Eine karge, alttestamentarische Wüstenlandschaft, ein trostloser Ort, eine unfruchtbare Einöde. In der Bibel haben Wüsten eine symbolhafte Bedeutung, eine Art Purgatorium, durch das das jüdische Volk aus Ägypten flieht, ebenso aber auch als gefährliches Terrain, in dem Dämonen lauern und der Teufel in Versuchung zu führen versucht. An solch einem Ort der sündhaften Versuchung siedelt Benjamin Lazar seine Inszenierung von George Benjamins Written on Skin an der Oper Köln an.

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Magali Simard-Galdès (Agnès) und Robin Adams (The Protector)
© Paul Leclaire

Benjamins zweite Oper (UA 2012) gilt bereits als moderner Klassiker und findet nach diversen internationalen Produktionen nun auch zunehmend Einzug in die Spielpläne deutscher Opernhäuser. Martin Crimps Libretto basiert auf Guillem de Cabestanh - Le Coeur Mangé, einer anonymen Geschichte aus dem 13. Jahrhundert, die auch in Giovanni Bocaccios Il Decamerone erzählt wird. Diese Legende ergänzt er um drei Engel, die ganz im Vorbild des Chors im antiken Drama, das Geschehen einrahmen und zugleich biblische Konnotationen wecken.

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Magali Simard-Galdès (Agnès)
© Paul Leclaire

Diese klassische Dreiecksbeziehung mit ebenso morbiden, wie tragischen Ausgang, wurde in 15 Szenen adaptiert. Der Protector, ein wohlhabender Großgrundbesitzer mit Blaubartschen Charakterzügen – grausam und besitzergreifend – beauftragt einen Illustrator sein Leben und seine Großtaten in einem Buch zu verewigen. Die sich langsam anbahnende Liebesaffäre zwischen seiner Frau und dem Künstler bleibt jedoch nicht lang unbemerkt und mündet in ein fatales Ende, als der Protector seiner Frau das Herz des ermordeten Jungen zum Mahl vorsetzt und diese anschließend, voller Entsetzen darüber, vom Balkon in den Tod springt.

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Cameron Shahbazi (Boy / Angel 1)
© Paul Leclaire

Neben der vordergründig tragischen Geschichte um die zum Scheitern verurteilte Liebe zwischen Agnès und dem Illustrator, ist es auch eine emanzipatorische Erzählung über das Leben einer Frau im Mittelalter, die die kanadische Sopranistin Magali Simard-Galdès mit mesmerisierender Bühnenpräsenz eindringlich in den Vordergrund rückt. „Wurde mit 14 verheiratet. Kann nicht schreiben. Lesen lernte sie nicht. Grauäugig, Intelligent. Keine Kinder“ – so wird Agnès anfangs beschrieben. Sie versucht aufzubegehren gegen die Enge des goldenen Käfigs, in dem sie gefangen ist. Benjamin und Crimp beweisen Gespür für die Prägnanz dieser Geschichte über eine Frau, die zu viele Fragen stellt, die wissbegierig ist und die Frucht vom Baum der Erkenntnis kosten will. Simard-Galdès zeigte den Facettenreichtum ihrer Figur mit berührender Finesse, ergänzt vor ihrer glasklaren, schwerelosen Stimme, deren Höhen scheinbar mühelos mit geradliniger Präzision gesungen wurden.

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Magali Simard-Galdès (Agnès)
© Paul Leclaire

Mit rauer, düsterer Stimme trat der englische Bariton Robin Adams als gefühlskalter, berechnender Patriarch auf. Der Countertenor Cameron Shahbazi verkörperte den ersten Engel und Boy mit engelsgleicher Eleganz bis hin zu luziferischem Charme. Mit irisierender Stimme und angenehmen Timbre reihte er sich in das stimmlich überaus hohe Niveau des Abends ein.

Die akustischen Ausgangspunkte für das Gürzenich-Orchester waren zugegebenermaßen kritisch. Zu den ohnehin schwierigen akustischen Eigenschaften der Interimsspielstätte im Staatenhaus kam die komprimierte Tonqualität der Live-Übertragung hinzu. Dennoch vermochte die Tontechnik das nuancierte und feingliedrige Dirigat François Xavier Roths beeindruckend zu übertragen. Mit einem eindrucksvollen dramatischen Spannungsbogen über die 15 Szenen wurde die Vorstellung zur Tour de Force. Zwischen dunkel wabernder Zurückhaltung und infernalisch-entfesselten Tutti mit klirrenden Flöten und dröhnender Pauke schuf Roth feinfühlige Akzente und räumte auch Margaux Blanchard und ihrer Viola da Gamba visuell und akustisch einen Ehrenplatz auf der Bühne ein.

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Dino Lüthy, Cameron Shahbazi, Magali Simard-Galdès, Margaux Blanchard
© Paul Leclaire

„This, says the Angel, shows the Woman Falling“ – eine gefallene Frau – im doppelten Sinne. Dies singt der Engel, als sich Agnès vom Balkon stürzt. Ihr Tod wird symbolhaft für den Sündenfall, die Vertreibung aus dem Paradies. Written on Skin ist eine Oper, die ihre HörerInnen in den Bann zieht. Die Geschichte fasziniert und erschreckt zugleich. Dennoch kann man sich Benjamins fesselnder Musik und Crimps poetischem Libretto nicht entziehen.


Die Vorstellung wurde vom Livestream der Oper Köln rezensiert.

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