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Zwitterpartie: „Schuberts Reise nach Atzenbrugg“ am Gärtnerplatztheater

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Mathias Hausmann, Mária Celeng, Daniel Prohaska, Johannes Thumser und Florine Schnitzel.
Landpartie – und letzte Reise? Szene aus Josef E. Köpplingers Inszenierung mit (v.li.) Mathias Hausmann, Mária Celeng, Daniel Prohaska, Johannes Thumser und Florine Schnitzel. © Christian Pogo Zach

Johanna Doderer und Peter Turrini schrieben eine Schubert-Oper fürs Gärtnerplatztheater. Eine riskante Angelegenheit mit zwiespältigem Ergebnis.

Warum der frühe Tod? Wie war eigentlich die Diagnose? Weshalb dieser Misserfolg zu Lebzeiten? Warum diese Wehmut, diese Melancholie, diese Selbstqualen im Werk? Alles Widerspiegelungen des verletzlichen, verletzten Meisters? Die These sei riskiert: Trotz kluger Musikhistoriker, trotz „Dreimäderlhaus“ und „Schwammerlkönig“ – diesem Schubert kommen wir nie auf die Schliche. Aber am Rätsel lässt sich’s schön und romantisch abarbeiten. Insofern steht diese Oper, als „Vorpremiere“ in Corona-bedingter Kammermusikfassung per Internet aus dem Gärtnerplatztheater übertragen, in schönster Franzl-Tradition.

Schon vor einem Jahr sollte „Schuberts Reise nach Atzenbrugg“ von Johanna Doderer auf einen Text Peter Turrinis uraufgeführt werden. Wer weiß, wann sich die Söders dieser Welt erweichen lassen: Man flüchtete sich wieder in den Stream und spielte vor eigener Belegschaft und geladener Presse.

Der Komponist als sprachlos verkorkst

An der Mini-Begebenheit einer Landpartie versuchen Doderer und Turrini, Schuberts unglückliches Liebesleben zu schildern. Der sprachlos Verkorkste, so meinen sie, musste sich über seine Musik erklären. Die lässt Doderer in ihrer Partitur wetterleuchten. Manchmal verfremdet und übermalt sie auch, zuweilen, das ist besonders mutig, wird direkt zitiert. Die „Wanderer-Fantasie“ ist dabei, die „Winterreise“, natürlich manch „Atzenbrugger Tanz“ oder auch, in einer sehr sonderbaren Vision des Antihelden, die Es-Dur-Messe. Da imaginiert er sich als Superman und überschreit das von den Gefährten gesungene Gloria mit „Josepha!“

Manchmal verdichtet sich das Geschehen zu Ariosem oder zu Duett-Momenten. Doderers kantige, herbe, assoziative, nicht unbedingt hyperpersönliche Klangsprache mit ihrer bohrenden Metrik hat keine Angst vor der Tonalität – und scheint ihr doch wie krampfhaft auszuweichen. Überhaupt wirken weite Teile des Neunzigminüters so, als fliehe das Stück wie verbissen vor einem drohenden Schubert-Musical: Wer weiß, wie das erst in voller Besetzung in Nach-Corona-Zeit tönt?

Das liegt auch daran, dass diese Atzenbrugg-Reise an einem Grundmissverständnis krankt – ausgelöst von Turrinis Libretto. Petitessen wie eine verschwundene Knoblauchwurst werden hochgejazzt und in der Partitur entsprechend aufgedröhnt. Dabei ließe sich doch Schuberts Wesen mit einer kleinen, filigranen, herzwehen Kammeroper womöglich viel besser erkunden.

Untote zwischen biedermeierlichem Volk

Josef E. Köpplinger, der regieführende Intendant, weiß, wo man bei dieser Vorlage ansetzen muss. Mit Ausstatter Rainer Sinell betont er noch das Surreale. Alles wird in eine Vision des Komponisten getrieben. Es gibt also reichlich Nebel, projizierte Wien- oder Natur-Zitate, eine Kutsche ohne Pferde, dafür mit Klavier und einem Kutscher, der wie ein stummer Freund Hein diese (letzte?) Reise befehligt. Kriegskrüppel aus napoleonischen Schlachten geistern als Untote durchs Bild. All das kontrastiert zum munteren, biedermeierlichen Landpartie-Volk, aus dem – so markant und souverän von Mathias Hausmann gesungen – Schubert-Freund Leopold Kupelwieser herausragt: Von dem hätte man gern mehr erfahren.

Überhaupt verlangt Johanna Doderer von ihren Sängerinnen und Sängern recht viel. Daniel Prohaska in der Titelrolle macht das Zerrissene, Verstockte plausibel, wird aber auch zu Grenzgängen getrieben. Alexandros Tsilogiannis (Franz von Tassié) hat hörbar und sichtlich Spaß am öligen Nebenbuhler. Mária Celeng ist im Spiel ganz feinliebende Josepha. Das raumfüllend Dramatische im Gesang steht dem entgegen – und ist irgendwie weiteres Symptom für dass Zwittrige und den Zwiespalt des Stücks.

Und trotzdem: Als gemeinsame Anstrengung eines Hauses mit einem Ensemble, das jede Figur sofort plastisch macht und das sich zwar als Volksoper begreift, jedoch immer wieder Uraufführungen riskiert, kann man sich vor der Produktion nur verneigen – gerade in diesen Zeiten. Am Ende ist der Titelheld kahlköpfig, entblößt und in seiner Verzweiflung allein. Ein von Köpplinger und seinem Protagonisten effektvoll ausgekosteter Moment. Und ein hemdaufreißendes Endspiel, in dem sich das Grundproblem des Stücks geradezu aufdrängt: Einen fein besaiteten Schubert hatten sich Johanna Doderer und Peter Turrini gedacht. Doch letztlich stricken sie an jenem Genie- und Denkmalkult, den sie hinter sich lassen wollten.

Internet-Aufzeichnung
unter www.gaertnerplatztheater.de bis 7. Mai, 23 Uhr.

Die Handlung:
Franz Schubert unternimmt mit Freunden eine Landpartie von Wien nach Atzenbrugg. Mit dabei ist unter anderem die von ihm angebetete Josepha. Auf Betreiben seines Gefährten Leopold Kupelwieser soll er ihr eine Liebeserklärung machen. Doch der Mann, der in seiner Musik so viel ausdrücken kann, schafft es nicht. Im Gegenzug scheint für die Damenwelt dieser in seiner Kunst so Vielsagende unerreichbar. Schubert, von Selbstzweifeln gepeinigt, bleibt einsam.

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