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7 Deaths of Maria Callas | Regie und Bühne: Marina Abramovic | Premiere: 1. September 2020. Foto: © Wilfried Hösl
7 Deaths of Maria Callas | Regie und Bühne: Marina Abramovic | Premiere: 1. September 2020. Foto: © Wilfried Hösl
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Schöner sterben, um zu leben – Marina Abramovićs Opernprojekt „7 Death of Maria Callas“ in München uraufgeführt

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Nein, sie springt nicht aus dem Fenster. Obwohl der musikalische Effekt, mit dem das laute Paris ins nachgebaute Pariser Sterbe-Zimmer der Callas einbricht, geradezu körperlich zu spüren ist. Diese kleine Szene kurz vor dem Ende der jetzt in München mitzuerlebenden Sieben Tode der Maria Callas, wird nicht von den musikalischen Beiträgen von Bellini, Bizet, Donizetti, Puccini und Verdi unterlegt, sondern stammt von Marko Nikodijević, dem komponierenden Landsmann der serbischen Performerin Marina Abramović.

„7 Death of Maria Callas“ ist das „Opernprojekt“ (wie es einigermaßen treffend und relativierend) heißt, zu dem sie der Münchner Intendant Nikolaus Bachler ermuntert und eingeladen hat. Und wenn dann schon mal eine Frau wie Abramović nicht nur Regie und Bühne verantwortet, sondern auch die Ausnahmesängerin auf der Bühne (nicht singend, sondern nur mit ihrem Charisma sprechend) verkörpert, dann kann man das wohl nicht auf ein Haus beschränken, sondern muss es geradezu als Koproduktion mit Berlin (Deutsche Oper), Florenz, Athen und Paris europäisch denken und realisieren. Dass es jetzt, da die Oper als Institution durch das Virus existenziell bedroht ist, zu einem Statement für die Oper geworden ist, legitimiert das vom Premierenpublikum freundlich aufgenommene Unternehmen im Nachhinein zusätzlich. 

Wobei auch der organisatorische Prolog Opernqualitäten hatte. Erst in buchstäblich aller letzter Minute wurde nämlich die starre bayerische Zuschauer-Obergrenze von 200 auf ausnahmsweise 500 erhöht. Markus Söder, der gerne den Corona-Oberbekämpfer für die ganze Republik gibt, hatte ein Einsehen. Am Premierentag wurden ab 10 Uhr morgens die zusätzlichen Karten unter die Leute gebracht. Für Nikolaus Bachler und sein Haus, bei dem die Premieren immer ausverkauft sind, ist das kein Problem. Abstandsregelgemäß wirkte das Haus so doch noch einigermaßen gefüllt. Es wäre ein merkwürdiger Nachgeschmack geblieben, wenn man in dem 2100 Plätze fassenden Nationaltheater nach der Lehrvorführung, mit der die Salzburger Festspiele gerade gepunktet haben, starr an der 200er Grenze festgehalten hätte.

So konnte das eigentlich schon für April geplante „Opernprojekt“ „7 Deaths of Maria Callas“ als Zeichen der Hoffnung über die Bühne gehen. Für die bekennende Callas-Verehrerin Marina Abramović erklärtermaßen ein persönliches Anliegen. Geboten wird genau das, was der Titel vermuten lässt: kurz vor ihrem eigenen Tod – der auf der Bühne zur laufenden Nummer 8 wird – ziehen die berühmtesten Bühnentode dieser Ausnahmesängerin des 20. Jahrhunderts an deren innerem Auge vorbei. Während Marina Abramović als Maria C. regungslos auf dem Totenbett liegt, marschieren sie allesamt in mausgrauer Tracht auf und liefern ihren Beitrag zu diesem „schöner Sterben mit Musik“ ab: Hera Hyesang Park das „Addio del passato“ der Violetta Valéry aus Verdis „La traviata“, Selene Zanetti „Vissi d’arte“ aus „Tosca“, Leah Hawkins Desdemonas „Ave Maria“ aus „Otello“, Kiandra Howarth das „Un bel dì vedremo“ der Cio-Cio-San aus „Madama Butterfly“, Nadezhda Karyazina die „Habanera“ aus Bizets „Carmen“ und Adela Zaharia Lucia Ashtons „Il dolce suono“ aus „Lucia di Lammermoor“. Das gelingt ohne den Stückkontext mehr oder weniger überzeugend. Lauren Fagan schließlich muss sich dann mit dem „Casta Diva“ aus Bellinis „Norma“ sogar dem direkten Vergleich mit der Callas selbst stellen. In einer Einspielung aus dem Jahre 1954 hat diese das sozusagen letzte Wort des Abends. Maria singt bei geschlossenem Vorhang, sparsam umschmeichelnd begleitet vom abstandsaufgelockert in den ersten Parkettreihen platzierten Bayerischen Staatsorchester unter Leitung von Yoel Gamzou. An der Rampe dahinter versucht Marina im goldnen glitzernden Gewand und mit großer Geste, dazu das Bühnencharisma der Callas zu imaginieren.

