Altersängste Don Giovannis in Barcelona auf die Bühne gebracht

Xl_5056-009ca_bofill © A. Bofill

Teatro Liceu Barcelona

Don Giovanni

Musik von Wolfgang Amadeus Mozart
Aufzeichnung der Premiere vom 22.Oktober 2020,
gesehen am 09. März 2021 auf Opera Vision

Don Giovanni auf dem absteigenden Ast: beim versuchten Liebesspiel mit Donna Anna wird er vom Vater, dem Komtur, Sachwalter des Gesetzes, in flagranti gestellt. Er weiß sich nicht anders als durch dessen Ermordung der Bedrohung zu entziehen. Auch die anderen Verführungsversuche wollen nicht mehr gelingen. Später, bei der Konfrontation mit der Statue des von ihm gemordeten Komtur wird er von diesem steinernen Gast eingeladen und mit dem Tod konfrontiert. Er stellt sich der Begegnung und endet in der Höllenfahrt.

Mozart hat die 1787 für Prag geschriebene Oper mit dem Text von Lorenzo da Ponte in Zeiten großer gesellschaftlicher Umbrüche geschrieben. Die Macht der willkürlichen, gottgewollten Aristokratie wankt. Die Dynastien verblassen und die Französische Revolution ist nicht mehr weit. Das vernunftgetragene Bürgertum der neuen Zeit steht dem feudalen Don Giovanni gegenüber, dessen Verführungskraft und Ausstrahlung nicht mehr zu wirken scheint und ihn doch solange überdauern wird. Die Handlungen Don Giovannis wirken selbstzerstörerisch.

Der Regisseur Christof Loy bringt zusammen mit seinem Team Johannes Leiacker für das Bühnenbild sowie Ursula Renzenbrink für die Kostüme eine bereits vor einigen Jahren für die Oper Frankfurt entwickelte Don Giovanni-Inszenierung auf die Bühne des Opernhauses in Barcelona. Und Wunder: die Aufführung durfte unter den strengen Hygienebedingungen des Hauses auch stattfinden.  

Gerne zieht Loy bestimmte wichtige Botschaften zu seiner Werkinterpretation schon während der Ouvertüre gewissermaßen vor die Klammer. In dieser Produktion entwickelt sich gleich zu Beginn in einer Beleuchtung mit dunklen Blautönen, die fast über die gesamte Vorstellung durchgehalten wird, ein irrisierendes Verwirrspiel von Personen. Diese Szenen wirken wie die Traum- und Erinnerungswelten Don Giovannis. Dazu gehört auch der Zweikampf mit dem Komtur, der eine eigentümlich irreale Atmosphäre hat. Der Komtur, Don Giovanni wie auch andere Vertreter seiner gesellschaftlichen Gruppe treten nachgerade wie Doppelgänger ununterscheidbar in schwarzer Kleidung mit silbergrauem langen Haar auf.      

Loy entwickelt sodann die Handlung aus der Perspektive eines dramatisch alternden Titelhelden. Er erlebt seine Abenteuer mit seinem routinierten, ebenfalls ergrauten Diener Leporello, der ihm während der Champagnerarie den Bart von weiß-grau auf jugendlich-braun einfärbt. Schon im Finale des ersten Aktes tragen die Musikanten Totenmasken. Nach der Begegnung mit dem Komtur auf dem Friedhof geht Don Giovanni schließlich in eigener Todeserwartung sprichwörtlich am Stock. Es ist als ob beim alternden Don Giovanni seine auf die anderen Personen wirkende Energie verloren geht und er die Kontrolle über seine Handlungen zunehmend verliert. Bei der Höllenfahrt entwickelt sich eine kurze, aber hoch-virtuose Fechtszene (Fechtmeister: Thomas Ziesch) von acht jungen Männern, die wie die Geister aus Don Giovannis Vergangenheit wirken. Die Choreographie erinnert auch an die Fechtszene vor der Ermordung des Komturs durch Don Giovanni zu Beginn des Abends. Ganz gemäß dieser Philosophie der Interpretation wird der Abend ohne das versöhnliche Ende des lieto fine gespielt. 

Das Bühnenbild bildet verlassene und zerfallende Räume ab, wie in einem stillgelegten Empfangsraum eines alten, mindestens teilweise ausgemusterten, herrschaftlichen Hauses, oder anderen diffusen Plätzen des Übergangs.

Die minutiöse, feingliedrige Personenführung, die sämtliche großen Gesten zu vermeiden sucht, erlaubt insbesondere für die Frauen eindringliche Momente der Verletzlichkeit und Trauer, aber auch für den Titelhelden bewegende Darstellungen der Todesangst. Es entsteht - wie so oft bei Loy – ein ununterbrochener, nie nachlassender Spannungsbogen, der den Zuschauer in Bann hält. Man merkt den Sängerdarstellern an, dass es ihnen ebenso ergeht.

Gesungen und gespielt wird auf höchstem Niveau. Christopher Maltman meistert den Don Giovanni seit Jahren überzeugend als eine seiner Signature-Rollen. In exzellenter stimmlicher Verfassung zeichnet er sein düsteres Schicksal meisterhaft nach. Auch Véronique Gens als Donna Elvira und Miah Persson als Donna Anna sowie Luca Pisaroni als Leporello vertreten ihre Rollen seit längerer Zeit an vielen renommierten Opernhäusern weltweit mit überzeugender darstellerischer und gesanglicher Meisterschaft. 

Der junge polnische Bass Adam Palka als Komtur sowie der amerikanische Tenor Ben Bliss als Don Ottavio wissen vollumfänglich zu überzeugen. Bliss versteht in Loys zurückhaltender Personenführung der Rolle von Donna Annas Liebhaber eine besondere Aufwertung zu geben. Keine über-verfeinerten, künstlichen stimmlichen Ausformungen, kein pathetisches Händeringen lassen einen rundum überzeugenden Charakter entstehen.

Besonders liebenswert, weil in jeder Hinsicht noch unschuldig, bei ausdrucksstarkem, intensivem Spiel und Gesang präsentieren sich Leonor Bonilla als Zerlina und Josep-Ramon Olivé als Masetto. 

Chor (Leitung: Conxita Garcia) und Symphonieorchester des Liceu Opera Hauses Barcelona überzeugen durch durchsichtiges, feines Mozartspiel, welches der Dirigent Josep Pons bei überlegter Tempowahl und mit sicherer und routinierter Hand anleitet.

Der Applaus Im Teatro Liceu war lang und begeistert. Wie zu Zeiten ohne Corona.

Die Videowiedergabe gelang klanglich und optisch tadellos. Die Bildregie vermochte in sinnvoller Folge und angemessenem Format die Bühnenproduktion wiederzugeben. Die Aufführung kann noch bis 04. Juni 2021 kostenlos auf Opera Vision angeschaut werden.

Achim Dombrowski

Copyright: A. Bofill

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