Salzburger Festspiele: Männer sind auch nicht mehr das Wahre

Erstmals übernimmt eine Dirigentin im Jubiläumsjahr die Leitung einer Festival-Premiere: Joana Mallwitz macht aus «Così fan tutte» das reinste Mozart-Glück.

Christian Wildhagen, Salzburg
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Bäumchen, wechsle dich: Szene aus «Così fan tutte» bei den Salzburger Festspielen.

Bäumchen, wechsle dich: Szene aus «Così fan tutte» bei den Salzburger Festspielen.

Monika Rittershaus / Salzburger Festspiele

Gibt es ihn wirklich, den anderen, den spezifisch «weiblichen» Blick auf die Musik? Vor einigen Jahren noch hätte die Frage zu allerhand intellektuellem Haareraufen, ja womöglich zu manchem Husarenritt über klischeevermintes Gelände Anlass gegeben. Inzwischen ist die Kulturwelt, hoffentlich, einen Schritt weiter. Denn die Frage erscheint so sinnvoll wie die gegenteilige: nach einem spezifisch «männlichen» Zugriff in der Interpretation. Dass es der «Zugriffe» viele gibt und durchaus so unterschiedliche wie Interpreten selbst, wird indes niemand mehr ernsthaft bezweifeln. Was also sollten Sexus und Gender mit der in erster Linie hochgeistigen Ausübung von Kunst zu tun haben?

Gleichwohl ertappt man sich während der zweiten Opernpremiere der diesjährigen Salzburger Festspiele einen Moment lang bei dem inzwischen ranzigen Gedanken. Zu unerhört nämlich erscheint das, was dort unten im Graben des Grossen Festspielhauses vor sich geht. Die Dirigentin Joana Mallwitz, seit 2018 Generalmusikdirektorin am Staatstheater Nürnberg und davor schon im Alter von 27 Jahren an gleicher Position in Erfurt erfolgreich, dirigiert die Wiener Philharmoniker – bis 1997 immerhin die letzte, mehr oder weniger liebevoll bespöttelte Männerbastion des Musikbetriebs. Gemeinsam interpretieren Mallwitz und die Wiener Mozarts «Così fan tutte» – und wie!

Beharrungsvermögen

Mallwitz ist tatsächlich die allererste Frau, die bei den Festspielen mit der musikalischen Gesamtleitung einer Opernproduktion betraut wird. Als Einspringerinnen sind ihr lediglich 1994 Anne Manson, Claudio Abbados Assistentin, und 2004 die Britin Julia Jones vorangegangen; im Konzertbereich stösst man seit 1998 regelmässig, aber immer noch selten auf die Namen von Frauen am Pult.

Dass es in der zentralen Opernsparte der Festspiele nun erst, im hundertsten Jahr ihres Bestehens, zu einer Zeitenwende kam – die strenggenommen nichts anderes ist als die andernorts längst praktizierte Normalität –, sagt viel über das Beharrungsvermögen des Kulturbetriebs. Jedenfalls in der traditionell extrem dünnen Festival-Höhenluft.

Joana Mallwitz muss diese elitären Massstäbe keineswegs scheuen, obwohl die Umstände der Produktion alles andere als einfach sind. Die Neuinszenierung der «Così» kam überhaupt erst durch die pandemiebedingte Umplanung der Jubiläumssaison in den Salzburger Spielplan. Vorgesehen war das Debüt von Mallwitz diesen Sommer eigentlich in einer Wiederaufnahme der «Zauberflöte». Nun aber – recht so! – gleich der Sprung ins volle Scheinwerferlicht der musikalischen Weltöffentlichkeit. Diese blickt derzeit ohnedies wie gebannt auf den beispielhaften Kampf der Festspiele gegen die Kulturverwüstungen durch das Coronavirus.

Schmerzhaft schön

Mallwitz nutzt ihre Chance eindrucksvoll, getragen von souveräner Werkkenntnis und klarem Gestaltungswillen. Daran müssen sich auch die in voller, aber stilgetreu reduzierter Mozart-Besetzung spielenden Philharmoniker offenkundig erst ein wenig gewöhnen. In den ersten zwanzig Minuten des dramaturgisch klug auf zweieinhalb Stunden ohne Pause verdichteten Abends sucht man einander noch. Im satten Legato der Streicher klingt anfangs wohl auch der üppige Strauss-Ton der fulminanten «Elektra»-Premiere vom Eröffnungstag nach.

