Dass Ferrando es nicht leicht haben wird, in dieser Fiordiligi Liebe zu ihm zu entfachen, steht von Anfang an in Roxana Haines' Così fan tutte-Inszenierung an der Scottish Opera in Glasgow fest. Mit ihrem streng zurückgekämmten Haar, dem recht  unmodisch wirkenden Kleid aus dickem rötlich-braunem Stoff, das eher wie eine Rüstung denn wie ein Gesellschaftskleid anmutet, und ihrer oft abweisenden Miene wirkt diese Fiordiligi nicht wie eine junge, gefühlvolle Frau aus dem sonnigen Süden Europas, als vielmehr wie eine Vorkämpferin eines fast schon militanten Pietismus, und wenn sie in ihrer großen Felsenarie ihre unbedingte Treue zu ihrem Geliebten Guglielmo beschwört und dabei den Zeigefinger wie eine Waffe in die Höhe streckt, kann sie geradezu zum Fürchten sein. Haines hat diese Figur ganz aus dieser Arie heraus entworfen – wie im Unterschied dazu die deutlich lockerere Dorabella aus deren rascher Bereitschaft im Duett der beiden Schwestern, sich den Braunen von den beiden Fremden zu wählen, die da um ihre Liebe buhlen. Margo Arsane brachte das in einer stets entspannten Körperhaltung zum Ausdruck.

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Charlie Drummond (Fiordiligi)
© James Glossop

Auch die übrigen Figuren sind ganz aus ihren Funktionen in dieser Oper heraus entworfen, und der Begriff „Funktion“ passt hier besser als der des Charakters, denn die Così ist ja weniger eine Gesellschaftskomödie als vielmehr eine Art psychologische Laborsituation: Guglielmo und Ferrando versuchen auf Veranlassung ihres Freundes Alfonso, die Geliebte des jeweils anderen „herumzukriegen“ in der Absicht zu beweisen, dass das wegen der unerschütterlichen Treue beider Frauen scheitern werde. Das Ende sieht anders aus.

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Michael Mofidian (Don Alfonso)
© James Glossop

Eine solche Testsituation kann es zu allen Zeiten geben, weshalb Roxana Haines das Stück im Hier und Heute ansiedelt, Alfonso als souveränen Spieler auf die Bühne bringt und die beiden jungen Männer als überschwänglich, liebenswert, ein wenig leichtgläubig. Die Regisseurin hält sich auch genau an Hinweise im Libretto und lässt die beiden jungen Offiziere in einer grotesk lächerlichen Verkleidung auftreten, ganz wie das Stubenmädchen Despina es denn auch konstatiert.

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Arthur Bruce (Guglielmo)
© James Glossop

Dass das nicht unbedingt mit der seriösen Figurenzeichnung der beiden Schwestern korrespondiert, wie sie in Mozarts Musik zum Ausdruck kommt, die auf junge Männer mit lächerlichen Bärten und Hawaiihemd nicht unbedingt hereinfallen dürften, bleibe dahingestellt. Problematischer dagegen ist ein anderer Regieeinfall. In einigen Logen sitzen Zuschauer – nicht die üblichen Opernbesucher, die im Augenblick coronabedingt fernbleiben müssen, sondern ein paar fiktive Besucher, die mit roten Pappherzen ihre Sympathien zum Ausdruck geben, was sie denn auch eindeutig nicht als Besucher einer Opernaufführung kennzeichnet, sondern als Besucher einer TV-Show, als die das alles inszeniert ist. Daher agieren die Figuren denn auch weniger miteinander als vielmehr zur Rampe hin, sprich: in eine Kamera hinein – eine Art Datingshow mit Alfonso als Showmaster im Glitzerjackett. Das betont die komödiantische Ebene, die diese Figuren in sich vereinen, steht aber Mozarts großer Musik entgegen, die eben immer wieder ernste Gefühle zum Ausdruck bringt, schließlich geht es um nichts Geringeres als Liebe, die am Ende sogar zum Eheversprechen führt.

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Arthur Bruce (Guglielmo)
© James Glossop

Stimmlich war diese Inszenierung ein Genuss. Wenn sich die beiden Frauenstimmen in den Ensembleszenen über den Chor der übrigen erheben, war das gesangliche Erfüllung. Shengzhi Ren als Ferrando verfügt über eine betörend schöne, leicht geführte Tenorstimme, die den Anforderungen dieser hohen Partie voll gerecht wurde, Arthur Bruce gestaltete den Guglielmo spielerisch mit seinem leichten, hohen Bariton, dem Michael Mofidians Alfonso die entsprechende sonore Fülle dessen entgegensetzt, der die beiden jungen Verliebten überzeugen will, und Catriona Hewitsons spielerischer Koloratursopran brachte die Keckheit des Stubenmädchens Despina zur Geltung – und die nötigen Stimmverkleidungen, wenn sie einen Arzt und einen Notar mimen muss. Und wie Charlie Drummond Fiordiligis Felsenarie meisterte, eine der schwersten, die Mozart geschrieben hat, ist berückend.

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Margo Arsane, Arthur Bruce, Shenzhi Ren and Charlie Drummond
© James Glossop

Und doch fehlt der Darbietung nahezu aller Sänger eine wesentliche Zutat: Es mangelt an Dramatik, an Zugespitztheit, und gerade davon lebt diese Oper. Grund dafür ist sicher der TV-Showcharakter der Inszenierung, der den Akteuren eine dramatische Bühnensituation vorenthält. Aber auch das Dirigat von Stuart Stratford war nicht dazu angetan, die unterschiedlichen Emotionsebenen gesanglich auszuarbeiten. Er gestaltete zwar klangschön die bei Mozart so wichtigen Holzbläser, doch war er in der dramatischen Zuspitzung allzu zurückhaltend. So fehlte das erotische Augenzwinkern bei Dorabella, und wenn Guglielmo in seinem Liebesbekunden vom Libretto ein sprechendes „Perchè batte, batte, batte qui“ singen darf, das Mozart musikalisch als Herzschlag charakterisiert, dann schlägt hier nichts. Das ist musikalische Dramatik im Schongang, allerdings in einem Schönklang sondergleichen. 

So ist diese Così, die vor allem im 19. Jahrhundert als Ausbund an Unmoral und Verlogenheit gedeutet wurde, in Glasgow ein wenig bieder und brav – und wenn diese Oper eines nicht ist, dann eben das.


Die Vorstellung wurde vom Stream der Scottish Opera rezensiert.

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