Eine knappe Woche nach der Eröffnungspremiere stand in der Wiener Staatsoper nun die dritte Vorstellung der Madama-Butterfly-Serie am Programm. Das Zusammenspiel von Sängern, Orchester und Dirigent hat sich in den ersten beiden Vorstellungen erwartungsgemäß auf einem hohen Level eingependelt, allerdings vermochte der Abend trotzdem nicht wirklich zu ergreifen.

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Asmik Grigorian (Cio-Cio-San) und Freddie De Tommaso (Pinkerton)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper GmbH

Asmik Grigorian ist eine beeindruckende Singschauspielerin, die auch diese Rolle exzellent singt, eine anrührende Cio-Cio-San ist sie jedoch nicht; ihre Butterfly fasziniert und erschüttert, lässt aber die Tränendrüsen kalt. Im ersten Akt ist sie weder stimmlich noch darstellerisch die naiv-träumerische Braut, was die dramatische Fallhöhe der Figur drastisch verringert, denn angesichts einer bei der Hochzeit bereits latent depressiven Butterfly schockt der finale Suizid dann nicht wirklich. Auch die Stimme schien sich im ersten Akt noch nicht ganz wohlzufühlen bzw. auf Betriebstemperatur zu sein: geriet bei der Premiere das abschließende hohe D in der Auftrittsszene bereits mehr scharf als schwebend, ließ Grigorian den Ton an diesem Abend überhaupt aus, indem sie den von Puccini in der ersten Fassung notierten Schluss sang. Und auch im Liebesduett wollte die vokale Gestaltung nicht so recht lyrisch-zart klingen. In den dramatischen Szenen des zweiten und dritten Akts lief Grigorian dafür aber später umso mehr zur Höchstform auf, hier konnte sie mit ihrer robusten Mittellage die fatalistische Entschlossenheit und die pure Verzweiflung mit dramatischen Ausbrüchen und einer ganzen Palette an düsteren Klangfarben fesselnd vermitteln. Mit Strauss-gestähltem Sopran geriet etwa das „Un bel dì vedremo” zu einem trotzigen Glaubensbekenntnis, die Sterbeszene gestaltete Grigorian stimmlich nicht als aufbrausende Verzweiflungstat, sondern als ruhig und bewusst gewähltes Ende.

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Asmik Grigorian (Cio-Cio-San)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper GmbH

Mit allem, was die tenorale Attacke so hergibt, warf sich Freddie De Tommaso in die Vorstellung. Überschwänglich wurden da Höhen geschmettert und Töne extra lang gehalten, sodass es eine reine Freude war. Das Timbre des Italo-Briten ist klar und strahlend, was das Feintuning der Interpretation und die dezenteren Nuancen seiner Stimme angeht, wird der Jungspund im Ensemble in den kommenden Jahren wohl noch etwas nachschärfen. Ebenso unbekümmert wie er singt, bringt er auch darstellerisch den Pinkerton auf die Bühne: In dieser Interpretation ist es völlig unmöglich, für diesen Mann auch nur einen Hauch von Sympathie zu empfinden – als Elefant im Porzellanladen der Kulturen, der sich zu seinem Japan-Aufenthalt mal eben eine junge, hübsche Frau dazubucht, stellt De Tommaso diesen Charakter dar. Den empathischen Gegenpol bildete der Sharpless von Boris Pinkhasovich, der mit warm timbrierten Bariton die Stimme der Vernunft und des Respekts in die Geschichte einbrachte. Seine stärksten Momente hatte er im zweiten Akt, als er mit der Überbringung der schlechten Nachricht haderte und sämtliche widersprüchliche Gefühle des Konsuls in wenigen Phrasen vokal auf den Punkt brachte. Ungewohnt kühl – sowohl in Bezug auf die Stimme als auch auf die Darstellung – wirkte die Suzuki von Virginie Verrez; fies und hinterhältig zeichnete Andrea Giovannini den Goro. Drei Mitglieder des Opernstudios durften als Kate Pinkerton (Patricia Nolz), Fürst Yamadori (Stefan Astakhov) und Kaiserlicher Komissär (Michael Rakotoarivony) Staatsopernluft schnuppern und erledigten ihre Aufgabe dabei mehr als nur ordentlich; einen sehr guten Tag erwischte auch der Chor.

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Asmik Grigorian (Cio-Cio-San)
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper GmbH

Es mag paradox klingen, aber der neue Wiener Musikdirektor Philippe Jordan dirigierte Puccinis Werk tatsächlich zu exakt. Formal kann man ihm und dem Orchester der Wiener Staatsoper wirklich nichts vorwerfen, denn jedes Aufwallen, jedes Piano, jede Farbe saß; genau das war jedoch gleichzeitig das Problem. Denn ohne die leidenschaftliche Italianità, bei der auch mal das Herz das Hirn überholt und die Rubati locker sitzen, seufzen eben die Streicher auch nicht ganz so herzzerreißend, der Klang betört nicht mit purer Emotion und die Geschichte wirkt distanzierter als intendiert.

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Madama Butterfly
© Michael Pöhn | Wiener Staatsoper GmbH

Die Inszenierung von Anthony Minghella ist für Opernfans dank mehrfacher Präsenz bei Met-im-Kino-Übertragungen bereits eine alte Bekannte; 2005 erlebte sie in London ihre Premiere, nun ist sie in Wien gelandet. Dass hier ein Filmregisseur am Werk war, merkt man vor allem daran, dass die Produktion auf Aufnahmen am besten funktioniert. Einige der stärksten Bilder – etwa die herrlich kitschigen Lampions inklusive Blütenregen im Duett des ersten Akts oder die Sterbeszene der Butterfly – wirken live im Opernhaus längst nicht so überwältigend wie auf einer großen Leinwand. Ein optischer Genuss ist die Inszenierung natürlich trotzdem, denn sie ist elegant ohne kühl zu wirken und werktreu ohne verstaubt zu sein. Ein weiterer Vorteil für die Wiener Staatsoper ist fraglos die Repertoiretauglichkeit der Inszenierung, denn beinahe jede international gefragte Sängerin, die die Cio-Cio-San im Repertoire hat, ist schon einmal in dieser Produktion aufgetreten. In kommenden Vorstellungsserien wird sich somit also bestimmt auch der ein oder andere höchst emotionale Abend ergeben.

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