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Foto: Monika Rittershaus
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Premiere als Dernière? – Offenbachs „Die Großherzogin von Gerolstein“ an der Komischen Oper Berlin

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Es sei ein „Glück nun zu wissen, dass die Theater zur ‚Freizeit-Industrie‘ gehören und mit Nagelstudios in einen Topf geworfen werden“. Das Komischste des heiter apostrophierten Abends passierte vor der Aufführung mit der Ansprache von Barrie Kosky an sein Publikum. Doch was danach passierte, löste das Versprechen der Heiterkeit kaum ein und konnte mit dem hohen Niveau der künstlichen Qualität dieses Hauses nicht mithalten.

Als „zweieinhalb Stunden Blödheit“ kündigte der Hausherr der Komischen Oper seine Inszenierung an, „kein Tiefgang heute“, denn „zu lachen ist in der Krise wichtiger“. Pointen Koskys, wie die Feststellung übers Publikum, „Sie sind unser Sauerstoff!“ gipfelten in der Überlegung, das Haus der Komischen Oper ab Montag zu einer Synagoge zu erklären und damit das Verbot des Theaterspielens zu unterlaufen – als eine andere Art von Gottesdienst in der Synagoge, „Frauen oben, Männer unten“.

Nachdem das Tanz-Ensemble für zwei Wochen in Quarantäne geschickt worden war, hatten zwei der vier hier Tanzenden innerhalb von zwei Tagen die Choreografie von Damian Czarnecki nachstudiert. Die Corona-Auflagen hätten zu der „in kürzester Zeit“ erstellten Fassung „mit Abstand“ geführt. Also hat Kostümbildner Klaus Bruns „Abstandskostüme“ als historisierende Reifröcke entworfen. Und so tanzen die drei Tänzer mit Dance Captain Mariana Souza in der Ouvertüre als Militär in Tarnfarben-Reifröcken, legen diese mehr äußerliche Behauptung einer Kostümierung jedoch schon für die nächste Szene ab, und auch der potentielle Liebhaber der Großherzogin wird später zwischen deren Schenkeln unter deren gigantischem Reifrock platziert.

Adel und Militär rund um die in den einfachen Soldaten Fritz verliebte Großherzogin stecken in dick aufgeschäumten Kostümen, Jens Larsen als General Bumm muss sogar auf den Einsatz seiner Arme verzichten. Die einzige Frau ohne Genderverbiegung, Alma Sadé als Wanda, stellt in einem wippenden Kurzreifrock, gern das darunter Liegende zur Schau, und Ivan Turšić als Soldat Fritz trägt kurze Hosen und zieht den hier überkurzen „Säbel vom Papa“ der Großherzogin aus seinem Hosenschlitz.

Auf ein Bühnenbild wird weitgehend verzichtet. Bühnennebel und ein sehr farbintensives Licht, ein Kinderstühlchen als Thron der Großherzogin und später ein die Bühnenbreite ausfüllendes Sofa genügen. Und als Requisite dienen neben einem Gewehr insbesondere Sektgläser, aus welchen überlang und akustisch verstärkt geschlürft wird.

Ein ähnliches Prozedere wäre für die Gesangspartien hilfreich gewesen, denn die Textunverständlichkeit an diesem Abend ist extrem, und die Möglichkeit, die Texte in der Übertitelung mitzulesen, wäre aufgrund der zugedeckten Sitzplätze des Corona-gemäß reduzierten Zuschauerraums ohnehin kaum möglich, so dass darauf ganz verzichtet wurde. Bei dieser Spielvorlage, die von zündenden Ohrwürmern, gepaart mit dem Wortwitz ihrer hinreißenden Texte lebt, ist das besonders bedauerlich. Allerdings trägt auch die Übersetzung von Stefan A. Troßbach wenig zu Heiterkeit und Verständnis bei, bleibt sie doch weit hinter der frechen Übersetzung von Edmund Gleede und Tomas Münstermann zurück, deren Situations- und Wortwitz Gleedes Inszenierung der „Großherzogin von Gerolstein“ im Jahre 1980 an der Deutschen Oper Berlin auszeichnete.

