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Die Zauberflöte

Oper in zwei Aufzügen
Libretto von Emanuel Schikaneder
Szenische Einrichtung nach einer Konzeption von Michael Hampe
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart


in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Premiere im Staatenhaus Köln-Deutz (Saal 1) am 3. Oktober 2020


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Oper Köln
(Homepage)

Zu viel Sehnsucht nach dem starken Herrscher

Von Stefan Schmöe / Fotos von Paul Leclaire

Beginnen wir mit einem völlig anderen Stück, ja einem anderen Genre: Dem Musical, und zwar der Rocky Horror Show. Da gibt es einen Erzähler, und es ist eine schöne Tradition, selbigen bei jedem Auftritt mit einem beherzten „langweilig“ oder „boring“ niederzuschreien. Auch in dieser Zauberflöte gibt es einen Erzähler, den hat Regisseur Michael Hampe hinzugefügt. Tenor Martin Koch (der auch souverän den zweiten Priester singt) spielt die Partie, und im Grunde macht er seine Sache ganz ordentlich. Und doch möchte man ihm ein „langweilig“ zurufen, denn die Figur ist unnötig, ja störend, denn sie bremst eine ohnehin reichlich betulichen Inszenierung noch zusätzlich aus.

Szenenfoto

Überflüssig: Der zweite Priester (Martin Koch) verwandelt sich in einen Erzähler und doziert darüber, was es mit dem "siebenfachen Sonnenkreis" (rechts) auf sch hat.

Diese Kunstfigur bricht die ansonsten märchenhaft naiv und schlich erzählte Handlung auf und kommentiert die Inszenierung mit Blick auf die Einschränkungen, die es bedingt durch die aktuell herrschende Pandemie gibt: Mindestabstand auf der Bühne, daher unsichtbarer Chor undsoweiter. Das wirkt aus zwei Gründen vor allem so, als fühle sich der Regisseur persönlich beleidigt vom Virus: Zum einen dürfte auch dem letzten Besucher klar sein, dass man hier nicht im Normalbetrieb spielt (kurzfristig verfügte die Stadt Köln, dass während der gesamten Aufführung im Publikum der Mund-Nasen-Schutz aufgesetzt bleiben muss, jede zweite Reihe im Saal 1 des Staatenhauses ist abgebaut - was immerhin angenehm viel Beinfreiheit in der sonst viel zu engen Bestuhlung gibt), und da sind solche Kommentare unangenehm belehrend. Zum anderen hat fast jeder in den letzten Monaten Einschränkungen in vielen Bereichen des Lebens erlebt, da muss die Oper nicht selbstmitleidig betonen, wie schwer es die Regie unter diesen Bedingungen hat. Aber von „Regie“ will Michael Hampe, 20 Jahre lang (von 1975 bis 1995) Intendant der Kölner Oper, gar nicht sprechen, sondern im Programmheft heißt es verbrämt „szenische Einrichtung nach einer Konzeption von Michael Hampe“. Aha. Andere Theatermacher wie Bernd Mottl ebenfalls mit der Zauberflöte in Wuppertal oder Jürgen R. Weber mit Kagels Staatstheater in Bonn, ganz zu schweigen von Stefan Herheims Walküre in Berlin, sind offensiver mit der Situation umgegangen. Und auch wenn der Erzähler bemerkt, dass Papagena und Papageno bei 1,50 Meter Mindestabstand keine „Kinder machen“ können, wie das so schön besungen wird: Natürlich lässt sich das Duett trotzdem inszenieren, auch von Hampe.

Szenenfoto

Ein gutaussehender Mann ohne Eigenschaften: Tamino (Julien Behr)

Noch fragwürdiger wird solche Aufregung über Mindestabstände angesichts der Tatsache, dass Ausstatter Germán Droghetti im Juni dieses Jahres mit 62 Jahren verstorben ist, und zwar an Covid19. Seine Fantasiewelten (ganz ohne den im Text allgegenwärtigen Bezug auf altägyptische Kultur) prägen die Produktion im Guten wie im Schlechten. In opulenten Kostümen und häufigen Szenenwechseln schafft er Theaterwelten von barocker Pracht. Mit Videoprojektionen (Thomas Reimer) wechselt die Szenerie sekundenschnell vom Sternenhimmel zur Berglandschaft mit wogenden Sonnenblumen. Der visuellen Überwältigungsästhetik haftet allerdings bald etwas Kunstgewerbliches an, Man weiß natürlich nicht, wie Droghetti sie Arbeit fortgeführt hätte (Darko Petrovic hat seine Entwürfe „adaptiert“), aber das Ergebnis ist nicht nur nahe am Kitsch, sondern manchmal mittendrin.

