Gibt Dir das Leben Zitronen, mach Limonade draus - nach diesem Kalendermotto agieren derzeit Wiens Opernhäuser. Die Zitronen sind bekanntlich die Sperren in Folge der Coronapandemie. Und die Limonade sind die Aufzeichnungen zentraler Produktionen vor leerem Haus, für die nun die Zeit ist. Deren möglicherweise süßeste ist das barocke Ideenbombardement "Platée", das derzeit im Theater an der Wien für die Kameras inszeniert wird. Auch wenn dabei ein Hauch des Abschieds weht.

Die Inszenierung der außerhalb Frankreichs selten gespielten Gesamtkunstoper von Jean-Philippe Rameaudurch den Kanadier Robert Carsen war 2014 ein Sensationserfolg am Haus. Carsen und sein Ausstatter Gideon Davey formten die sperrige, höfische Satire zum poppigen Videoclip für alle Sinne. Das diabolische Spiel der Götter um Jupiter mit der tumben Nymphe Platée, die als Lockobjekt für die eifersüchtige Juno dient, wurde in das Tableau einer modernen Gesellschaft aus Hipstern und Fashionistas verlegt. Ein bonbonbunter Barocktraum, der campy, fancy, elegant und abhold jeglicher peinlicher Momente der zwanghaften Verjüngung war - und ist, wie sich nun zeigt.

Eigentlich wollte Intendant Roland Geyer für die Arbeit eine selten Ausnahme im Betrieb seines Stagionetheaters machen und die sechs Jahre alte Inszenierung am kommenden Montag (14. Dezember) erneut auf den Spielplan des Theaters an der Wien heben. Und dann kam Corona. Angesichts der sich anstauenden neuen Projekte müsse man deshalb bereits jetzt konstatieren, dass die "Platée" nicht mehr live am Haus zu sehen sein werde, so Geyer am Rande eines Probenbesuchs am Freitag. So weit also die Zitrone.

Die Limonade ist der Umstand, dass es gelungen ist, die Unitel für eine Aufzeichnung zu gewinnen, die in der ersten Jahreshälfte 2021 erscheinen und auch auf 3sat und in ORF III zu sehen sein soll. Während es laufenden Wochenendes ist das gesamte Ensemble nun also im Einsatz, um die Fashionoper für die Nachwelt zu bannen. "Das ist in Wien etwas Besonderes", unterstrich auch der eigens für die Auffrischung angereiste Robert Carsen.

Wobei es nicht viel an Auffrischung für seine Arbeit benötigt. Die Transponierung in die Modewelt ist nach wie vor schlüssig, wenn Jupiter als Karl Lagerfeld mit Katze am Arm und umschwirrt von Fotografen auf die Bühne kommt, während als Pendant zu ihm Gattin Juno als Coco Chanel gestylt ist. Die langen, immer wiederkehrenden Tanzsequenzen, die bei der französischen Barockoper obligatorisch und heute doch für die meisten Regisseure ein Problem sind, fügen sich immer noch ganz natürlich in den Fluss der Handlung ein. Dazu lösen sich die ansonsten in den Chor eingebetteten Tänzer aus der Gruppe und zeigen Modern Dance in Reinform.

Vor allem lebt diese "Platée" aber immer noch von Marcel Beekman in der Titelpartie. Der niederländische Tenor machte als plumpe Nymphe eine großartige Figur. Dass seine Rolle von den Göttern als Witzfigur missbraucht wird, macht er über weite Strecken durch eine humorvolle Performance fast vergessen und kann dabei doch die Tiefen seiner Prolobraut freilegen, die von der oberflächlichen Partygesellschaft bloßgestellt wird. Diese Platee ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Fashion Victim.

Neben Beekman sind die meisten Ensemblemitglieder auch für die Aufzeichnung nach Wien zurückgekehrt - dankenswerterweise. Prominentester Neuzugang ist Jeanine de Bique, die als Folie Simone Kermes ersetzt und mit den Koloraturen der Partie hadert. Und auch im Graben gibt es mit Routinier William Christie einen Eleven in dieser "Platée". 2014 musste der Chef des Orchesters Les Arts Florissants krankheitsbedingt das Dirigat noch Paul Agnew überlassen, führt nun aber seine maskenbewehrten Musiker in extremen Tempivariablen durch das Stück. Die Veröffentlichung des Projekts im kommenden Jahre ist also zumindest etwas, auf das man sich in der aktuellen Lockdownphase freuen kann.

"Platée" von Jean-Philippe Rameau im Theater an der Wien mit William Christie am Pult der Les Arts Florissants. Regie: Robert Carsen, Ausstattung: Gideon Davey. Mit Marcel Beekman - Platee, Jeanine de Bique - La Folie, Padraic Rowan - Satyre/Mommuss, Cyril Auvity - Thespis/Mercure, Ilona Revolskaya - Thalie, Emmanuelle de Negri - Amour/Clarine, Marc Mauillon - Citheron/Momus, Edwin Crossley-Mercer - Jupiter und Emilie Renard - Junon.