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Bayerische Staatsoper zeigt „Die Vögel“ von Walter Braunfels: Der müde Meister

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Caroline Wettergreen als Nachtigall mit Michael Nagy und Charles Workman.
Ratschlag vom schrägen Vogel: Caroline Wettergreen als Nachtigall mit Michael Nagy (Ratefreund) und Charles Workman (Hoffegut, re.). © Wilfried Hösl

Musikalisch top, szenisch mau: Kurz vor dem Lockdown zeigt die Bayerische Staatsoper „Die Vögel“ von Walter Braunfels vor 50 Zuhörern. Es könnte die einzige Aufführung bleiben.

Wo waren eigentlich die Rainbirds? Oder, um’s internationaler, rock’n’rolliger zu haben, The Cardinals? Ein paar Szenenschnipsel aus „Vogelfrei“, dem französischen Kinodrama von Agnès Varda, hätte man sich vorstellen können, notfalls einen Kurzauftritt von Jürgen Vogel. Aber es reichte ja auch so: The Byrds in Concert ruft ein Plakat, auch die Eagles rocken demnächst in der Gegend. Und über allem thront Hitchcock als Riesenreklame in Schwarz-Weiß, seine Kampf-Möwen dürfen per Einspielung gegen die Telefonzelle mit Tippi Hedren donnern.

Mit dem Objekt dieser Opern-Reanimation hat das bis auf den Titel herzlich wenig zu tun. Doch wer Frank Castorf bucht, bekommt genau das: reichlich Assoziationsware, von Aleksandar Denić als Drehbühnenwust arrangiert, kleine Rempeleien gegen Kapitalistisches und eine bedarfsweise heruntergefahrene Leinwand, auf der zittrige Videos Gesichter vergrößern bis vergröbern oder Backstage-Szenen wie Hoffeguts heiße Nummer mit der Nachtigall verraten.

Die 50 Zuhörer jubeln tapfer

Als Großereignis hatte sich die Bayerische Staatsoper „Die Vögel“ eigentlich gedacht (Handlung siehe unten). Fast genau vor 100 Jahren wurde der Zweiakter von Walter Braunfels, eine nihilistische Variante der antiken Aristophanes-Komödie, im Nationaltheater uraufgeführt. 50 Vorstellungen folgten, auch in Wien und Berlin ergötzte man sich am zwölftonfreien Symbolismus, am Widerhall des 19. Jahrhunderts, die Zeiten waren ja unübersichtlich genug. Und nun das. Nur 50 Zuhörer in der Premiere, Stimmung wie in einer Probe, am Ende tapferer Jubel – es dürfte bei dieser einen, immerhin Internet-konservierten Aufführung bleiben.

Weniger Musiker als vorgesehen auch im Graben, doch für die Partitur ist das Vegetarische nur gesund. Zumal Dirigent Ingo Metzmacher weniger an Überwältigung interessiert ist, vielmehr an Klangstrukturen und kundig nachgezeichneten Verläufen. Das Burleske, Pointierte mag etwas fehlen, auch wirken die Ausbrüche wie entkoppelt. Dafür labt man sich am wachsweichen Musizieren des Bayerischen Staatsorchesters: Es ist eine Interpretation, die nicht ihr Heil sucht in der Opulenz oder nach Modernismen gräbt, sondern die Schwellen- und Scharnierstellenkunst von Braunfels verdeutlicht. Und auf einmal tönt ein Stück, das mal aufgepumpte „Ariadne“, mal „Tristan“ sein will, überraschend logisch und geschlossen.

Auf dieser Bühne hätte man auch „Die lustige Witwe“ spielen können

Metzmacher verortet also genau, Castorf bleibt diffus. Sein Liebling ist Stadtflüchtling Ratefreund, der hier eine heruntergekommene Tingeltangel-Truppe um das Schlagerwrack Wiedehopf aufwiegelt und dafür in die Nazi-Uniform schlüpft. Doch für dessen Kumpel Hoffegut und seine stückbestimmende Beziehung zur Nachtigall, für deren Utopiesuche und die fatale Unvereinbarkeit zweier Entwürfe und Welten, dafür hat Castorf nur Schulterzucken übrig. Gerade in solchen Aufführungen zeigt sich das Paradox der angejahrten Bildsprache. Ihr Wust, ihre Betriebsamkeit, die Flucht in Assoziation und Provokation, all das gaukelt Dialektik nur vor. In Wahrheit kreist dieser Castorfismus hermetisch um sich selbst: In diesem Setting hätte man problemlos „Siegfried“ oder „Die lustige Witwe“ spielen können.

Da der Meister müde ist oder sein Stückrezept verlegt hat, hält man sich an Solisten, die von sich aus strahlen. Vor allem an Koloratursopranistin Caroline Wettergreen als Nachtigall, die kein Feuerwerk abbrennt, sondern auch für exponierte Lagen samtigen, unverspannten Wohlklang parat hat – eine Erotik in extremo. Charles Workman ist ganz kluger, hinterfragender Feinzeichner, nimmt Hoffegut jegliche Heldenpose. Günter Papendell (Wiedehopf) gibt das angemessen verpeilte Raubein. Michael Nagy lässt den Ratefreund schillern zwischen Buffo-Bariton und Fiesling, hat also vokal mehr Facetten parat, als man ihm szenisch zugesteht. Wolfgang Koch, einst Castorfs Bayreuther Wotan, ist dagegen mit dem Stil bestens vertraut. Sein heruntergerockter Prometheus warnt saufend und im Rage-Crescendo vor der Wut des Zeus. Irgendwann regnet’s, während es im Orchester zum olympischen Gewittersturm tobt, die Drehbühne zwei Gänge zuschaltet und das Vogelvolk ins Off flüchtet. In einen Pandemie-Käfig, dem es vielleicht nie mehr entflattern darf.

Aufzeichnung unter staatsoper.tv

Die Handlung: Ratefreund und Hoffegut suchen nach dem Reich der Vögel. Ratefreund plant eine Stadt in den Lüften namens Wolkenkuckucksheim. Die soll den Vögeln die Herrschaft über Götter und Menschen sichern: Der Opferrauch, auf den der Himmel angewiesen ist, könnte nicht mehr aufsteigen. Prometheus warnt die Vögel vor den Folgen ihres Hochmuts. Ratefreund stachelt die Vögel zum Krieg gegen die Götter an. Zeus zerstört Wolkenkuckucksheim. Die Vögel müssen die Größe der Götter anerkennen. Ratefreund und Hoffegut kehren in ihre Stadt zurück.

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