Glaubenszweifel zu Corona-Zeiten Lohengrin Premiere in Berlin

Xl_15_lohengrin_cb_322 © Monika Rittershaus

Staatsoper Unter den Linden Berlin

Lohengrin

Musik von Richard Wagner

Dichtung vom Komponisten 

Premiere 13. Dezember 2020

Der Stoff dieser ursprünglich aus dem 10. Jahrhundert stammenden großen romantischen Oper von Richard Wagner ist seit ihrer Uraufführung 1850 in Weimar Projektionsfläche für eine Vielzahl, kontrovers diskutierter Interpretationen. Alle großen Opernregisseure haben versucht, der Aufführungsgeschichte des Werkes einen Beitrag hinzuzufügen.       

Elsas Verinnerlichtes und intensives Sehnen in höchster Not erwirkt die Erscheinung Lohengrins. Er verbietet die Frage nach seiner Identität. Elsas durch Dritte initiierter Zweifel und ihr Bruch des Frageverbots zwingt Lohengrin, seine Braut zu verlassen. Sein Verschwinden beraubt die Gesellschaft um eine potentielle Hilfestellung und verhindert doch zugleich ihre möglicherweise gefährliche, unkritische Verführung durch ein überirdisches Heilsversprechen.        

In der Lohengrin-Realisierung des Regisseurs Calixto Bieitos gibt es keinen Raum für eine mögliche positive menschliche Entwicklung, oder auch nur der Hoffnung dazu. Das Individuum sowie der soziale Raum aller Akteure sind statisch. Die Charaktere können anklagen, fordern, provozieren, aber sind allesamt ausschließlich gefangen in ihren Ängsten, Traumata, in ihrer Unfähigkeit zum Handeln. 

Dies wird besonders deutlich bei König Heinrichs: kein souveräner Herrscher mit Autorität und Gewicht, sondern ein ganz im Gegensatz zu seinen Worten schwacher, psychisch krankhaft zuckender, verstörter und gelangweilter Machthaber, der über keinen moralischen oder überhaupt irgendeinen Kompass zur Orientierung verfügt. 

Noch schlimmer Friedrich von Telramund. Zu einem gegen Lohengrin anberaumten Kampf kommt es gar nicht. Während er in der originären Handlung befeuert durch die Wut seiner Anklage mit dem Schwert auf Lohengrin losgeht, implodiert er körperlich in seinem Bürostuhl sitzend und rutscht sprichwörtlich vom Sitz. Eine Nicht-Handlung in verkrampfter, versagender Angst. 

Doch auch für Spaß ist gesorgt: Der Heerrufer des Königs, der den politisch Prozess ordnet, erfüllt seine Aufgabe in unterhaltsamer Verkleidung. Er trägt sich selbst zur Erfüllung seiner Aufgaben mit viel Schminke ein Clownsgesicht auf und agiert in komisch-abgründiger Überzeichnung wie eine Figur aus der Verfilmung einer Stephen King Roman-Vorlage. 

Die Elite der Brabanter Edelleute, also die Leistungsträger der Gesellschaft sind im Verlauf der Handlung am Ende des ersten Aktes Teilnehmer eines in dieser Form heute gängigen Motivationsseminars mit selbst beschrifteten Papierkarten mit den Aufschriften „Mut“, „Hoffnung“ etc.  Im zweiten Akt anlässlich der Hochzeit des hohen Paares sind sie Teil der Spaßgesellschaft in ebenfalls selbst geschminkten Clownsgesichtern und gelangweilte Zuhörer. Im dritten Akt schließlich - unfähig Lohengrin zuzuhören - überhaupt an etwas glauben zu können, zeigen sie ihre Unfähigkeit,  Inhalte und eine eigene Überzeugung zu reflektieren.

Eine solche Gemeinschaft hält nicht die Kontrolle über das eigene Tun und eine wie auch immer geartete politische Umsetzung in den Händen. Eine unspezifische Hintergründigkeit suggeriert, dass diese Situation durch die eigene Schwäche auf einer anderen Ebene schwarze Löcher und Einflussmöglichkeiten eröffnet, deren Wirkzusammenhänge in der Gesellschaft aber gar nicht erst erörtert oder erforscht werden.  

