Diese Theatermutter ist ein Mann – und sie hegt teuflische Absichten

Das Internationale Opernstudio der Oper Zürich feiert sein 60-jähriges Bestehen: Nach einem Jahr mit Höhen und Tiefen blickt man bei der Jubiläumspremiere von Donizettis «Viva la mamma» jetzt wieder produktiv in die Zukunft.

Thomas Schacher
Drucken
Schräges Pärchen mit Allüren: Lina Dambrauskaité als Daria und Yuriy Hadzetskyy als ihr willfähriger Ehemann in «Viva la mamma».

Schräges Pärchen mit Allüren: Lina Dambrauskaité als Daria und Yuriy Hadzetskyy als ihr willfähriger Ehemann in «Viva la mamma».

Herwig Prammer / Opernhaus Zürich

Das Stück ist für die Truppe wie geschaffen: Es gibt darin neun Gesangsrollen, es herrscht umwerfende Komik, und der Inhalt bietet den jungen Sängerinnen und Sängern des Internationalen Opernstudios Zürich (IOS) reichlich Identifikationsmöglichkeiten. Die Delikatesse dabei: Donizettis Zweiakter «Viva la mamma», der gegenwärtig am Theater Winterthur in einer Koproduktion des Opernhauses mit dem Musikkollegium Winterthur gezeigt wird, handelt von einer Theaterprobe, bei der alles schiefgeht, was irgendwie schiefgehen kann.

Für die textliche Neueinrichtung des Stücks, das im Original etwas hölzern «Le convenienze ed inconvenienze teatrali» heisst, ist Stephan Teuwissen verantwortlich. Regie führt die Schweizerin Mélanie Huber, am Dirigentenpult steht Adrian Kelly, seit der Saison 2020/21 der musikalische Leiter des IOS. Für alle Beteiligten ist diese Komödie der sprichwörtliche Ernstfall, unter den besonderen Bedingungen unserer Zeit zumal; aber im Kern geht es genau um solche Herausforderungen bei einem Opernstudio.

Licht und Schatten

Das Zürcher Opernstudio feiert heuer sein 60-jähriges Bestehen. Gegründet wurde es 1961 von Herbert Graf, dem damaligen Intendanten des Opernhauses. Am IOS werden jährlich etwa 15 talentierte Sängerinnen und Sänger aus der ganzen Welt von professionellen Lehrkräften in den verschiedenen Disziplinen des Metiers ausgebildet und für den Aufstieg auf die «Bretter, die die Welt bedeuten» vorbereitet. Unter den ehemaligen Absolventen, die später grosse Karrieren gemacht haben, finden sich so klingende Namen wie Dame Gwyneth Jones, Javier Camarena und Benjamin Bernheim.

In jüngster Zeit hatte das Opernstudio jedoch auch mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Corona-Pandemie erschwerte den Lehrbetrieb und liess die IOS-Produktion des vergangenen Jahres platzen. Einzig die Konzert-Streaming-Reihe «Curtain Call» konnte im Dezember realisiert werden.

Zudem wurde im Januar 2021 bekannt, dass der Zürcher Operndirektor Michael Fichtenholz, dem auch Adrian Kelly unterstellt ist, das Opernhaus per Ende Saison verlässt. Auf eigenen Wunsch, wie es heisst. Vorangegangen waren dem Vorwürfe des Machtmissbrauchs gegen Fichtenholz. Mehrere anonym bleibende Quellen haben die Vorwürfe mittlerweile via SRF konkretisiert. Laut diesen soll es um körperliche Übergriffe auf Untergebene im Umfeld des Opernstudios gegangen sein. Eine abschliessende Klärung steht aus.

Alternative zum Klamauk

Auf sehr viel erfreulichere und spielerische Weise dreht sich auch Donizettis Musikkomödie um Macht und Ohnmacht im Theaterbetrieb. Deren Erstfassung entstand 1827 als Parodie auf die damaligen Zustände am Teatro Nuovo in Neapel. Ein Impresario, ein komponierender Dirigent, ein Textdichter und diverse Möchtegern-Stars zerstreiten sich derart, dass die Aufführung des geprobten Stücks «Romulus und Ersilia» abgesagt werden muss.

