Korngolds "Die tote Stadt" 100 Jahre nach der Uraufführung aus Köln

Xl_tote_stadt-k_ln-12-20-2 © Hans-Jörg Michel

Die Idee war ambitioniert und goldrichtig: Exakt auf den Tag genau 100 Jahre nach der Uraufführung von Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold, des damals 23-jährigen Wunderkindes, diese Oper am selben Ort wieder zu zeigen. Unter der Leitung keines Geringeren als Otto Klemperer wurde sie nämlich genau am 4. Dezember 1920 im Stadttheater Köln aus der Taufe gehoben. Zeitgleich erfolgte auch eine Aufführung in Hamburg. Die Oper wurde dann landauf, landab gespielt und wurde ein Riesenerfolg, bis die Nationalsozialisten dem ein Ende setzten und der jüdischstämmige Korngold in die USA emigrieren musste. Dieser erlebte dort eine zweite Karriere als einer der einflussreichsten Komponisten für Filmmusik in Hollywood. Seit den 1980er-Jahren hat sich „Die tote Stadt“ mehr und mehr zum Liebhaberstück entwickelt, und wird wieder häufiger gespielt, auch an kleineren Häusern. Die Texte nach dem Roman „Bruges-la-Morte“ von Georges Rodenbach stammen übrigens von einem gewissen Paul Schott, einem Pseudonym, unter dem der bekannte Wiener Musikkritiker Julius Korngold, Erich Wolfgang Korngolds Vater, und der Komponist selbst zusammenarbeiteten.Es ist die düstere Geschichte von Paul, der seiner verstorbenen Frau Marie in seinem Haus in der Stadt Brügge eine Gedenkstätte errichtet hat und dort völlig zurückgezogen um sie trauert. Durch seinen Freund Frank lernt er die Tänzerin Marietta kennen, in der er seine wieder lebende Marie zu erkennen glaubt. Er verfällt ihr und erlebt Albtraum artig sogar, sie ermordet zu haben. Realität und Traum vermischen sich. Schließlich löst er sich aus der Vergangenheit und verlässt die Stadt.

Dieses Jubiläum wird einmal mehr von der Covid19-Pandemie durchkreuzt. Es darf nicht vor Publikum gespielt werden, und der Livestream am Premierenabend präsentiert sich denkbar holprig und technisch keineswegs einwandfrei, wofür sich das Opernhaus auch gleich danach entschuldigte und eine Wiederholung als On-Demand-Streaming anbot, die dann technisch perfekt ablief.

Ursprünglich geplant am Offenbachplatz wurde diese Oper jetzt in der Interimsspielstätte im sogenannten Staatenhaus auf der rechten Rheinseite schräg gegenüber dem Dom gezeigt. Die offene, kreisrunde Bühne (Stefan Heynepräsentiert sich wie eine riesige, drehbare Bar mit seltsamer Club-Atmosphäre an der auf Hockern immer wieder gelangweilte Typen in heutigen Kostümen (Silke Willrett) sitzen und von Kellnern servierte Getränke konsumieren. Fädenartige Vorhänge, die auch als Synonym für Haare gesehen werden können, schaffen zeitweilige eigene, aber immer durchschaubare Räume ohne Rückzugsmöglichkeiten, auf der auch immer wieder Projektionen gezeigt werden. Projektionen von Marie aber auch von brutalen Morden an ihr. In gleichen blauen Kleidern tauchen immer wieder mehrfach Erscheinungen von ihr auf. In der Mitte sieht man dann auch einen Glaskasten, in welchem Paul mit Hundehalsband eingesperrt wird. In diesem kühlen, poesielosen Ambiente, von einer „Kirche des Gewesenen“ist keine Spur, zeigt Tatjana Gürbaca ebenso kühl und analytisch die Geschichte. Allerdings verschwimmen bei ihr weniger Visionen und Realität. Und sie geht entgegen der Vorlage davon aus, dass Paul sowohl Marie wie auch Marietta tatsächlich erwürgt haben könnte und schließlich nicht mit seinem Freund das Haus in Brügge verlässt, sondern Selbstmord durch Durchschneiden der Gurgel begeht. Sie würzt ihre eigene Version mit vielen Details und Ideen, die Poesie bleibt jedoch völlig auf der Strecke. Gürbaca hebt den Gegensatz zwischen Realität und Traum auf und belässt die gesamte Geschichte in einer Zwischenwelt, von der nie ganz klar ist, wie real diese ist. Vielleicht ist Paul der Mörder seiner Frau Marie. Vielleicht ist er auch nur in einer Phantasiewelt Mörder.

Dem kühl-analytischen Blick der Regie steht das romantisierende Dirigat von Gabriel Feltz diametral entgegen. Mit dem ganz ausgezeichneten Gürzenich-Orchester Köln, das seitlich neben dem Rondell platziert ist, wird unter der vor Energie vibrierenden Leitung des Maestro meisterhaft musiziert. Da wird dann an vielen Stellen deutlich, dass Erich Wolfgang Korngold ein Genie der Klangfantasie und unglaublicher theatralischer Effekte ist. Feltz kostet diese Klangsinnlichkeit aus, eher weich als die Schärfen betonend, und lässt die Musik in großen Bögen ausschwingen, bleibt aber immer spannungsgeladen. Manche Passagen nimmt er extrem gedehnt wie etwa das populäre Duett "Glück, das mir verblieb´". Zudem singen auch der (vom Magazin Oper!frisch zum besten Opernchor gekürten) Chor der Kölner Oper (Einstudierung: Rustam Samedov) und die Knaben und Mädchen der Kölner Dommusik betörend schön.

Burkhard Fritz bewältigt die extrem schwierige Riesenpartie des Paul beeindruckend, strahlend und setzt heldentenorale Kraft kultiviert ein. Ausrine Stundyte, die Salzburger „Elektra“ von den Sommerfestspielen 2020 ist eine lyrisch geprägte Marietta/Marie mit leicht eingedunkeltem Sopran und psychologisch glaubwürdiger Darstellung. Wolfgang Stefan Schwaiger singt Pauls Freund Frank mit elegantem, weichem Bariton und gestaltet die Bariton-Arie „Mein Sehnen, mein Wähnen“ sehr schwärmerisch. Daliah Schaechter gestaltet ihre Partie als Haushälterin Brigitte ausdrucksstark, wobei die Stimme immer wieder angestrengt klingt. Anna Malesza-Kutny als Tänzerin Juliette, Regina Richter als Tänzerin Lucienne, John Heuzenroeder als Regisseur Victorin sowie Martin Koch als Graf Albert sind alle ideal besetzt.

Bleibt zu hoffen, diese wie auch alle anderen Opern bald wieder live erleben zu können!

Dr. Helmut Christian Mayer

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