Librettist Jacopo Ferretti hat dem Stoff nahezu alles Märchenhafte ausgetrieben. Weder gibt es Tauben, die dafür sorgen, dass die guten Linsen ins Töpfchen und die schlechten ins Kröpfchen kommen, noch senkt sich aus einem Baum ein kostbares Kleid herab, und auch das „Ruckedigu, Blut ist im Schuh“ fehlt. Ferretti hat eine Gesellschaftskomödie mit ernsten Untertönen geschrieben um ein Mädchen, das nach dem Tod ihrer Mutter im Haus des Stiefvaters und ihrer Stiefschwestern wie eine Magd gehalten wird. Und als solche brachte Regisseurin Brigitte Fassbaender sie auch 2015 auf die Bühne des Gärtnerplatztheaters. Die Wiederaufnahme wurde jetzt als Livestream gesendet und wird nach Aufnahme des Theaterbetriebs auf dem aktuellen Spielplan stehen.

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Anna-Katharina Tonauer (Angelina)
© Christian POGO Zach

Die Handlung ist im Hier und Heute angesiedelt, die finanzielle Misere des Hausherrn macht sie gleich während der Ouvertüre deutlich, indem sie ein paar Kaufinteressenten durch das Haus von Don Magnifico laufen lässt. Denen hätte man freilich schalldämpfende Schuhsohlen verpassen sollen; so wird die Ouvertüre durch allerlei Schrittgeräusche gestört. 

Die Regisseurin fand so manche kleinen Szeneneinfälle, die die Titelfigur lebensnah wirken lassen. So eilt Angelina geschäftig zwischen Buffet und Küchentisch hin und her, um den Frühstückstisch für ihre Stiefschwestern zu decken, und Anna-Katharina Tonauer macht das komödiantisch witzig und realistisch glaubhaft zugleich. Wenn die Schwestern nicht hinsehen, schüttet sie sich auch mal zwei zusätzliche Löffel Zucker in den Kaffee. Sie schläft im Küchenschrank und träumt mit der Zeitschrift Gala bei einem Foto von Prinz Harry – bei der Inszenierung 2015 noch unverheiratet. Ihre eitlen Schwestern steigen derweil aus grellbunten Kleiderschränken. Stiefvater Don Magnifico ist nicht nur ein eitler Pfau, sondern nähert sich seiner Stieftochter auch sadistisch mit Andeutungen sexueller Übergriffe.

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Cecilia Gaetani (Tisbe) und Frances Lucey (Clorinda)
© Christian POGO Zach

Doch neben solchen nachvollziehbaren Einfällen finden sich auch so manche Gags, die lediglich aufgesetzt sind. Die beiden Stiefschwestern sind eingebildete, eitle Modepüppchen, denen man nicht einmal abnimmt, dass sie soviel Substanz haben, ihre Stiefschwester zu kujonieren. Don Magnifico tanzt mit einer bunten Badenwannenente im Arm, wenn er ein Dekret diktiert, verwandelt sich die Bühne in ein Klassenzimmer, der Chor tritt allzu statuarisch auf, und nachvollziehbare Interaktion zwischen den Figuren findet kaum statt.

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Levente Páll (Don Magnifico)
© Christian POGO Zach

Ihre eigentliche Faszination und ihren wesentlichen Witz bezieht die Inszenierung aber aus einer Grundidee. Sie muss nämlich auf Märchenhaftes keineswegs verzichten. Wenn Dandini, Prinz Ramiros Diener, als Prinz verkleidet auftritt, um die Damenwelt für seinen Herrn zu sondieren, kommt er als der Märchenprinz schlechthin auf die Bühne, als Ludwig II., und hinter ihm erhebt sich als Bühnenprospekt Schloss Neuschwanstein – eine reizende Anspielung auf das Gärtnerplatztheater, für dessen Bau Ludwig verantwortlich war. Im Schlussakt ist die Bühne in caprihaftes Blau getaucht und verwandelt Don Magnificos Haus in die Venusgrotte von Ludwigs Schloss Linderhof. Da fehlt denn auch nicht der Geist Richard Wagners: Der Prinz rudert in einem Schwan über die Bühne, kurz erklingt das Hornmotiv aus Wagners Götterdämmerung, und La Cenerentola tritt am Ende als Sissi auf, wie sie in Luchino Viscontis Ludwigfilm von Romy Schneider verkörpert wurde.

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Anna-Katharina Tonauer (Angelina) und Levente Páll (Don Magnifico)
© Christian POGO Zach

So wird die Verkleidung von Ramiros Diener von vornherein als Theater decouvriert, nur die Akteure merken nichts davon. Daniel Gutmann spielt diese „Doppelrolle“ – Diener in Prinzenverkleidung – mit der nötigen Übertreibung und winkt als Ludwig hoheitsvoll, streut auch mal im Gesang Verzierungen à la Pavarotti ein. 

Einen wesentlichen Anteil an diesem Grundkonzept hat das Bühnenbild von Dietrich von Grebmer. Er hat gleich mehrere Bühnen ineinander verschachtelt und macht so deutlich, dass hier alles nur Spiel ist, und sei es in der Fantasie der Titelfigur, die sich in eine Prinzenhochzeit hineinträumt.

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Daniel Gutmann (Dandini)
© Christian POGO Zach

Gesanglich ist die neue Besetzung ein Fest, wobei vor allem Anna-Katharina Tonauer als Cenerentola in große Fußstapfen trat, denn bei der Premiere sang diese Rolle die grandiose Diana Haller, die bereits mit Mitte fünfundzwanzig Ensemblemitglied an der Oper Stuttgart geworden war. Und Rossini mutet in dieser Oper der Sängerin zu, ihre schwierigste Arie am Schluss nach drei Opernstunden zu singen – eine Herausforderung. Aber offenbar nicht für Anna-Katharina Tonauer. Sie absolvierte diesen Stimmparcours, als wäre es ein Spaziergang für die Stimmbänder, streut wie selbstverständlich die Koloraturen ein, meistert die riesigen Tonsprünge, verfügt über die nötige Tiefe, vor allem aber auch über eine strahlende Höhe.

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Gyula Rab (Don Ramiro) und Anna-Katharina Tonauer (Angelina)
© Christian POGO Zach

Spielfreude und und hohe Gesangskunst, vor allem für die Anforderungen, die Rossini an seine Sänger stellt, auch bei Gyula Rab, der für den Prinzen Ramiro die nötige leichte Tenorstimme zur Verfügung hat, mit der er die schwierigen Koloraturen und Spitzentöne meistert. Und Levente Páll ist eine Idealbesetzung für den komischen Bariton, der sogar die rasanten Zungenbrecher bewältigt, die solchen Figuren oft den typisch rossinihaften Witz verleihen.


Die Vorstellung wurde vom Livestream des Gärtnerplatztheaters rezensiert.

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