„Die Großherzogin von Gerolstein“ an der Komischen Oper ist Barrie Kosky unplugged – aber auch Premiere und Dernière zugleich.

Nein, die Kulturinstitutionen nehmen den neuerlichen Lockdown ab dem heutigen Montag nicht mehr kritiklos hin. Angesichts der erschreckend steigenden Inzidenzzahlen schließen sie zwar wie geheißen ihre Tore. Aber nicht ohne Murren. Und es ist ja wirklich nicht zu verstehen, wieso man weiter im Bauhaus einkaufen darf, aber nicht in die Theater und Kinos gehen kann, die viel in Hygienekonzepte und Belüftungssysteme investiert haben, wo man sich weit sicherer fühlen darf als etwa in öffentlichen Nahverkehrsmitteln, wo niemand Maskenverweigerer zurechtweist.

„Ihr habt an mir gehandelt, wie nicht recht ist“, dieses Schiller-Zitat in „Maria Stuart“, der letzten großen Sprechtheater-Premiere am Freitag, war denn auch irgendwie als Kommentar auf die aktuellen Corona-Verordnungen zu verstehen. Und am Sonnabend lässt es sich Barrie Kosky, der Hausherr der Komischen Oper, nicht nehmen, vor der letzten Musiktheaterpremiere vor dem Lockdown, Jacques Offenbachs „Großherzogin von Gerolstein“, selber auf die Bühne zu treten. Und erst mal Wut abzulassen.

Gottesdienst in der Synagoge Komische Oper

Dies sei die erste Premiere, die zugleich Dernière ist, grollt er. Er habe lernen müssen, dass Kultur zur Freizeitindustrie gerechnet wird wie Yoga- oder Fitnessstudios. Er versteht auch nicht, warum in Kirchen weiter gesungen werden darf, und schlägt verschmitzt vor, die Komische Oper jetzt in Synagoge umzubenennen, um weiter spielen zu können: als Gottesdienst. Gerade mal drei Wochen hatte die Komische Oper offen, jetzt muss sie wieder schließen. Aber Kosky will nicht verzweifeln: Wenn er was gelernt habe in den letzten Monaten, dann, dass kein Virus den Geist seines Hauses töten könne. Und auch nicht den Zuspruch des Publikums.

Grotest aufgeblasenes Militär: Jens Larsen als General Bumm mit Soldaten in Camouflage, aber in weiblichen Reifröcken.
Grotest aufgeblasenes Militär: Jens Larsen als General Bumm mit Soldaten in Camouflage, aber in weiblichen Reifröcken. © Monika Rittershaus

Doch dann wischt der Intendant all die schlechte Laune, die ihn vergangenen Donnerstag und Freitag befallen hat, weg. Denn schlechte Laune bringe nichts. Und gerade deshalb lädt er nun zu seiner Inszenierung von „Die Großherzogin von Gerolstein“ ein: „100 Prozent kompletter Blödsinn“, verspricht er, „und, ich schwöre, kein einziger Moment tiefsinniger Probleme“. Denn Lachen sei gerade in der Krise das Wichtigste.

Vorhang auf also für einen buchstäblichen Operettenstaat, in dem säbelrasselnde Militaristen den Ton angeben wollen, die gebieterische Großherzogin sich aber nicht von testosterongeleiteter toxischer Männlichkeit dirigieren lässt. Und doch ihrem Hang zu Uniformen frönt, indem sie einem einfachen Grenadier ihre Gunst erweist. Sehr zum Missfallen von dessen Verlobten Wanda. Und den Herren Militärs natürlich.

Kolossale, corona-konforme Kostüme

Kosky setzt mit der „Großherzogin“ seine Jaques-Offenbach-Reihe fort. Während er sich sonst aber drei Jahre auf eine neue Produktion vorbereitet, hat er diese in knapp vier Monaten realisiert. Weil er mitten im Lockdown erkannte, dass es, wenn die Theater wieder öffnen dürften, genau solchen Nonsens bräuchte.

