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Sehnsucht nach Liebe und Selbstbestimmung
Von Stefan Schmöe / Fotos von Sandra Then
Hierzulande ins Bewusstsein gerückt ist Mieczysław Weinberg (1919 - 1996) durch die Entdeckung seiner Oper Die Passagierin (1967/68) bei den Bregenzer Festspielen 2010 und später an der Oper Frankfurt (2015). Seitdem findet man den Komponisten hier und da auch mit anderen Werken in den Spielplänen. Masel tov! ist nach der deutschen Erstaufführung am Konzerthaus Berlin 2012 in Heidelberg und Erfurt nachgespielt worden. Mit rund 90 Minuten Spieldauer und kleiner Besetzung (fünf Solisten und Kammerorchester) von überschaubaren Dimensionen, lässt es sich auch unter den Bedingungen der grassierenden Pandemie aufführen. Die Handlung folgt einem Theaterstück von Scholem Alejchem (dessen Erzählung Tevje, der Milchmann dem Musical Anatevka zugrunde liegt), in jiddischer Sprache verfasst, was auch im vergleichsweise liberalen Moskauer Kammermusiktheater nicht durchsetzbar war, sodass Weinberg das Libretto in russisch erstellte. Es geht um das Dienstpersonal am Rande einer Verlobung im Hause einer reichen jüdischen "Madame" in Odessa: Köchin Bejlja wünscht sich einen Mann und findet ihn letztendlich im fliegenden Buchhändler Reb Alter; und auch das Dienerpaar Fradl und Chaim kommen sich näher. Und als "Madame" erscheint und sich über das zügellose Treiben in der Küche mokiert, schlägt die Situation um in Rebellion. Reb Alter, der fliegende Buchhändler (Norbert Ernst)
Die Musik besteht aus tonalen Bausteinen, die aber oft unvorhersehbare harmonische Wendungen nehmen, dass eine feste Tonalität ins Wanken gerät. Man spürt die Nähe zu Schostakowitsch (mit dem Weinberg eng befreundet war), aber ohne dessen Pathos, Schärfe und Zynismus. Weinberg komponiert hier gefälliger, mit leichtem Ton, der zwischen Witz und Melancholie hin und her pendelt, greift manchmal jiddische Folklore auf und spielt mit liedhaften Elementen, bewegt sich oft im Konversationston und erreicht einen ganz eigenen Stil. Die Düsseldorfer Symphoniker in Mini-Besetzung spielen unter der Leitung von Ralf Lange ganz ausgezeichnet, wobei Lange eher Lyrik und Melancholie sowie ein flüssiges Parlando unterstreicht als Groteske und Witz. Fradl (Lavinia Dames) und Chaim (Jorge Espino)
Sehr gut auch die Sängerbesetzung: Kimberley Boettger-Soller ist eine warmherzige, sehr präsente Köchin Bejlja, Lavinia Dames eine mädchenhaft lyrische Dienerin Fradl, Bariton Jorge Espino mit bestechender Mischung zwischen Eleganz und Draufgängertum ihr Verehrer Chaim und Charaktertenor Norbert Ernst ein vielleicht eine Spur überdimensionierter Buchhändler Reb Alter. Die vier Akteure sind zudem gut aufeinander eingestellt und geben ein virtuos aufeinander reagierendes Ensemble ab. Ein wenig blass bleibt die an sich solide singende Sylvia Hamvasi bei ihrem kurzen Auftritt als Hausherrin, der mehr Wucht bräuchte, schließlich treffen hier für einen kurzen Moment zwei Welten aufeinander. Zunehmendes Chaos: (von links) Chaim, Fradl, Reb Alter undf Köchin Bejlja (Kiberley Boettger-Soller)
Regisseur Philipp Westerbarkei macht im Grunde nichts falsch, wenn er das Stück vergleichsweise konventionell nachspielt, ohne die Figuren zu überzeichnen und ohne gefühlig die vermeintlich gute alte Zeit (die Handlung ist auf das Jahr 1899 datiert) heraufzubeschwören. Ausstatterin Heike Scheele deutet einen schmucklosen Küchenraum, in dem auch die Tafel eingedeckt wird. Kein Realismus, aber konkret genug, um darin eine Geschichte zu erzählen. Über allem hängt ein riesiger Rauchabzug, der alle zu verschlingen droht. Das wird aber eines der Probleme des Abends: Das die Figuren auf der allzu großen Bühne verloren gehen, die Aktionen zu kleingliedrig sind, die Regie sich im Konversationsstück verzettelt, ohne klare Akzente zu setzen. Revolution! Links am Tisch verstarb soeben Madame (Sylvia Hamvasi)
Weinberg macht es dabei allerdings auch nicht einfach. Die Handlung verliert sich in vielen Monologen und Dialogen. Dabei fehlt dem 90-Minuten-Stück das Gravitationszentrum, der Konflikt, der die Komödie in Gang setzen würde. Man sieht vier Menschen, die Liebe suchen und wahrscheinlich nicht finden werden, dem vermeintlichen Happy End zum Trotz. Aber wirklich nahe kommt man diesen Menschen hier nicht. Westerbarkei zeichnet sie durchaus detailliert, bleibt aber trotzdem merkwürdig oberflächlich: Die Schicksale berühren nicht. Einmal fällt eine tote Krähe durch den Kamin hinunter. Später wird Madame wie eine Krähe erscheinen, und man sagt sich: Aha, das war vorhin ein Vorzeichen. Das ist zu kleinteilig gedacht, als dass es theatralische Wirkung entfalten könnte.
Musikalisch auf hohem Niveau, solide inszeniert - und dennoch bleibt Masel tov!, der reizvollen Musik zum Trotz, mäßig aufregend. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne und Kostüme
Dramaturgie
Solisten
Fradl, Dienstmädchen
Bejlja, Köchin
Chaim, Diener
Reb Alter, Buchhändler
Madame, Hausherrin
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