Pumeza Matshikiza (Bess), Norman Garrett (Crown)
Monika Rittershaus
„Porgy and Bess“

Oper an der Grenze

Jeder kennt die Melodien aus „Porgy and Bess“ – und doch ist George Gershwins 1935 uraufgeführte Oper in Europa kaum zu sehen. Das liegt zum einen an den strikten Vorgaben zur Besetzung und zum anderen daran, dass der Komponist darin alle Genregrenzen sprengte und sich daher nicht jedes Opernhaus dafür zuständig fühlt. Das Theater an der Wien ließ sich nicht abschrecken: Am Mittwoch feierte „Porgy and Bess“ nach über 50 Jahren eine szenische Premiere in Wien.

Er habe eine „amerikanische Oper über einen amerikanischen Stoff“ komponiert, so Gershwin über „Porgy and Bess“. In der Catfish Row, einem armen Schwarzenviertel in den Südstaaten angesiedelt, erzählt es die unglückliche Liebesgeschichte zwischen dem gehbehinderten Porgy und der drogensüchtigen Bess. Ein gewalttätiger Ex-Liebhaber, ein schmieriger Dealer ohne Skrupel, ein Mord, ein tödlicher Sturm – die nicht an Wendungen arme Geschichte ist in der Gesamtkomposition der Oper trotzdem fast zweitrangig hinter der Idee Gershwins, mit der Musik ein Gesellschaftsporträt zu zeichnen.

Es sei wichtig, mit der amerikanischen Aufführungstradition, in der „Porgy and Bess“ großteils werktreu als 1920er-Jahre-Südstaatendrama gezeigt wird, zu brechen, betont der südafrikanische Regisseur Matthew Wild im Programmheft-Interview. Er habe sich daher entschieden, die Produktion in der Gegenwart in einer Flüchtlingssiedlung in Europa spielen zu lassen.

Szene aus „Porgy and Bess“ im Theater an der Wien.
Monika Rittershaus
Die Catfish Row: Container am Rande Europas

Containerlager statt Südstaatenbaracken

Rein optisch geht die Idee so halb durch: Mit einer raumfüllenden Drehbühnenkonstruktion schuf Ausstatterin Katrin Lea Tag eine Containersiedlung, die eine vielseitige Kulisse für Massenszenen abgibt, Parallelerzählungen möglich macht und gleichzeitig gute Spielmöglichkeiten für intime Soloarien und Duette eröffnet. Assoziativ versandet die Verortung aber auch genau hier, den farbenfrohen Kostümen kennt man den Kontinent nicht an – und mit einer kopftuchtragenden Frau eine „multikulturelle Gesellschaft“ (Zitat Regisseur Wild) zu erzählen geht sich irgendwie nicht aus.

„Porgy and Bess“ im Theater an der Wien

George Gershwins Opernklassiker „Porgy and Bess“ feierte am Mittwoch im Theater an der Wien Premiere. Trotz CoV-Restriktionen konnte ein internationales Team zusammengestellt werden.

Musikalisch ist die Richtung und Verankerung in einer US-Community so klar, dass die konventionelle Inszenierung kaum über die Idee hinaus versucht, ihre eigenen Ansprüche zu erfüllen: Spirituals in religiöser Inbrunst vorgetragen, kollektive Gebete, spontane Feiern – all das ist hier klischeehaft inszeniert und choreografiert wie aus einem Musical-Lehrbuch.

Besetzung nach dem Wunsch Gershwins

Das Ensemble am Theater an der Wien entspricht den strikten Vorgaben Gershwins: Ausschließlich schwarze Sängerinnen und Sänger seien zu besetzen, verfügte er – und bis heute wird die Einhaltung dieser Vorgabe von den Erben überwacht. Statt wie ursprünglich geplant in Zusammenarbeit mit dem Ensemble der Cape Town Opera in Kapstadt musste für die Inszenierung am Theater an der Wien kurzfristig pandemiebedingt ein internationaler Cast zusammengestellt werden.

Jeanine de Bique (Bess)
Monika Rittershaus
Jeanine De Bique als drogensüchtige Bess

Der US-amerikanische Bariton Eric Greene gibt den herzensguten, aber allzu leichtgläubigen Porgy, ihm an der Seite steht die aus Trinidad stammende Sopranistin Jeanine De Bique als Bess, fragil, doch mit starker Stimme. Brandie Sutton kommt als Clara die Aufgabe zu, mit „Summertime“ den größten Hit der Oper zu präsentieren. Norman Garrett ist in der Rolle des Mörders Crown ebenso gut besetzt wie der besonders spielfreudige Zwakele Tshabalala als Dealer Sportin’ Life.

Am Pult des Wiener KammerOrchesters Special Extended (erweitert mit – laut Programmheft – „Jazz-erfahrenen MusikerInnen“) – steht mit Wayne Marshall ein ausgesprochener Gershwin-Spezialist. Mit lässiger Präzision changiert das Orchester unter seiner Leitung zwischen den vielen Farben der Partitur – den Blues-, Jazz- und Gospeltönen, den Arien und den durchkomponierten Rezitativteilen.

Szene aus „Porgy and Bess“ im Theater an der Wien.
Monika Rittershaus
Drogen, Glücksspiel, Gewalt – auf Kleiderhaufen schaut die Welt gleich bunter aus

Von Richard Wagner zu Janis Joplin

Der Komponist sei fähig gewesen, beide Welten – klassische Komposition und Jazz – in seiner Handschrift organisch zu kombinieren, so Marshall: „Eine Inspirationsquelle war beispielsweise das Werk Richard Wagners, dezidiert nannte er die ‚Meistersinger‘ als Vorbild.“

Hinweis

„Porgy and Bess“ ist im Theater an der Wien noch am 15., 16., 17., 18., 20., 21., 22., 23. und 24. Oktober jeweils um 19.00 Uhr zu sehen.

Dennoch: Melodien wie „I’ve got Plenty of Nothing“ und „Summertime“ – die wohl bekannteste Melodie Gershwins – verselbstständigten sich als Jazz-Standard und eroberten immer wieder in der Interpretation von Stars wie Ella Fitzgerald und Janis Joplin die internationalen Popcharts. Letztlich ist genau das wohl die Lehre aus dem „Porgy and Bess“-Erfolg: Grenzgänge können riskant sein – mit dem Mut, Grenzen zu sprengen, können aber auch andere Welten aufgehen.