Versuch einer Versöhnung samt Umarmung, was auch zur freundlichen, aber nicht harmlosen orchestralen Seite des Abends passt. Die Nürnberger Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz entlockt den Wiener Philharmonikern zum einen deren bekannten samtigen Klang.

Jederzeit aber sind musikdramatisch sinnstiftende Akzentuierungen möglich, die zeigen: Hier wird mit den Figuren mitempfunden, nichts wirkt dick aufgetragen oder harmlos behübscht, alles erscheint pointiert zwischen Drama und friedvoller Idylle angelegt. Ein lebendiger facettenreicher Mozart.

Er und die Regie gefielen, nirgends Widerspruch. Man war sichtlich froh, dass endlich etwas stattfand und dies auf so hohem Niveau. (Ljubiša Tošic, 3.8.2020)