Es ist bereits die vierte Oper, die im Dezember an der Wiener Staatsoper live, aber ohne Publikum, gezeigt wird und so langsam stellt sich Routine ein – sowohl bei den Orchestermusikern und Sängern, die vom fehlenden Applaus nicht mehr ganz so irritiert zu sein scheinen und beim Publikum, das am Sofa-Logenplatz zunehmend Gefallen findet. In der HD-Übertragung von Richard Strauss‘ Rosenkavalier wird allerdings unbarmherzig deutlich, wie abgewohnt das Bühnenbild von Otto Schenks Inszenierung mittlerweile ist. Zusätzlich wirken vor allem die zahlreichen kleineren Rollen von Vorstellungsserie zu Vorstellungsserie blasser und stehen meist etwas verloren auf der Bühne herum. Hingegen füllen die vier Protagonisten die Inszenierung mit Leben und Charakter – was allerdings weniger an der Personenregie als an der Erfahrung der Sänger mit den jeweiligen Charakteren liegen dürfte.

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Günther Groissböck (Baron Ochs)
© Wiener Staatsoper GmbH | Michael Pöhn

Lange überfällig war das Wien-Debüt von Günther Groissböck in seiner Paraderolle als Baron Ochs auf Lerchenau und er überzeugte dabei uneingeschränkt. Die Stimme klang rund und samtig, strömte in allen Lagen genussvoll durch die Partie und beeindruckte mit ebenso eleganter Höhe wie satter Tiefe. Es sind jedoch nicht nur die vokalen Qualitäten, die diesen Ochs zu einem Erlebnis machen, sondern die Kombination aus Stimme, kluger Textgestaltung und nuancierter Darstellung. Alle Aspekte beeinflussen einander dabei stets; wenn er im zweiten Akt darstellerisch etwa den adeligen, „anhabigen Weiberer“ (für die Nicht-Österreicher: den zudringlichen Frauenheld) raushängen lässt, erklingen auch in der Stimme die dazu passenden, virilen Klangfarben während bei der versuchten Verführung im dritten Akt flammende Schattierungen die Ohren umschmeicheln. In einer so textlastigen Oper ist es überdies immer ein Gewinn, ein authentisches Idiom zu hören und neben Groissböcks polterndem Vorstadtslang bot Martina Serafin als Marschallin elegantes Schönbrunner Deutsch. Ihre große, dunkel timbrierte Stimme fühlt sich bei Strauss hörbar wohl, nonchalante Parlandopassagen und dramatisches Aufwallen erklangen gleichermaßen schön, lediglich einige Schärfen in der Höhe störten den vokalen Gesamteindruck. Insbesondere die melancholischen Momente und die kleinen Gesten beeindruckten jedoch an Serafins stimmlicher und darstellerischer Interpretation – ihr finales „Ja, ja“ war etwa voll von Erinnerung, Wehmut und Schicksalsergebenheit.

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Martina Serafin (Feldmarschallin)
© Wiener Staatsoper GmbH | Michael Pöhn

Als titelgebender Rosenkavalier Octavian ließ Daniela Sindram keinerlei Wünsche offen. Ihr schokoladig timbrierter Mezzo floss üppig durch den Abend und verband frischen Klang mit fein gesponnenen Bögen. Im ersten Akt bot sie stimmlich schwärmerische Begeisterung und die Präsentation der Rose gestaltete sie sphärisch-entrückt. Stilvoll löste sie auch die schauspielerischen Herausforderungen, die mit der Rolle einhergehen, denn weder im ersten noch im dritten Akt wirkte ihre Darstellung der vermeintlichen Kammerzofe allzu klamaukig.

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Erin Morley (Sophie) und Daniela Sindram (Octavian)
© Wiener Staatsoper GmbH | Michael Pöhn

Mit Erin Morley stand ebenfalls eine ideale Sophie an ihrer Seite auf der Bühne. Sie schaffte es mit ihrem Spiel, den Charakter von Klischees befreit mit Leben zu füllen, ohne dabei übertrieben zu wirken. Ebenso gut liegt ihr die Partie in der Kehle. Ihr glasklarer Sopran ist hell und strahlend timbriert, verfügt über mühelos schwebende Spitzentöne und bietet dennoch in der Mittellage die nötige Substanz, um nicht unterzugehen oder forciert zu klingen. Im finalen Duett verschmolzen die Stimmen von Morley und Sindram schließlich zu berückender Schönheit und für einen Augenblick schien es, als würde die Zeit tatsächlich etwas langsamer rieseln.

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Piotr Beczała (Sänger)
© Wiener Staatsoper GmbH | Michael Pöhn

Mit dem rundum glücklich machenden Quartett in den Hauptrollen konnte aus der Riege der kleinen Rolle nur Piotr Beczała als schmachtender italienischer Sänger mit genussvollen Legato-Bögen problemlos mithalten. Etwas angestrengt wirkte die Stimme von Jochen Schmeckenbecher als Herr von Faninal, darstellerisch lieferte er jedoch eine unterhaltsame Charakterstudie des Neureichen ab; stimmlich solide, aber dafür mit wenig komödiantischem Verve präsentierten sich hingegen Noa Beinart und Thomas Ebenstein als Annina respektive Valzacchi. Unter der Leitung des Musikdirektors Philippe Jordan wirkte das Staatsopernorchester den ganzen Abend über etwas zurückhaltend und reserviert, den Strauss’schen Klangrausch kosteten Dirigent und Orchester nie zu hundert Prozent aus. Weder im Vorspiel zum ersten Akt, noch bei der Präsentation der silbernen Rose oder im finalen Terzett glitzerte und flirrte der Klang; die Walzer waren für Wiener Verhältnisse etwas zu genau auf den Punkt und ließen die hauchzarte Verzögerung vermissen, die den melancholischen Charme erst ausmachen.


Die Vorstellung wurde vom Livestream der Wiener Staatsoper rezensiert.

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