So ziemlich das einzige Bühnenrequisit: das vielleicht längste Sofa der Bühnengeschichte.
So ziemlich das einzige Bühnenrequisit: das vielleicht längste Sofa der Bühnengeschichte. © Monika Rittershaus

Für seine Verhältnisse lässt „Die Großherzogin“ aber jede gewohnte Opulenz vermissen. Kosky unplugged, quasi. Die Bühne bleibt leer, im Hintergrund klafft die nackte Brandwand. Auch Chor- und Tanz-Ensemble sind aufs Knappste reduziert, gerade mal sieben Sänger und vier Tänzer werden aufgeboten. Die Tänzer waren zuvor zwei Wochen in Quarantäne und dürfen sich deshalb nahe kommen.

Für die Sänger aber hat Klaus Bruns grandios komische und 100 Prozent corona-konforme Kostüme entworfen, Kleider mit riesigen Reifröcken für die Damen und eiförmige Fatsuits für die Herren Militärs, die dabei aussehen wie schräge Vögel und eitle Gockel, auf jeden Fall wie abgepackte Hähnderl.

In derart ausladenden Kostümen aber ist jeder Abstand gewahrt. Und wo doch mal zu viel Nähe droht, unterbindet die majestätische Titelfigur das gebieterisch mit einem scharfen „Stop!“ oder „Abstand!“, das nicht im Libretto steht.

Die Großherzogin ist ein Mann

„Die Großherzogin von Gerolstein“ ist eine herrlich unsinnige Klamotte, die die Militärselig- und Obrigkeitshörigkeit gehörig auf die Schippe nimmt. Und Kosky verschärft das noch, wenn er die Pauken und Trompeten aus dem Orchester auch mit viel Ballerei verstärkt und seine Tänzersoldaten zwar in Camouflage-Stoff steckt, aber eben auch in bauschende Reifröcke, als ginge es zum Cancan in „Orpheus’ Unterwelt“. Auch Tenor Ivan Rursic als Fritz, Sopranistin Alma Sadé als Wanda und vor allem Bassist Jens Larsen als General Bumm treiben diese Militärparodie auf die Spitze.

Die Großherzogin macht als Marlene im Hosenanzug die Herren Militärs klein.
Die Großherzogin macht als Marlene im Hosenanzug die Herren Militärs klein. © Monika Rittershaus

Der Clou der Inszenierung aber ist die Besetzung der Hauptpartie. Unvergessen in Berlin ist noch immer Dagmar Manzel als Großherzogin, 2002 am Deutschen Theater, als sie noch kein Star der Kosky-Komischen Oper war. Frau Manzel ist auch bei dieser Premiere dabei, aber nur als Gast. Nein, um den Männlichkeitswahn des Militärs besonders zu brechen, hat der Regisseur die Titelherzogin listig mit einem Herrn besetzt, sogar mit zweien, die sich dabei abwechseln.

Nach der Pause ist die Luft raus

In der Premiere ist der Bariton Tom Erik Lie zu erleben, der an diesem Haus schon den finsteren Beckmesser in Wagners „Meistersinger“ gegeben hat, hier nun aber eine Travestieshow par excellence hinlegt und dabei nicht nur stimmlich triumphiert, sondern mit seinem hochkomödiantischen Spiel.

Das ist herrlich anzusehen. Zumindest bis zur Pause entzündet Kosky mal wieder ein Feuerwerk an Gags und witzigen Einfällen ab, das die kahle Bühne vergessen lässt. Und die russische Dirigentin Alevtina Ioffe heizt mit ihrem auf 18 Musiker beschränkten Orchester spielwütig ein.

Kosky zeigt Solidarität mit Freier Szene

Nach der Pause dagegen scheint die Luft raus zu sein. Da wird auch das Tempo angekettet, wenn die Figuren nicht mehr über die Bühne wirbeln, sondern immerzu auf Schemeln hocken oder auch mal auf dem längsten Sofa der Bühnengeschichte. Der große Spaß, er minimiert sich etwas. Vielleicht ist diese Produktion doch zu schnell auf die Bühne gewechtet worden. Durch die erneute Schließung wäre dann immerhin Zeit, an der zweiten Hälfte noch zu feilen.

Der Applaus ist dennoch kräftig. Auch, weil man hier noch mal Theater genießen durfte. Und weil Kosky sein Publikum aufforderte, der Kultur in Krisenzeiten treu zu bleiben. Nicht nur den großen Häusern wie seinem, sondern gerade auch der Freien Szene.

Komische Oper, Behrenstr. 55-57, Mitte. Tel.: 47 99 74 00. Weitere Termine: 7-.11., 21., 22., 27. und 31. Dezember sowie Januar und Februar.