Gelsenkirchen: L'Orfeo / Online Musik Magazin

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L'Orfeo

Favola in musica in einem Prolog und fünf Akten
Libretto von Alessandro Striggio d. J.
Musik von Claudio Monteverdi

in italienischer Sprache mit deutsch Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 20' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus im MiR am 17. Oktober 2020

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Musiktheater im Revier
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Spartenübergreifender Monteverdi mit ablenkendem Tanz

Von Thomas Molke / Fotos:© Bettina Stöß

Auch wenn Claudio Monteverdis L'Orfeo nicht den Beginn des Musiktheaters der Neuzeit im eigentlichen Sinne markiert, gilt seine am 24. Februar 1607 anlässlich der Geburtstagsfeierlichkeiten eines Förderers der Accademia degli Invaghiti, Francesco IV. Gonzaga, uraufgeführte Favola in musica als die "Ur-Oper aller Opern". Während nämlich in Jacopo Peris sieben Jahre zuvor entstandenen L'Euridice die Allegorie der Tragödie das Stück als eine "neue Art von Schauspiel" ankündigt, übernimmt bei L'Orfeo La Musica als allegorische Figur diese Funktion und leitet ein Werk ein, in dem es keine Sprechtexte mehr gibt. In Gelsenkirchen hat man sich entschieden, dieses Frühwerk der Opernliteratur als spartenübergreifendes Projekt der Oper, des Tanztheaters und des Puppentheaters auf den Spielplan zu stellen, was in Zeiten von Corona sehr ambitioniert erscheint. Aber auch wenn durch den Einsatz von Puppen ein direkter Kontakt zwischen dem mythologischen Liebespaar Orpheus (Orfeo) und Eurydike (Euridice) vermieden werden kann, geht das Konzept, für das der Direktor der MiR Dance Company Giuseppe Spota und Rahel Thiel gemeinsam verantwortlich zeichnen, nur bedingt auf. Der von Spota choreographierte Tanz passt sich nicht wirklich dem Verlauf der Geschichte an.

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Orfeo (Khanyiso Gwenxane) mit Euridice als Holzpuppe

Wenn das Publikum den Saal betritt, ist der Blick auf die Bühne bereits frei, und das 14-köpfige Ensemble der MiR Dance Company scheint, auf der Bühne zu trainieren. Das Bühnenbild von Rebekka Dornhege Reyes beschränkt sich zunächst auf riesige schwarze Vorhänge im Hintergrund, die herabgelassen werden können, und ein Gerüst auf der rechten und linken Bühnenseite, das so weit außen liegt, dass es von den meisten Plätzen nicht auf beiden Seiten eingesehen werden kann. Die Tänzer*innen tragen alle Masken, die genauso schwarz sind wie ihre Kostüme. Dann kommen die Sänger*innen hinzu, ebenfalls mit Masken und einheitlich in Schwarzweiß gekleidet und beginnen, auf der Bühne miteinander zu plaudern. Eine Regie-Assistentin unterbricht die "Probenatmosphäre" und kündet an, dass es nun losgehe. Die Tänzer*innen verteilen sich auf den beiden Gerüsten auf der rechten und linken Seite und beginnen während der musikalischen Einleitung die Sänger*innen lautstark zu bejubeln, die sich auf der Bühne verbeugen, als wenn die Vorstellung bereits zu Ende wäre. Das laute Kreischen stört den Genuss der Musik, die von Barock-Spezialist Werner Ehrhardt mit Mitgliedern der Neuen Philharmonie Westfalen sehr feinfühlig aus dem Orchestergraben transportiert wird.

Inmitten dieses Gekreisches tritt Khanyiso Gwenxane als Orfeo auf. Sein Kostüm hebt sich farblich von dem Einheitskostüm der anderen Sänger*innen ab, weil er neben Euridice die einzige "reale" Figur des Stückes ist. Die anderen Personen sind entweder Allegorien, Götter oder namenlose Hirten. Orfeo trägt eine lebensgroße hölzerne Puppe bei sich, die wohl Euridice darstellen soll. Noch hat er seine Geliebte in der Oper nicht verloren, ist also noch glücklich mit ihr vereint. Aber Thiel und Spota wollen wohl zeigen, dass dieser Moment der glücklichen Zweisamkeit nur eine Illusion ist.