Szenenfoto

In Sarastros ästhetisch fragwürdigem Reich: Pamina (Kathrin Zukowski, links), Sarastro (Ante Jerkunica) und Monostatos (John Heuzenroeder, beide im Kreis) und Tamino (Julien Behr, rechts)

Was, zugegeben, Geschmackssache ist. So oder so müsste die Personenregie den optischen Rahmen ausfüllen - aber das tut sie viel zu wenig, und das liegt nicht an Abstandsgeboten. Hampe sieht die Zauberflöte keineswegs als „Machwerk“ mit schwachem Textbuch, sondern als lang geplantes Gesamtkunstwerk (man kann das im Programmheft nachlesen), und so lässt er das Stück (fast) ohne Eingríffe in das Libretto mit vollständigen Dialogen spielen. Im zweiten Akt ahnt man, dass das funktionieren könnte, auch wenn die Texte arg abgedroschen und durch die Aufführungstradition beinahe Parodie ihrer selbst geworden sind (andererseits: das erhoffte junge Publikum kennt sie womöglich gar nicht mehr). Nur dürfte der Text nicht so nachlässig behandelt werden. Das meint nicht die (überwiegend recht ordentliche) Aussprache des international besetzten Ensembles, sondern die Beiläufigkeit, mit der hier gesprochen wird: Schikaneders Sprache, natürlich dem 18. Jahrhundert verpflichtet, müsste entweder in ihren josephinischen Pathos und dessen Brechungen ernst genommen - oder ironisch unterwandert werden. Hier wird sie aber oft einfach abgespult. Das verwundert auch deshalb, weil doch eigentlich genug Probenzeit vorhanden war (die Kölner Oper startet spät in die Saison). Natürlich gibt es Abstufungen; Oliver Zwarg als Sprecher und erster Priester singt nicht nur tadellos, er deklamiert auch so, dass der Text Leben bekommt und man sich in die Figur hineinversetzen kann. Bei vielen anderen Darstellern sieht man Menschen im Kostüm, aber keine Charaktere in einer Geschichte.

Szenenfoto

Karl Friedrich Schinkels berühmte Entwürfe von 1815 mögen Vorbild gewesen sein, sieht aber trotzdem sehr nach Fernsehshow aus: Der erste Auftritt der Königin der Nacht (Antonia Vesenina)

Völlig blass bleibt Tamino, ein adretter Schönling ohne Eigenschaften. Julien Behr singt mit sicherer Höhe und eigentlich vollem, aber ziemlich eng geführtem Tenor, zu Beginn recht kurzatmig, dann mehr und mehr in großen Bögen. Kathrin Zukowski als Pamina ist weitaus differenzierter, wenn auch klischeehaft konventionell gezeichnet; man ahnt immerhin, dass sie eine führende Rolle bei den Prüfungen übernimmt. Die junge Sopranistin aus dem hauseigenen Opernstudio legt mit mädchenhafter, gleichzeitig leuchtend tragfähiger Stimme ein beachtliches Rollendebüt hin; ein wenig fehlt noch das lyrische Ausschwingen der Stimme, aber gut vorstellbar, dass das nach der Erfahrung von drei, vier Aufführungen noch kommt. Antonina Vesenina ist als Königin der Nacht ein singendes Denkmal wie von Schinkels Gnaden; leider beginnt sie in der ersten Arie, darüber nachzudenken, wie schwer die Partie doch ist, und prompt verrutscht die Stimme; die zweite Arie gelang ordentlich, wobei die Stimme schon ein wenig plüschig klingt. Ganz ausgezeichnet und sehr homogen singen die beiden Terzette - die drei namentlich nicht genannten Solisten der Chorakademie Dortmund als Knaben und Claudia Rohrbach, Regine Richter und Anja Schlosser als königliche Damen. Alina Wunderlin ist eine niedliche Papagena, und John Heuzenroeder ein ziemlich bösartiger, ordentlich singender Monostatos.

Szenenfoto

Feuerprobe: Pamina (Kathrin Zukoski) und Tamino (Julien Behr)

Sicher muss man einräumen, dass in dieser ersten Premiere nach vielen Monaten zunächst eine offenbar auch lähmende Nervosität über der Bühne lag - wie sehr das Ensemble sich freispielte und -sang, war exemplarisch an Matthias Hoffmann als Papageno abzulesen. Auch er ein Debütant aus dem Opernstudio, zunächst brav solide, im zweiten Teil mehr und mehr Bühnenpräsenz entwickelnd und auf dem besten Weg zu einem richtig guten Vogelfänger. Wobei die Regie, pardon: die szenische Einrichtung nach einer Konzeption von Michael Hampe, es ihm nicht leicht macht, wenn sie die Figur absolut konventionell zeichnet und damit dem Vergleich mit den Papageno-Veteranen aus Wien und Salzburg aussetzt. Und was an Potential verschenkt wird, sieht man an der Figur des Sarastro: Der soll jung sein, tatsächlich ein potentieller Liebhaber Paminas (sagt Hampe), und Ante Jerkunica (überaus souverän und mit den erforderlichen tiefen Tönen, vom Timbre her eher Verdi-Bass als ein Sarastro) sieht blendend aus und könnte das verkörpern, deutet auch schauspielerische Fähigkeiten an - und muss dann doch nur langweilig herumstehen.

