Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais Lebenslauf liest sich nahezu so spannend, wie seine Werke selbst. Der französische Uomo universale war ein wahres Kind seiner Zeit: Freidenker, Aufklärer und Lebemann. Neben zahlreichen Tätigkeiten, von Uhrmacher über Verleger, bis hin zum Geheimagenten, ist er heute vorrangig für seine Bühnenwerke bekannt. Mit den zwei der wohl bekanntesten Opernadaptionen aus seiner Trilogieespagnole eröffnet das Staatstheater Wiesbaden seine neue Spielzeit: Rossinis Il barbiere di Siviglia und Mozarts Le nozze di Figaro. Letztere Oper dieses Beaumarchais-Diptychons nahm sich Intendant und Regisseur Uwe Eric Laufenberg an – das Chef-d'œuvre wird zur Chefsache!

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Anna El-Khashem (Susanna) und Konstantin Krimmel (Figaro)
© Karl und Monika Forster

Das historisch nicht ganz stichhaltige „jus primae noctis” (Recht der ersten Nacht), die Machtverhältnisse zwischen den Personen unterschiedlicher Klassen und die Thematisierung der Ideale der Aufklärung machen Le nozze di Figaro zu einer gesellschaftskritischen Parabel, einer nur scheinbar heiteren Komödie, der es mit Feingefühl und überzeugender Personenführung zu begegnen gilt. Mozart und da Ponte schufen menschliche, komplexe Figuren, die ein Spiegel ihrer Zeit sind, uns aber in ihrer Zeitlosigkeit auch heute noch den Spiegel vorhalten können.

Mit dieser Komplexität scheint man jedoch überfordert, denn die Inszenierung hat wenig erhellenden Tiefsinn zu bieten – stattdessen muss man sich mit Klamauk und ein paar seichten Witze begnügen, während viel gestikuliert, herumgerannt und mit Türen geschlagen wird. Von eindringlicher Personenregie keine Spur. Das Bühnenbild von Gisbert Jäkel erinnert an die Entstehungszeit des Werks, beziehungsweise was das Requisitenlager des Theaters hergab und weitestgehend an Rokoko-Interieur erinnert. Zwischendrin treten die Figuren in moderner Kleidung auf. Warum Laufenberg die historisch anmutende Szenerie immer wieder mit neueren Details gespickt hat, wird nicht ersichtlich.

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Heather Engebretson (Cherubino) und Konstantin Krimmel (Figaro)
© Karl und Monika Forster

Dieses beliebige Arrangement von Kostümen und Bühnenbild schreit eher nach Kitsch als Kunst, da ist es den engagierten und stimmlich überzeugenden SängerInnen zu verdanken, dass es dennoch ein lohnenswerter Abend wurde. Das wunderbar homogene auftretende Ensemble des Staatstheaters Wiesbaden machte mangelnde Personenführung durch ansteckende Spielfreude wett.

Allen voran brillierte Anna El-Khashem, die letztes Jahr den 1. Platz beim Internationalen Gesangswettbewerb Neue Stimmen belegte. Ihre Susanna zeichnete sich durch mitreißende Darstellung aus, die sie mit schwereloser Sopranstimme und zarten Pianissimi ergänzte. Ebenso auch Konstantin Krimmel als Figaro, der neben charaktervoller und fester Stimme auch eine differenzierte Rollengestaltung anbot.

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Benjamin Russell (Graf Almaviva) und Anna El-Khashem (Susanna)
© Karl und Monika Forster

Geschmacklos gekleidet, wie ein dem englischen Landadel entsprungener, Boris Johnson nicht unähnlich aussehender, Wüstling, stellte Benjamin Russell einen ungehobelten Almaviva dar, der sich rücksichtslos nimmt, was er will. Kontrastierend dazu wartete er in dieser Partie mit deutlicher Artikulation und einer variationsreichen, kraftvollen Baritonstimme auf. Slávka Zámečniková ergänzte die hervorragenden Stimmen mit ihrem zarten und eleganten Sopran.

Alle Paare waren wunderbar aufeinander abgestimmt und eingespielt. Sowohl Franziska Gottwald und Wolf Matthias Friedrich als Marcellina und Bartolo, die ihre Figuren gekonnt komisch überzeichneten, als auch Heather Engebretson und Stella An als Cherubino und Barbarina, die mit hinreißendem Charme spielten.

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Konstantin Krimmel (Figaro) und Franziska Gottwald (Marcellina)
© Karl und Monika Forster

Sowohl die Sommerpause als auch die Corona-induzierten Vorstellungsausfälle konnten das Orchester unter Leitung Konrad Junghänels leider nicht zu neuen Höchstleistungen beflügeln. Statt die Freude, wieder musizieren zu dürfen, in die Musik zu übersetzen, war aus dem Graben zwar eine solide Interpretation, aber wenig Überraschendes zu hören. Junghänel setzte auf einen breiten Klang mit langsamen Tempi, so langsam, dass die SängerInnen in manchen Passagen Mühe hatten, sich dem Tempo anzupassen. Das Orchester, deutlich dezimiert, hielt die gängigen Abstandsregeln, mitunter mit Trennwänden, ein, die jedoch die Akustik deutlich schmälerten. Allzu oft hörte man nur einzeln vertretende Instrumente heraus, die sich nicht in einen homogenen Orchesterklang einfügen konnten.

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Heather Engebretson (Cherubino) und Slávka Zámečníková (Gräfin Almaviva)
© Karl und Monika Forster

Dass Opernaufführungen auch in der neuen Spielzeit nur unter strengen Hygiene- und Abstandsregeln stattfinden können, macht jeden Opernabend zu einem besonderen und schätzenswerten Erlebnis. Während viele Opernhäuser ihre Vorstellungen aus verschiedenen Gründen kürzen, zeigt Wiesbaden gleich mehrere Produktionen in voller Länge. Nur etwa 200 ZuschauerInnen sind pro Vorstellung im großen Saal des Staatstheaters zugelassen. Es bleibt zu hoffen, dass sich bald wieder der reguläre Spielbetrieb anbieten lässt – sowohl in Wiesbaden, als auch in anderen Häusern – da diese Pandemie besonders für MusikerInnen und KünstlerInnen im Kultur- und Theaterbetrieb eine besondere Zerreißprobe darstellt. Das Staatstheater Wiesbaden geht hier immerhin mit gutem Beispiel voran, eine Art Normalität herzustellen.

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