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Messagiera (Lina Hoffmann, vorne Mitte) hat Orfeo (Khanyiso Gwenxane) Euridices Tod verkündet. La Speranza (Rina Hirayama) gibt ihm neue Hoffnung.

Recht beeindruckend gelingt der Auftritt der Musica im Prolog, die das Publikum einlädt, die Geschichte von Orfeo zu hören, der mit seinem wundervollen Gesang sogar die Unterwelt bezwungen habe. Alfia Kamalova tritt als La Musica durch die schwarzen Vorhänge im Hintergrund auf. Zwei Hände auf der rechten und linken Seite der Vorhänge, die scheinbar La Musica gehören, sollen wohl andeuten, dass sie die ganze Erde umspannt. Wenn sie majestätisch nach vorne schreitet, werden die Vorhänge herabgelassen und bedecken die Tänzer*innen auf der Bühne, die aus den Vorhängen dann ein voluminöses Kleid um ihren Unterkörper formen. Eine Projektion aus dem Boden scheint La Musica auf einer schräg angebrachten Leinwand außerdem Flügel zu verleihen. Wenn dann allerdings im ersten Akt die Hirten den glücklichen Tag feiern, an dem Orfeo endlich seine Euridice zur Frau nehmen kann, sieht man Euridice in einer Art weißem Brautkleid zwischen den Tänzer*innen im Hintergrund über die Bühne wandeln, während Orfeo immer noch seine Holzpuppe herzt. Sehr schnell folgt das böse Erwachen. Eine Botin (Lina Hoffmann mit kräftigem Mezzosopran) verkündet Euridices Tod. Verzweifelt über diese schlimme Nachricht legt die Botin ihr Kostüm ab und verschwindet hinter dem schwarzen Vorhang. Die Trauer Orfeos, die in der Musik und von Gwenxane nun eigentlich sehr intensiv umgesetzt wird, wird von den Tänzer*innen allerdings eher gestört als untermalt. Zum einen machen sie bisweilen sehr laute Geräusche, die Orfeos Klagen stören, zum anderen wirken die modernen und abstrakten Bewegungen an einigen Stellen alles andere als trauernd.

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Orfeo (Khanyiso Gwenxane, rechts) trifft auf Caronte (Michael Heine, links) (in der Mitte: MiR Dance Company).

Nach der Pause geht es dann mit Orfeos Gang in die Unterwelt weiter. Wieso Rina Hirayama als La Speranza auf einem herabgelassenen Gerüst balancieren muss, während sie Orfeo den Weg weist, bleibt genauso unklar wie die Idee, die Holzpuppen in unterschiedlichen Größen auftauchen zu lassen. Sollen es Visionen sein, die Orfeo von seiner Euridice hat? Beim Auftritt des Fährmanns hat Spota für die Choreographie einen eindrucksvollen Einfall. Vor dem Gang in die Unterwelt haben die Tänzer*innen ihre schwarzen Kostüme abgestreift. Nun tragen sie als Geister der Unterwelt enge hautfarbene Kostüme, die sie quasi nackt erscheinen lassen. Als Gefolge des Fährmanns Caronte treten sie mit schwarzen Gummistiefeln auf, die mit Wasser gefüllt sind, die bei den einzelnen Bewegungen gewissermaßen das Wasser des Flusses Styx auf der Bühne verteilen. Wieso Michael Heine, der den Fährmann mit markantem Bass gestaltet, aber mehrfach über die Bühne rollen muss, bleibt unklar. Zwar singt ihn Orfeo schließlich in den Schlaf, aber bei dem Krach, den die Tänzer*innen wieder machen, dürfte er eigentlich nicht einschlafen.

