Hinter einer Waschmaschine auf einer verlassenen Tankstelle erwacht die Nixe Rusalka, der Wassermann ist halb Echse, halb Mensch und romantisch ist höchstens die Musik: Die Optik der Inszenierung von Antonín Dvořáks Oper am Staatstheater Braunschweig ist irgendwo zwischen Quentin-Tarantino-Film und Albtraum angesiedelt. Regisseur Dirk Schmeding erzählt den Abend über ein Schauermärchen von Menschen und Fabelwesen, die in einem deprimierenden Niemandsland aufeinandertreffen, versucht dabei aber nicht, die Handlung tiefenpsychologisch zu deuten oder sie in der realen Welt anzusiedeln. So stört es dann auch nicht weiter, dass manche Szenen logisch betrachtet wenig Sinn ergeben – etwa wenn der Prinz Rusalka in Gestalt eines Rehs überfährt, in der Videoeinspielung Blut auf die Windschutzscheibe spritzt, Rusalka aber einige Momente später völlig unverletzt unter seinem Oldtimer liegt oder wenn die fremde Fürstin einem Werbeplakat für Sonnencreme entsteigt. Dem todbringenden Kuss misstrauen ohnehin die meisten Regisseure und so muss auch in dieser Inszenierung eine handfestere Todesursache herhalten: Rusalka erstickt den Prinzen mit ihrem Brautschleier aus Plastik, bevor sie im Nebel verschwindet.

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Julie Adams (Rusalka)
© Thomas M. Jauk

Stilecht mit Nixenschwanz muss Julie Adams in der Titelrolle einen Großteil des ersten Akts am Boden herumrutschend absolvieren und so ganz schien sie sich dabei nicht wohlzufühlen, denn zu Beginn des Abends klang die Stimme vor allem in der Höhe fallweise schrill und allzu vibratolastig. Die Schönheit ihres silbrig timbrierten Soprans kam erst im zweiten und insbesondere im dritten Akt voll zur Geltung; hier kam man in den Genuss einer elegant geführten und in allen Lagen gut ansprechenden Stimme, die durch den Einsatz von nuancierten Klangfarben wahrhafte Emotionen vermittelte. Ebenso begeisterte der zweite Bewohner des Märchenreichs, der von Jisang Ryu verkörperte Wassermann, mit der differenzierten und durchdachten Gestaltung seiner Partie. Ryus Bass ist nicht nur herrlich sonor und ebenmäßig, sondern wurde auch klug eingesetzt – er agierte vokal mal zurückgenommen und in sich gekehrt, dann wieder offensiv und kraftvoll und gab so dem väterlichen wie auch dem bedrohlichen Aspekt der Figur eine vokale Entsprechung.

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Julie Adams (Rusalka) und Kwonsoo Jeon (Prinz)
© Thomas M. Jauk

Als Prinz blieb Kwonsoo Jeon zwar darstellerisch blass, dafür überzeugte er stimmlich fast auf ganzer Linie. Verschwenderisch setzte er seinen Tenor, den dunkles Timbre und strahlende Höhe auszeichnen, ein; die Stimme strömte üppig durch alle Klippen der Partie, lediglich den letzten Hauch an Feinschliff ließ er in seinem vokalen Überschwang manchmal vermissen. In ihrer Darstellung hinter den Möglichkeiten, die die Figur eigentlich bieten würde, blieb Edna Prochnik als Ježibaba und auch stimmlich ließ sie Wünsche offen, denn ihr Mezzosopran klang hauptsächlich angestrengt und forciert. Ekaterina Kudryavtseva in der Rolle der fremden Fürstin packte zwar alle ihr zur Verfügung stehenden vokalen Verführungstricks aus, hatte aber mit den tieferen Lagen der Partie zu kämpfen. Einen frisch klingenden, aufgeweckten Küchenjungen gab Milda Tubelytė und als Heger ließ Maximilian Krummen mit warm timbriertem Bariton aufhorchen.

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Ekaterina Kudryavtseva (Fremde Fürstin)
© Thomas M. Jauk

Das Staatsorchester Braunschweig schwelgte unter der Leitung von Srba Dinić in Dvořáks märchenhafter Klangsprache und verlieh dabei ebenso den düsteren, bedrohlichen Aspekten der Musik wie auch der lyrischen Verträumtheit Ausdruck. Die Tempi waren phasenweise auf der sehr langsamen Seite angesiedelt, etwa in der Szene der Ježibaba im ersten Akt, dennoch hielten die Musiker die innere Spannung hoch. Gleichermaßen delikat wie dramatisch ließ das Orchester die Welt der Fabelwesen und der Menschen aufeinanderprallen und gab so Einblick in die Seelenlandschaften der archetypischen Figuren.

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Kwonsoo Jeon (Prinz) und Julie Adams (Rusalka)
© Thomas M. Jauk

Um die Vorstellung der aktuellen Situation zum Trotz zur Aufführung bringen zu können, mussten einige Anpassungen bzw. Striche vorgenommen werden: Dass auf eine Fassung für reduziertes Orchester von Marián Lejava zurückgegriffen wurde, fiel nur in einigen wenigen Passagen ins Gewicht, in denen man dann doch den „Wumms“ eines vollen Orchesters vermisste. Auf den Chor musste coronabedingt ebenfalls verzichtet werden – zweifellos schade, aber verständlich. Völlig unverständlich blieb hingegen, warum die Szene der Waldnymphen (die von Jelena Banković, Isabel Stüber Malagamba und Zhenyi Hou im ersten Akt schönstimmig und spielfreudig verkörpert wurden) im dritten Akt gestrichen wurde – hier scheint wohl eher die Regie anstatt der Pandemie verantwortlich gewesen zu sein.

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