Dann aber lichtet sich das Klangbild auf, wird leicht, spielerisch, auch in der Artikulation fast schwerelos. Die historische Aufführungspraxis schärft bei Mozart manches Detail heute stärker, setzt auch in der Tempowahl teilweise auf heftigere Kontraste. Doch Mallwitz hat etwas anderes im Blick: Sie legt ihr Augenmerk auf die tiefe Melancholie, mit der Mozart die nur vordergründig harmlose Beziehungskomödie seiner letzten Da-Ponte-Oper von 1790 veredelt hat. Und wie betörend dieses Spätwerk eines 34-Jährigen klingen kann, das erlebt man in Salzburg in seiner ganzen, fast schon schmerzhaften Schönheit.

Joana Mallwitz bei der Probenarbeit.

Joana Mallwitz bei der Probenarbeit.

Lutz Edelhoff / Salzburger Festspiele

Mallwitz weiss sich dabei im Einklang mit der radikal aufs Wesentliche beschränkten Inszenierung von Christof Loy, der für Salzburg kurzerhand das Konzept einer 2008 in Frankfurt erarbeiteten und mit dem Deutschen Theaterpreis geehrten Produktion weitergedacht hat. Als Kulisse genügen ihm zwei Türen in einer weissen Wand (Bühne: Johannes Leiacker) und eine breite Freitreppe, die in den hochgefahrenen Orchestergraben führt. Darauf nehmen einzelne Protagonisten immer wieder Platz, um halb und halb aus dem Spiel zu treten. Dabei lauschen sie, wie zufällig, auch einigen Musiknummern, die eigentlich nicht für ihre Ohren bestimmt sind.

Zum Verzeihen gereift

Loy kennt nämlich kein Erbarmen mit seinen Figuren, diesen naiven jungen Leuten, die da von dem alten Zyniker Don Alfonso – der überragende Johannes Martin Kränzle als ein am Ende selbst gründlich demontierter Conférencier – im Verbund mit der gleichermassen abgebrühten Despina (Lea Desandre) zum Partnertausch verleitet werden. Die epochentypische Verkleidungskomödie der Mozart-Zeit wird dabei von Anfang an als Staffage vorgeführt, sie dient nur als Vorwand, unter dessen Schutz sich alle Beteiligten mehr oder weniger sehenden Auges in den Abgrund dieses Spiels um Treue, Begehren und Libertinage stürzen.

Die unterschiedlichen Beziehungstypen in dieser «Scuola degli amanti» werden auch dank dem vollendet stimmig besetzten Ensemble so plastisch wie selten: die unbedingt und leidenschaftlich liebende Fiordiligi, von Elsa Dreisig selbstbewusst und mit innig leuchtenden Mozart-Höhen gesungen; ihre Liebesabenteuern viel weniger abgeneigte Schwester Dorabella, deren «Smanie implacabili»-Pathos bei Marianne Crebassa die von Mozart gewollte ironische Doppelbödigkeit bekommt; der von der «aura amorosa» noch selbst kaum wachgeküsste Ferrando, den Bogdan Volkov feinsinnig als Don Juan «im Wartestand» charakterisiert; und der bodenständige Guilelmo, den Andrè Schuen anrührend in seiner wachsenden moralischen Überforderung zeigt.

Sie alle bleiben am Ende als Beschädigte und tief Verletzte zurück. Loy aber hat die Grösse, zum lieto fine die ursprünglichen Paare zusammenzuführen, durch Leid gereift und vielleicht bereit, dem anderen zu verzeihen. Das wirkt wie Balsam in dieser aufgewühlten Zeit, das Publikum reisst es trotz Masken und Sitzabständen zu einhelligem Jubel von den Stühlen. Und Salzburg hat nach der grandiosen Eröffnung mit «Elektra» schon seinen zweiten Operntriumph in diesem besonderen Sommer.

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Auf der Seite https://www.salzburgerfestspiele.at/uebertragungen informieren die Festspiele über geplante Übertragungen der diesjährigen Festivalproduktionen.

Mehr von Christian Wildhagen (wdh)

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