Hortense Schneider hatte im Jahre 1867 in der Uraufführung in Paris die Großherzogin verkörpert, später waren in Berlin Fritzi Massary, Patricia Johnson und Dagmar Manzel großartige Interpretinnen der Titelpartie. Aber bereits seit einer frühen Produktion der Pocket Opera Nürnberg im Jahre 1974 wurde die Großherzogin von Männern gespielt, etwa 1988 im Deutschen Theater in München oder 1996 an den Städtischen Bühnen in Münster. In Barrie Koskys Neuinszenierung sind mit der Titelpartie Tom Erik Lie und Philipp Meierhöfer besetzt (– doppelbesetzt wie grundsätzlich alle sieben Solorollen in dieser Operette, die als Doppelvorstellung für das Silvester-Programm vorgesehen ist).  Doch nicht nur einmal sprach Barrie Kosky seine Befürchtung aus, dass diese „Premiere gleichzeitig Dernière“ sein könnte.

Premierenbesetzung Tom Erik Lie, laut Aussage Koskys „der einzige Bariton, der gleichzeitig Beckmesser und Großherzogin“ verkörpert, radebrecht die Partie vorwiegend auf Norwegisch, oft von einem anderen Sängerdarsteller (Tijl Faveyts als Baron Puck) für die Rezipienten diesseits und jenseits der Rampe gedolmetscht, manchmal auch über Lautsprecher.

Im Original-Libretto von Henri Meilhac und Ludovic Halévy willigt die vom Verhalten des Fritz frustrierte Herzogin ihrer lange verzögerten Heirat mit Prinz Paul (Christoph Späth) am Ende doch zu – ein „fauler Kompromiss“, weshalb Kosky laut Programmheft-Interview „mit einem etwas anderen ‚Happy End‘ schließen lassen“ wollte. Doch die angekündigte Alternative wird sinnlich nicht erlebbar.

Nachdem laut Kosky der musikalische Leiter irgendwo „international verloren gegangen“ war, bleibt auch durch die als Ersatz engagierte Alevtina Ioffe Offenbachs Verve auf der Strecke, abgesehen davon, dass die Dirigentin die 18 Musiker mit der Bühne oft nicht recht zusammenbekommt.

Durch Gags wie Schluckauf oder Schlafkrankheit mit plötzlichem Schnarchen der in die Jahre gekommenen Großherzogin gewinnt die Handlung kaum dazu, und auch nicht durch ergänzte Zeitkomik („Abstand!“  – „Lach-Ansteckungsversuch“). Als Konzertdarbietung der auf Kinderstühlchen sitzenden Soli wird das „Gute Nacht“- Ensemble, womit dem schnell zum obersten Militär aufgestiegenen Fritz seine Hochzeitsnacht mit Wanda versauert werden soll, verschenkt.

Zwischenapplaus von der Bühne ist (zum Teil obendrein elektroakustisch verstärkt) ein schwacher Anreißer für den deutlich schwächeren Publikumsapplaus.

Es sei nicht verschweigen, dass es auch einige vereinzelte aufdringliche laute Lacher an diesem Abend gab, aber beispielsweise in meiner Reihe wurde nicht einmal gelacht.

Diesmal durfte das Publikum während der Aufführung die Masken abnehmen, und es gab eine Pause, aber keine Premierenfeier. Statt seiner „zweieinhalbstündigen Ansage“ bei der Premierenfeier (Kosky) bemühte sich der Hausherr beim Schlussapplaus nochmals um eine Gutwetterlage, kam jedoch verbal in Konflikt mit einem (keineswegs inszenierten, unangenehm wirkenden) Konflikt mit einem seiner Hauptdarsteller.

Aufgrund der Beschränkungen der „Corona-Pandemie“ versprach der Hausherr ein Wiedersehen in „4, 5, 6, 7, 8 Wochen – who knows?“

Nicht zum ersten Mal in der Theatergeschichte ist zu konstatieren, dass häufig das, was für die Mitwirkenden bei den Proben unbändiges Lachen auslöst, dann aufs Publikum nicht in gleicher Weise überspringt. Aber jedem Theater muss das Recht zustehen, auch mal mit einer Produktion völlig daneben zu schlagen.

Eine Frage bleibt gleichwohl offen: wie wird mit der anderen Titelrollen-Besetzung hinsichtlich der Sprache verfahren? Tom Erik Lie ist Norweger, Philipp Meierhöfer Franke. Werden bei Meierhöfer Übersetzungen aus dem Fränkischen oder Bayerischen erfolgen? Noch wichtiger aber: Werden wir’s erleben?

  • Weitere Aufführungen: 8., 21., 27. November,  7., 11. 21., 27., 31. Dezember 2020 und 2. Juli 2021.

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