Ein jeder wird geprellt Premiere Falstaff ohne Applaus in München

Xl_img_1721 © Winfried Hösl

Geprellt sind die vielen Opernfans, die von den Politikern weggesperrt werden und nun auf die verschiedenen Altivitäten der geschlossenen Opernhäuser angewiesen sind, um ein paar unbekümmerte Stunden der Freude zu geniessen. Ein sehr kostspieliges aber außerordentlich spannendes Operngefühl realisieren verschiedene Theater, indem sie Premieren von Neuinszenierungen in Zusammenarbeit mit Fernsehstationen und/ oder eigenen Streamingdiensten anbieten. Die bayerische Staatsoper hat nun ihre Neuinszenierung von Giuseppe Verdis letzter Oper Falstaff ohne Publikum auf die Bühne gebracht. Shakespeares Komödie der lustigen Weiber von Windsor wurde vom jungen Arrigo Boito in ein lebendiges Libretto gefügt, welches der greise Komponist zuerst unwillig und dann begeistert in Melodien goss.

Nach der großen Tragödie Otello hinterlässt er hier der Opernwelt eine der wenigen „Commedia lirica“ über den Lebemann Sir John Falstaff, der seine knappe Kasse durch die Gunst reicher Frauen aufbessern will. Sein plumper Plan wird durchschaut und schlau mit Witz durch die beiden Frauen Mrs Ford und Mrs Page durchkreuzt. Die Regisseurin Mateja Koleznik setzt die mittelalterliche Geschichte in die 60iger Jahre des letzten Jahrhundert mit schrägen bunten Kostümen von Ana Savic Gecan gestaltet. Ausgeklügelt ist die Bühnengestaltung von Raimund Orfeo Voigt. Eine breite Hausfront mit eleganten Portalen schiebt sich den gesamten Abend von einer Seite zur anderen, die Portale öffnen sich und immer wieder werden neue Einstellungen sichtbar. In der Tiefe wiederholt sich diese Idee auf mehreren Ebenen. Sehr lebendig wirkt dieses Konzept und erlaubt viele kleine Szenen, sowie rasche Bildwechsel ohne dass die Handlung unterbrochen wird. Dazu liefert Tamas Banyai eine abgestimmte Lichtregie. Besonders anspruchsvoll werden diese raschen Abläufe für die Kameraführung, um grossformatige Bildeinstellungen mit dem Gesamtbild zu kombinieren und für den Zuschauer nachvollziehbar zu bleiben. Aber das Regiekonzept geht auf und wirkt für den Betrachter modern, logisch und ansprechend inklusive schräger Momente, wenn der Held mit Hirschgeweih erscheint, umgeben von Feen wie im Pariser Revuetheater. Ein grosser Bruch mit hohem Überraschungs- und Aufmerksamkeitswert folgt in der Schlußszene. Auf einer Videoleinwand werden die Portraits der einzelnen Sänger und Sängerinnen eingespielt und das schlimme Los des geschlossenen Theaters mit voller Wucht dargebracht. Wie heil war der Abend in der gekannten Welt zuvor, wie schmerzlich wirkt die Videowelt in diesen vermutlich selbstgedrehten Einspielungen der Künstler.

Der gelungene Spannungsbogen zwischen Unterhaltung und Musiktheater wird im Orchestergraben durch Michele Mariotti am Pult geschlossen. Der Italiener kitzelt mit Feingefühl die Komik in der Musik heraus. Eine Frische und Dynamik baut sich auf. Lebhaft und nahezu kammermusikalisch jugendhaft wirkt das Werk des fast 80 jährigen, der nach seiner gescheiterten Oper Un giorno di regno 1840 keine weitere Komödie schreiben wollte und diese hier geradezu neu erfindet. Das durchkomponierte Werk steht noch in der Tradition der romantischen Oper aber ohne Einzelnummer und fliesst nahtlos in einem melodiösen Rezitativstil. Über Parallelen zu Richard Wagner wird oft spekuliert. Hervorsticht die grosse Fuge des Schlussbildes, aber an vielen Stellen greift er auf frühere klassische Kompositionslehre zurück. Dies kennen wir auch von seinem deutschen Antipoden. Auch auf die Wortverständlichkeit wird abgezielt.

Den Titelhelden verleiht Wolfgang Koch Lebenslust, Verschlagenheit und einen Schuss Selbstironie, der auch ehrlich leiden kann. Oft genug wird Falstaff dümmlich und dicklich ja auch weltfremd gezeichnet. Hier wirkt er modern und bodenständig, ein Bluffer am Spieltisch und im Leben, beides wird aufgedeckt. Gekonnt lässt er seinen Bariton in den Melodien schwingen und hält im Tempo gut mit. Die Lagenwechsel gelingen geschmeidig und er färbt die Stimmungswechsel gekonnt. Der Mr.Ford von Boris Pinkhasovich ähnelt in dieser Regie als gegängelter Ehemann dem gehörnten Helden. Auch er stimmlich überzeugend in der Rolle. Ailyn Perez gestaltet seine Ehefrau Mrs Ford mit sprühender Lebendigkeit und viel südländischem femininem Flair. Weich fliesst ihr Sopran durch alle Höhen, locker kommt sie mit den schnellen Szenen und Abfolgen zurecht, intoniert sich und strahlend. Mrs Page ist ihre Komplizin, Daria Proszek wirkt hier im Ansatz hölzern und steif, im Gesang kann sie aber ein passendes und in der Farbe gut abgestimmtes Pendant bieten. Elena Tsallagova ist Nannetta Ford, die in dem munteren Treiben bestimmt und klug ihre eigenen Liebespläne mit Fenton verfolgt. Keck und frech setzt sie als selbstbewusste Tochter im Gesang Akzente. Galeano Salas überzeugt mit einer lyrischen hell unterlegten Stimme als Fenton. Die dritte im munteren Damenbunde ist Mrs Quickly. Sicher und ohne Schärfe ist Judit Kutasi im Gesang, es fehlt die Würze in ihrer Rollengestaltung. Fesselnd ist der Abend am Bildschirm und wie gerne würde der Betrachter aufspringen und den Künstlern und Künstlerinnen als auch dem Regieteam den verdienten Applaus spenden. So herrscht nüchterne Stille nahezu erdrückend nach dem grossartigen Finale wenn der Vorhang fällt. Nun sind die Künstler auf der Bühne um den verdienten Dank geprellt.

| Drucken

Mehr

Kommentare

Loading