Für einen Regisseur liegt es auf der Hand, dieses Stück als deftige Klamauk-Kiste zu inszenieren. So tat es Martin Kušej vor zehn Jahren auf der grossen Bühne des Zürcher Opernhauses, als er das gesamte Bühnenpersonal im Irrenhaus landen liess. Mélanie Huber hingegen sucht eine Alternative zur gängigen Klamauk-Schiene und zeigt, durchaus mit Erfolg, neben den komischen auch ernsthafte Züge des Stücks. Dabei kommt ihr die Neufassung von Teuwissen sehr entgegen: In der Sprechrolle des Gaetano tritt der vom Tod gezeichnete Donizetti selber auf und ringt um die Fertigstellung seiner Oper. Gaetanos Widerpart, die intrigante Theatermutter Mamma Agata, wird von der Regisseurin als Teufel in Frauenkleidern dargestellt. So bekommt der Schluss des Stücks eine neue Deutung: Es ist zu Ende, weil der Teufel dem Alter Ego des Komponisten keinen Aufschub mehr gewährt.

Die jungen Talente des Opernstudios rücken ihre Fähigkeiten ins beste Licht. Andrew Moore besticht mit einer voluminösen Baritonstimme und realisiert die «Rockrolle» der Mamma Agata – ein rares Gegenstück zur viel geläufigeren Travestie der Hosenrolle – in ihrer ganzen Doppelbödigkeit. Reines Opernvergnügen bereitet auch die Rivalität zwischen der Prima und der Seconda Donna. Lina Dambrauskaité als Daria mit ihrem einnehmenden Koloratursopran und den zur Schau gestellten Divenallüren hat wirklich das Rüstzeug zu einer erfolgreichen Karriere. Siena Licht Miller als Luigia mimt nicht nur die Beleidigte, sondern punktet, als sie endlich ihre traurige Arie singen darf, mit emotionalem Ausdruck.

Fake-Ouvertüre

Eine urkomische Darstellung gibt Yuriy Hadzetskyy als Ehemann der Primadonna, der die Ansprüche seiner Gattin mit allen Mitteln unterstützt. Luca Bernard, der den Heldentenor Guglielmo als Deutscher gibt, könnte den Liebhaber noch etwas leidenschaftlicher spielen. Glänzend besetzt ist die Sprechrolle von Gaetano: Fritz Fenne, den man als ehemaliges Ensemblemitglied am Schauspielhaus Zürich kennt, verleiht dem locker gefügten Stück Zusammenhang und Sinn.

Nicht nur auf der textlichen, auch auf der musikalischen Ebene erlaubt sich die IOS-Neuproduktion von «Viva la mamma» substanzielle Eingriffe. Zu Beginn erklingt eine Ouvertüre im Donizetti-Stil, die allerdings von dem zeitgenössischen Komponisten Sebastian Androne-Nakanishi stammt. Die eingefügte Rolle Gaetanos erlaubt zudem die Verwendung von Arien aus anderen Opern Donizettis, was den Bedürfnissen einer Talentshow natürlich entgegenkommt. Von der musikalischen Substanz her reicht das Gelegenheitswerk des jungen Donizetti, der tatsächlich über einer geplanten Neufassung starb, noch nicht an seine grossen Komödien heran. Aber durchaus originell sind die häufigen, oft parodistischen Bezüge auf Rossini.

Der Gipfel wird hier erreicht, wenn Mamma Agata Desdemonas todtrauriges Lied von der Weide aus Rossinis «Otello» singt – auf einen völlig absurden Text. Da weiss man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Adrian Kelly führt die Sängerschar und das Musikkollegium Winterthur etwas nüchtern, aber mit sicherer Hand durch die Klippen der Partitur.

Mehr von Thomas Schacher (tsr)