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Staatstheater

Szenische Komposition von Mauricio Kagel


in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 40' (keine Pause)

Premiere im Opernhaus Bonn am 12. September 2020
(rezensierte Aufführung: 20. September 2020)


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Theater Bonn
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Beethovens Liebesleben, unter anderem

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu

Der erste gesungene Laut, den man an diesem Abend hört, ist so etwas wie "omm", und das freut uns als Herausgeber dieses Magazins natürlich sehr. Einen bedeutungsvollen Text gibt es im Staatstheater darüber hinaus nicht; gesungen werden nur sinnfreie Laute und Buchstabenverbindungen, wie es auch keine Handlung gibt. Mauricio Kagel spielt in dem 1971 an der Hamburgischen Staatsoper uraufgeführten Werk mit den Grundelementen der Gattung Oper. Statt der üblichen Redundanzen - Musik, Text und Szene beschreiben im Prinzip dasselbe - isoliert er die Elemente. Die überwiegend graphisch gehaltene Partitur legt dabei vieles eben nicht fest, sondern gibt Anleitungen für opernhafte Momente. Kein Inhalt, kein Text, keine fest vorgeschriebene Musik: Das rührt scheinbar an den Grundfesten der Oper, auch wenn es Kagel letztendlich darum ging, das eigentlich Wesenhafte dieser Kunstform herauszukristallisieren. Bei der Uraufführung war das ein Skandal; fast 50 Jahre später droht die Gefahr der Musealisierung: Die genussvolle Betrachtung einer Empörung in alten Zeiten. Das will die Bonner Oper unbedingt vermeiden, und so geht sie ziemlich frei mit der Partitur um, erfindet ihre eigene Version, und da darf es sogar wieder so etwas wie Handlung geben.

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Kagel war kein Revolutionär, der die Opernhäuser anzünden oder die Gattung sprengen wollte, und auch Jürgen R. Weber, Regisseur oder besser: Neuschöpfer dieses Staatstheaters, hat alles andere als Kritik an der Gattung im Sinn. Vielmehr hat er einen ziemlich poetischen Abend geschaffen, der sich auf verschiedenen Ebenen abspielt. Da ist natürlich die eigentlich getilgte Handlung, die sich Weber zurückerobert, und die geht in seiner Version ganz grob so: In Bonn wird gestritten, ob städtische Gelder in die Sanierung der Schwimmbäder oder der Oper fließen sollen; zwischen den zerstrittenen Parteien entwickelt sich eine handfeste Romeo-und-Julia-Romanze mit tödlichem Ausgang, und am Ende steht, ein Wunder, die Auferstehung und die Versöhnung. Das wird bunt und comichaft angedeutet, und weil es keinen Text gibt, der stört, geht das pantomimisch auch ganz gut auf. Als Grundfrage nach der Daseinsberechtigung von Oper variiert das Konzept ja auf seine Art und Weise Kagels Fragestellung, ist also nicht völlig von der Vorlage gelöst. Der "echte" Kagel lauert im Untergrund, also in der Unterbühne, die in regelmäßigen Abständen hochgefahren wird. Dort stehen Akteure mit geometrisch anmutenden Kostümen, figurale Skulpturen; sie tragen Metronome, die asynchron gestartet werden; da gibt es eine Figur, die am ganzen Körper mit Tamburinen bekleidet ist, die gelegentlich angeschlagen werden - das ist die Bilderwelt der Uraufführung.

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In Bonn darf Beethoven nicht fehlen, zumal im Jubiläumsjahr. Eine Gipsbüste des Meisters ist schnell zerschlagen. In Videosequenzen sieht man Frauenhände, die mit einer Beethoven-Figur spielen, auch mit einer unbekleidete Frauenfigur, und mit beiden Figuren werden allerlei erotische Stellungen durchgespielt - Sex mit Beethoven, das ist ein durchaus origineller Ansatz im Beethoven-Jahr. Auf der Bühne gibt es ein Defilee einschlägiger Theaterfiguren, was zum lustigen Stücke-Raten einlädt (das wiederum ist ziemlich nahe an Kagels Konzeption). Eine große und bühnenfüllende Wand, wie ein begehbarer Setzkasten, deutet auf der einen Seite Schwimbadwelten wie von David Hockney gemalt, auf der anderen Seite einen Theatervorhang (aus Requisiten aller Art collagiert) an - Bühnenbildner Hank Irwin Kittel hat damit ein chiffrenreiches Janusbild geschaffen. Kurz: es ist viel zu sehen, aber das ist ja ein Markenzeichen Jürgen R. Webers. Und die Phantasieräume, die sich hier auftun, sind natürlich ein starkes Plädoyer für die Wunderwelt Theater.