Szenenfoto

Vogelfänger, lustig: Papageno (Matthias Hoffmann)

Papageno darf ein bisschen lustig sein, alle anderen sind über drei Stunden lang bierernst. (Dabei hört man der Musik doch ständig an, dass sie das edle Pathos gerne unterläuft und karikiert.) Passend dazu dirigiert Christoph Gedschold eine durch und durch edle Zauberflöte, mit meist gesetzten, mitunter behäbigen Tempi. Ein Grund dafür mag sein, dass das Orchester sehr weit auseinander gezogen ist und die Abstände zum Dirigenten damit sehr, sehr groß sind - da mag Gedschold manches auch auf Sicherheit dirigiert haben. Eine ebenso würdevolle wie humorlose Interpretation passend zum Nationalfeiertag, an dem diese Premiere lag. Zu Anfang wackelt noch manches, mit der Zeit wurde das klangsatte Gürzenich Orchester immer sicherer (ein paar heikle Stellen bleiben). Bei zwei Nummern zog Gedschold das Tempo unerwartet an: Bei Papagenos Arie „Ein Mädchen oder Weibchen wünscht Papageno sich“ schienen der Sänger wie auch die Spielerin der Celesta (die ja ein kleines Feuerwerk zünden muss) irritiert, und das Stück verlor durch das forsche Tempo seinen liedhaften Charakter. Gewichtiger noch die allzu flott genommene Arie Paminas „Ach, ich fühl‘ es“, dieser Moment des Seelenschmerzes, dem hier das Gravitätische genommen wurde. Und weil das Schlüsselstellen sind, gerät die Gesamtdisposition des Dirigenten doch ein wenig ins Wanken.

Szenenfoto

Zeremoniell der absoluten Macht: Gleich wird Sarastro den siebenfachen Sonnenkreis an Tamino und Pamina übergeben, und selbst Papageno wird sich der neuen Weltordnung allzu bereitwillig unterwerfen.

Der Chor wird, coronabedingt, als Tonaufnahme eingespielt, klingt aber recht gut. Der Vollständigkeit halber erwähnt seien noch die beiden tadellos singenden Geharnischten (Young Woo Kim, Sung Jun Cho). Musikalisch also alles in allem keine schlechte Aufführung, die szenisch dann aber mit einem gefährlichen Bild endet: Tamino und Pamina, das hohe Paar, bekommt den „siebenfachen Sonnenkreis“, ungefähr so attraktiv wie die Meisterschale der Fußball-Bundesliga, überreicht - immerhin hat jetzt auch eine Frau die Hand daran, nachdem vorher ja allerlei Frauenfeindliches ohne jedes Augenzwinkern präsentiert wurde. Wenn aber allen anderen vor den beiden auf die Knie fallen, dann drückt das - gewollt oder nicht - die Bewunderung für den starken Herrscher aus. Die Oper beschreibe die Utopie, dass Macht und Gerechtigkeit vereinigt werden, schreibt Hampe dazu (und lässt es den Erzähler aufsagen). Hier allerdings wird ziemlich naiv und absolut kritiklos eine ausgesprochen autoritäre Macht verherrlicht. Das kann man auch anders darstellen, wie die sehr viel witzigere Zauberflöte 50 Kilometer weiter in Wuppertal zeigt, die - sicher im Sinne Mozarts - über die Mächtigen spotten kann. In Köln neigt selbst Papageno, damit sein Außenseitertum wie seine Individualität preisgebend, freiwillig sein Haupt vor den neuen Regenten. Eine wünschenswerte Utopie ist das nicht.


FAZIT

Die Kölner Oper spielt wieder, und sie spielt die Zauberflöte in voller Länge, mit Pause und fast ohne Einschränkungen auf gutem musikalischen Niveau - in diesen Tagen ist das allein schon eine Großtat. Die ein griesgrämige Regie macht leider viel zu wenig daraus.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christoph Gedschold

szenische Einrichtung
Michael Hampe

Bühne und Kostüme
German Droghetti †

Adaption Bühne und Kostüme
Darko Petrovic

Licht
Andreas Grüter

Video
Thomas Reimer

Chor
Rustam Samedov

Dramaturgie
Tanja Fasching


Chor der Oper Köln

Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

* Besetzung der Premiere

Pamina
* Kathrin Zukowski /
Aoife Miskelly

Tamino
* Julien Behr /
Martin Piskorski

Die Königin der Nacht
* Antonia Vesenina /
Emily Hindrichs

1. Dame
Claudia Rohrbach /
Ivana Rusko

2. Dame
* Regina Richter /
Adriana Bastidas-Gamboa

3. Dame
* Anja Schlosser /
Judith Thielsen

Papageno
* Matthias Hoffmann /
Wolfgang Stefan Schwaiger /
Miljenko Turk

Papagena
* Alina Wunderlin /
Maike Raschke

Sarastro
* Ante Jerkunica /
Lucas Singer /
Stefan Cerny /
Sung Jun Cho

Sprecher/ 1. Priester
* Oliver Zwarg / Stefan Hadzic

Monostatos
* John Heuzenroeder /
Ján Rusko

2. Priester
* Martin Koch

1. Geharnischter
* Young Woo Kim /
Alexander Fedin

2. Geharnischter
* Sung Jun Cho /
Lucas Singer

Drei Knaben
Solisten des Knabenchores
der Chorakademie Dortmund



Weitere
Informationen

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