1. Startseite
  2. Kultur

Gärtnerplatztheater zeigt „Der Vetter aus Dingsda“ als Retro-Explosiönchen

KommentareDrucken

Maximilian Mayer als „Erster Fremder“ auf der Bühne des Gärtnerplatztheaters.
Nach Wasserpfeifen-Genuss mit verbotenen Substanzen dreht der Abend endgültig – und endlich – durch: Szene mit Maximilian Mayer als „Erster Fremder“ und damit als August. © Christian POGO Zach

Das Gärtnerplatztheater verpflanzt den „Vetter aus Dingsda“ in die 60er-Jahre. Doch so schrill und schräg, wie die Ausstattung scheint, ist der Abend gar nicht.

Es kommt selten vor, dass eine Operette alle Latten reißt. Die der Logik, die des erträglich formulierten Textes, die des Sexismus, erst recht die von #MeToo. Aber eigentlich war ja „Der Vetter aus Dingsda“ anders gedacht. Als freches kleines Ding (Handlung siehe unten), als Kammerstück, das erst später mit Stars zum Kriegs- und Nachkriegsmuntermacher aufgepumpt wurde. Insofern passt das grundsätzlich schon, was das Gärtnerplatztheater als Internet-Premiere mit 19 wieselflinken bis forschen Orchestermitgliedern unter Dirigent Andreas Kowalewitz im Graben steigen lässt.

Eduard Künnekes 1921 uraufgeführtes Stück vom Blatt nacherzählen? Geht folglich gar nicht. Regisseur Lukas Wachernig verpflanzt den Zweistünder daher in eine Plemplem-Zeit, die uns näher liegt, nämlich in die Sechziger. Ein Retro-Explosiönchen, in dem dank Judith Leikauf und Karl Fehringer (Bühne) sowie Dagmar Morell (Kostüme) alles stimmt. Vom Gartenzwerg über Käse-Igel, Mini-Röckchen und Bungalow-Zitate mit gebogenem Pool bis zur Delial-Sonnenmilch, deren mutmaßlicher Mini-Schutzfaktor satte Melanome garantiert.

Dazu gibt es eine Karikaturen-Parade unter anderen mit Erwin Windegger, der Josef Kuhbrot als aufgegrellten Reiner Calmund gibt, Daniel Gutmann als Egon mit Mathieu-Perücke sowie Maximilian Mayer, dessen „Erster Fremder“, also August, den Berliner Unionfilmstudios mit Hecks „Hitparade“ entlaufen scheint. Wenn die Säfte steigen, klemmt man sich schon mal die aufblasbare Palme als Riesenschniedel vors Becken. Und als alle an der Wasserpfeife mit verbotenen Zusätzen saugen, dreht der Abend ins Delirium durch und erreicht – endlich – jenen Gaga-Dada-Overkill, den die Ausstattung vorgaukelt.

Das Zwerchfell wird nicht gerade belastet

Denn: Zwerchfellbelastend ist die Hin- und Herrichtung des „Vetters“ nicht unbedingt. Wachernig zielt mit seiner Arbeit zwar auf die Überdrehung bis zum Operettenkolbenfresser, nimmt aber Text und Musik viel zu ernst. „Kindchen, du musst nicht so schrecklich viel denken. Küss’ mich, und alles ist gut“ – das kommt dank Maximilian Mayers Prachttenor so ungetrübt und ungebrochen über die Rampe, als sitze er zwischen Samt und Plüsch. Auch Judith Spießer, die mit blank geputztem Sopran durch die Partie der Julia wedelt, wirkt eine Spur zu unterkühlt. Vielleicht auch, weil sie selbst gar nicht weiß, wie ihr in diesem Umfeld geschieht.

Die Antennen von Julia Sturzlbaum (Hannchen), Daniel Gutmann (Egon), Stefan Bischoff (Zweiter Fremder und damit Roderich) stehen dagegen durchaus auf schrill. Wachernig hätte sich also noch viel mehr aus dem Potenzial dieser Naturkomiker bedienen können. Auch Dagmar Hellberg und Erwin Windegger wuseln trotz Fatsuit als leichtgewichtige Knallchargen durchs Bild.

Nur selten erhebt sich alles zum höheren Un- und Blödsinn, den die Regie offenkundig intendierte – und zu dem das Libretto („Den Anzug vom Bruder, gib wieder, du Luder“) ja auch einlädt. Mag sein, dass sich dies alles im Haus anders mitteilt, wo Mitglieder des Theater-Teams tapfer gegen die Leere anjubeln. Die Aufzeichnung ist – auch aus verlagsrechtlichen Gründen – nur bis zum späten Sonntagabend abrufbar. Ende Februar stehen „echte“ Vorstellungen im Spielplan. Man hofft.

Ganz so inhaltsarm, wie die Produktion glauben macht, ist Künnekes Operette nämlich nicht. Das Ausmalen, wie denn der „Richtige“ beschaffen sein muss, der Abgrund zwischen Hoffen und Realität, Sehnsucht, die immer den Keim des Irrealen trägt, auch Kerle, die fern der Heimat sind (das Stück kam drei Jahre nach Weltkriegs-Ende heraus) – das hat schon Wagner, freilich bierernster, im „Fliegenden Holländer“ abgehandelt. Viel Erhellendes gibt es dazu im online verfügbaren Programmheft zu lesen. Es scheint, als ob der Aufsatz die Aufführung subtil unterläuft.

Die Handlung:
Julia ist Alleinerbin eines Schlosses. Onkel und Tante wollen sie mit ihrem Neffen August verkuppeln, um Zugriff aufs Erbe zu erhalten. Julia will ihrem verschollenen Jugendfreund Roderich treu bleiben. Ein Unbekannter gibt sich als Roderich aus, es ist August, beide verlieben sich ineinander. Als alles auffliegt, weist Julia ihn betrübt zurück. Ein zweiter Fremder taucht auf, es ist der echte Roderich – in den sich Julias Freundin Hannchen verknallt. Irgendwann klärt sich alles. Roderich gesteht Julia, dass er nie in sie verliebt war. Also nimmt sie doch August, Hannchen bekommt Roderich.

Aufzeichnung
bis diesen Sonntag, 23 Uhr, unter gaertnerplatztheater.de; weitere Aufführungen ab Ende Februar geplant.

Auch interessant

Kommentare