Verbunden werden diese Todes-Arien mit Videos, die auf die jeweilige Figur und ihr Ableben vorbereiten. Abramović raunt assoziative Texte aus dem Off, die von ihr und Petter Skavlan stammen. Zugespielt wird auch ein atmosphärisch illustrierender Sound, mit dem sich Nikodijević gegen das italienische Opernpathos zu stemmen versucht. Ohne ihm wirklich zu entkommen. Am Ende begleitet seine Musik den von Abramović mit sparsamer Gestik selbst „performten“ Tod der Callas, vor dem sie das Bett verlässt, das Fenster öffnet und das lichte und klingende Paris mit großem Klangeffekt ins Zimmer lässt. Dabei zählt sie ihre Schritte und entschwindet – schlicht und einfach ins Bad. Eine Performance-Erleuchtung war das nicht.

Eine Pointe liefern die 7 Sängerinnen, die jetzt als Putzkolonne auftauchen, alle irdischen Spuren wegräumen, das Zimmer desinfizieren und alle Möbel und Spiegel mit schwarzen Tüchern verhängen. Das ist im Grunde unspektakulär und vorhersehbar gebaut. Eine eigene ästhetische Qualität beanspruchen die Videos, bei denen Nabil Elderkin Regie geführt hat. Hier ist neben Abramović auch Hollywoodgröße Willem Dafoe (er war schon 2012 ihr Partner in Robert Wilsons „The Life and Death of Marina Abramović“) zu sehen. Er sitzt am Bett, wenn Violetta stirbt. Sie springt als Tosca nicht von der Engelsburg, sondern in Zeitlupe und im Gegenwind von einem Wolkenkratzer geradewegs auf ein Autodach. Otello legt Marina-Desdemona eine würgende Riesenschlange um den Hals. Butterfly spaziert mit Dafoe durch eine verstrahlt zerstörte Landschaft, bis sie sich den Schutzanzug aufreißt und mit entblößter Brust tot zu Boden sinkt. Als Carmen bleibt sie gefesselt, erstochen und im bedeutungsschwangeren Torero-Kostüm am Boden. Und als Lucia zertrümmert sie im aufziehenden Wahnsinn alle Spiegel, also sich selbst bis aufs Blut. Als Norma schließlich schreitet sie an der Seite des als Frau kostümierten Dafoe endzeitdräuend auf ein loderndes Feuer zu. Dazu immer wieder Wolkiges aller Couleur. Für sich genommen sind das alles Hingucker, aufs Ganze gesehen aber doch eher Behauptungen, die in wabernden Wolkengebirgen schweben.

Die Oper neu erfunden hat Abramović damit nicht. Gleichwohl gilt auch für München: heutzutage ist noch jeder Vorhang, der sich hebt, ein Erfolg. Das Münchner Best-of Projekt von Abramović hat seine Wohlfühlqualitäten ohne Verstörungsgefahr. Es ist eine Koproduktion mit der Deutschen Oper Berlin, dem Maggio Musicale in Florenz und den Nationalopern in Athen und Paris.

Am Ende fragt man sich, ob das alles ein Opern-Best-Of war, und gerne eine Best-of Oper wäre? Wer weiß. Vielleicht sind diese Tode auch „nur“ eine ganz persönliche Hommage einer der bedeutendsten lebenden an eine übergroße tote Künstlerin. Aber die ist ja nicht wirklich tot.

  • Am 5. September folgt die kostenlose Live-Übertragung der Vorstellung auf STAATSOPER.TV in Kooperation mit BR-Klassik und ARTE concert.
  • Wieder am 3., 5. und 6. September an der Bayerischen Staatsoper in München.

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