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Apollo (Piotr Prochera, im Hintergrund) holt seinen Sohn Orfeo (Khanyiso Gwenxane, vorne) in den Himmel.

Nachdem Orfeo auf Proserpinas (Anna Schmid) Bitten von Pluto (John Lim) die Erlaubnis bekommen hat, seine Frau aus der Unterwelt zu holen, beginnt die Rückkehr auf die Erde. Das Gebot, sich nicht nach der geliebten Frau umzudrehen, wird dabei aber konterkariert, da Orfeo durch ein weißes Loch im Hintergrund auftritt, während vor ihm an der Rampe sowohl Bele Kumberger als Euridice als auch die Puppenspieler mit der Holzpuppe zu sehen sind. Keine von beiden folgt ihm, keine von beiden ist wirklich hinter ihm. Beide sind die ganze Zeit in seinem Blickfeld. Somit wird überhaupt nicht klar, wieso er sie wieder verliert. Wenn er dann anschließend seiner Trauer freien Lauf lässt, werden die Holzpuppen in unterschiedlicher Größe um ihn herumgesetzt, wobei er von den Holzpuppen keinerlei Notiz nimmt. Wieder stören die Tänzer*innen mit lauten Bewegungen Orfeos Klage, die Gwenxane mit dunkel gefärbtem Tenor bewegend umsetzt. Piotr Prochera taucht schließlich als Orfeos Vater Apollo durch den schwarzen Vorhang auf. Seine Ärmel sind mit zwei Stöcken darunter verlängert, auf die er sich zeitweise wie ein alter Greis stützt. Mit einer gewissen Strenge bringt er seinen Sohn dazu, ihn in den Himmel zu begleiten, wo er Euridice als Sternbild sehen kann. Der folgende Jubel setzt die Geschichte wieder auf Anfang. Orfeo tritt erneut mit der Holzpuppe auf. Großer Applaus kommt wieder von der Bühne von den Tänzer*innen, und das Publikum scheint etwas verwirrt, ob es darin einstimmen soll. Erst der herabsinkende Vorhang macht deutlich, dass die Aufführung nun wirklich zu Ende ist.

FAZIT

Die Kombination von Tanz, Gesang und Puppenspiel ist zwar grundsätzlich eine gute Idee, geht aber im Konzept von Giuseppe Spota und Rahel Thiel nicht wirklich auf.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
*Werner Ehrhardt/
Massimiliano Toni

Konzept und Choreographie
Giuseppe Spota

Regie
Rahel Thiel

Bühne und Kostüme
Rebekka Dornhege Reyes

Puppenbau
Bodo Schulte

Licht
Stefan Meik

Dramaturgie
Anna Chernomordik
Olaf Roth

 

Neue Philharmonie Westfalen

 

Besetzung

*Premierenbesetzung

Orfeo
Khanyiso Gwenxane

Euridice
Bele Kumberger

La Musica
Alfia Kamalova

Messaggiera
Lina Hoffmann

La Speranza
Rina Hirayama

Caronte
Michael Heine

Pluto
John Lim

Proserpina
Anna Schmid

Apollo
Piotr Prochera

Pastore
Benjamin Hoffmann

Pastore / Eco
Camilo Delgado Diaz

Pastore
Etienne Walch

Pastore
Oliver Aigner

Ninfa
*Wendy Krikken /
Palesa Malieloa

Spirito
Tobias Glagau

Spirito
Urban Malmberg

Spirito
Daegyun Jeong

Spirito
Petro Ostapenko

MiR Dance Company
Brecht Bovijn
Konstantina Chatzistavrou
Yu-Chi Chen
Simone Donati
Marie-Luise Hertog
Hitomi Kuhara
Georgios Michelakis
Alessio Monforte
Pablo Navarro Muñoz
Emily Nicolaou
Alex Öberg
Genevieve O'Keeffe
Chiara Rontini
Simone Frederick Scacchetti
Eunji Yang

MiR Puppentheater
Daniel Jeroma
Marharyta Pshenitsyna
Merten Schroedter
Seth Tietze

 

 


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