Das  Bühnenbild von Rebecca Ringst und die Kostüme von Ingo Krügler versetzen den Betrachter in das typische Umfeld holzgetäfelter Amtsräume, in denen man heute die Verhandlung gesellschaftlich getragener, parlamentarischer Diskussionen oder Gerichtsverhandlungen verortet. Alle Akteure tragen ihren Funktionen gemäße, unauffällige Alltagskleidung.      

Bieito äußert sich selbst im Programmheft zu seinem Konzept: er empfindet die handelnden Personen wie das unmittelbare Abbild einer in Infantilität, Trauma, Angst und Unfähigkeit zur Übernahme von Verantwortung und entschlossener, konsequenter Handlung gefangenen, nord-europäischen Spaß-Gesellschaft. Jeder versuche auf seine Weise in eine imaginäre Traumwelt zu entfliehen. Punkt. Weder in dieser schriftlichen Stellungnahme noch in der Inszenierung ist auch nur der geringste Ansatzpunkt für eine potentielle Entwicklungs- oder Veränderungsfähigkeit der Gesellschaft ersichtlich oder auch nur er-ahnbar. Eine Sackgasse, höchst fragil.    

Die lettische Sopranistin Vida Miknevičiūtė als Elsa ist für die erkrankte Sonya Yoncheva eingesprungen. Die vielbeachtete Sängerin kann auch in der Rolle der Elsa uneingeschränkt überzeugen. Souveränes Spiel verbindet sie mit einer äußerlich mühelosen stimmlichen Gestaltung der Partie ohne jedwede Ermüdungserscheinungen.

Ekaterina Gubanova als Ortrud ist das unverwüstliche Kraftzentrum der Aufführung. Ihre stimmliche Kunst befindet sich auf dem Höhepunkt ihrer künstlerischen Entwicklung. Die darstellerische Einbringung ist schonungslos und unverwüstlich.

Martin Gantner als Friedrich von Telramund verfügt über einen im Vergleich zu anderen Rolleninterpreten tendenziell höher liegenden Bariton. Er singt in äußerster deklamatorischer Klarheit und Diktion. Sein Spiel eines sich in äußerster Angst windenden Machtmenschen ist beklemmend. 

René Pape zelebriert in aller tadellosen stimmlichen Unverwüstlichkeit einen in seiner Darstellung bis zur Selbstaufgabe psychisch erkrankten, fast irren König.

Roberto Alagna tritt nun endlich als Lohengrin an. Ist es das, was alle schon in Bayreuth eigentlich erwartet hatten? Die Diktion seiner romanischen Herkunft erlaubt ihm nicht sofort eine überlegene sprachliche Umsetzung der Partie. Jedoch ist schlussendlich in der rhetorisch-deklamatorischen Sprach- und Motivführung Wagners das tiefe, nicht nur phonetische Verständnis der deutschen Sprach nun einmal unerlässlich. Zudem war nicht zu überhören, wie Stimmführung und Spitzentöne immer wieder große Mühen bereiteten.            

Der Staatsopernchor unter der Leitung von Martin Wright war tadellos und wirkmächtig vorbereitet. Das Spiel in Bieitos gesellschaftlich düsterem Ambiente tat der stimmlichen Gesamtleistung der Chorgemeinschaft keinen Abbruch.  

Der Komponist Matthias Pintscher dirigiert die grandios aufgelegte Staatskapelle Berlin in der Weimarer Fassung, die mit verminderter Streicherbesetzung einerseits die Corona-Bedingungen der Aufführung zu erfüllen half, andererseits in ihrem klaren, durchsichtigen Klang der Oper jedweden altertümlichen Pomp zu vermeiden half. Pintscher gelang ein schwebendes Klanggefüge mit autarkem Charakter, das die Sänger unterstütze, ohne zu eng an der deklamatorischen Begleitung der Gesangspartien zu hängen.          

Die Aufführung wurde im „Geisterformat“, d.h. ohne Publikum, aber mit umso intensiverer Kamerabegleitung auf der Bühnen der Staatsoper Unter den Linden aufgezeichnet. Die Bildregie konnte das Bühnengeschehen angemessen widergeben und die Klangregie wusste sehr schnell gewisse Halleffekte im Orchesterspiel einzufangen. Wirklich geisterhaft wirkt in der Tat das Verbeugen der Künstler vor dem leeren, stillen Haus.  

Achim Dombrowski Copyright: Monika Rittershaus

 

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