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Es wird aber auch vorzüglich musiziert. Viel Musik wird elektronisch eingespielt, das ist bei Kagel schon so vorgesehen. Sieben Musiker sind - immer mal wieder - live auf der Bühne, von Plexiglaswänden eingehüllt (und oft tragen die Statisten auch Masken; zudem hantieren alle Sänger mit halbmeterlangen Greifzangen, sichtbarer Ausdruck des Corona-Abstands-Gebots). Und das Ensemble singt prächtig, mit Marie Heeschen und Kieran Carrel als strömend lyrischem Liebespaar, mit Yannick-Muriel Noah als zupackender Intendantin in Primadonnen-Manier und Tobias Schnabel als baritonal sehr präsentem Oberbademeister. Auch die übrigen Sängerdarsteller (Ankara I. Bartz, Giorgos Kanarisch, Marie Busch und Laszlo Helbling) fügen sich prächtig ein, und unter der Leitung von Kapellmeister Daniel Johannes Mayr klingt das alles ausgesprochen souverän.

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Und die Musik selbst? Vom Band kommen immer wieder Phrasen, die aus einer romantischen Oper stammen könnten, die prototypisch für die Opernkultur stehen. In den Gesangspartien hat Kagel auf faszinierende Weise den Gestus bestimmter Situationen (wie dem Liebesduett) herausdestilliert, ohne das Genre zu parodieren. Dabei verzichtet er nicht nur auf sinnstiftenden Text, sondern auch auf Melodie und Rhythmus. Kagel befreit sich von der Konvention, schafft aber gleichzeitig immer wieder opernhafte Situationen. Daher greift der gern verwendete Topos der "Anti-Oper" viel zu kurz. Eher wird die Oper aus einem Korsett befreit. Die Regie tut gut daran, diesen Ansatz Raum und Zeit zu lassen, auf Klamauk zu verzichten und lieber Rätsel zu formulieren als zu beantworten. Mit den von Kagel festgelegten 100 Minuten Spieldauer (ohne Pause) hat das Werk coronataugliche Dimensionen (und dass nur ein Viertel der Plätze im Opernhaus besetzt werden dürfen, ist bei Kagel wohl zu verschmerzen - mit dem ganz großen Besucheransturm war sicher nicht zu rechnen). Von den in der hier besprochenen zweiten Vorstellung Anwesenden gab es intensiven Beifall. Ach ja, und dass es zwischendurch die Lautverbindung "Schmö" zu hören gibt, das freut den Verfasser dieser Zeilen dann auch.


FAZIT

Wie viel echt kagelsches Staatstheater in dieser Produktion steckt und wie viel Freiräume die überbordende Phantasie des Regie- und Ausstatterteams mit eigenen Ideen besetzt hat, darüber kann man streiten - oder auch nicht, weil Kagels Ansatz diese Öffnung in gewisser Weise mitbringt. Herausgekommen ist eine tolle Aufführung, die immer wieder staunen lässt.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Daniel Johannes Mayr

Inszenierung
Jürgen R. Weber

Bühne
Hank Irwin Kittel

Kostüme
Kristopher Kempf

Licht
Friedl Grass

Einstudierung Jugendchor
Ekaterina Klewitz


Kinder- und Jugendchor des
Theater Bonn

Beethoven Orchester Bonn


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Die Intendantin
Yannick-Muriel Noah

Die Tochter der Intendantin
Marie Heeschen

Regisseur
Giorgos Kanaris

Oberbademeister
Tobias Schabel

Sohn des Oberbademeisters
Kieran Carrel

Unabhängige Ärztin
Anjara I. Bartz

Oberamtsleiter
Ludwig Grubert

Die Tochter der Intendantin als Kind
Heloise Gilhofer /
* Marie Busch

Sohn des Oberbademeisters als Kind
* Laszlo Helbling /
Maximilian Teschner



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