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Meinung Salzburger Festspiele

Bartoli hier, Bartoli da

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Salzburg ist nicht Rom, aber fast: Cecilia Bartoli wirbt für ihre Festspiele Salzburg ist nicht Rom, aber fast: Cecilia Bartoli wirbt für ihre Festspiele
Salzburg ist nicht Rom, aber fast: Cecilia Bartoli wirbt für ihre Festspiele
Quelle: © Decca / Ferdinando Scianna
Mit dem Abklingen der Pandemie hat die Stadt Salzburg kurzerhand ihre Pfingstfestspiele erfunden. Cecilia Bartoli ist nicht nur die Intendantin. Sie singt auch selbst. Eine Oper, ein Oratorium, ein Konzert und einen jungen Hirten – in nur 36 Stunden.

Menschen, dicht gedrängt einkaufend wie eisschleckend auf Salzburgs Straßen, volle Außenschankflächen vor den Restaurants, erwartungsfrohe Besucher am Landestheater-Eingang. Die Galerie Ropac stellt Baselitz aus, in der Hofstallgasse flattern die Festspielfahnen, von einem Plakat schaut Pfingstintendantin Cecilia Bartoli als Priester gekleidet auf ihr „Roma Aeterna“ herab, das ein wenig selbstredend auch das ehemalige, aber immer noch standesbewusste Fürsterzbistum diesseits der Alpen meint.

Doch nein, es ist auch in der als Turbotouristententakel ausgebremsten Mozartmetropole nur das neue Corona-Normal der mal wieder sinkenden Inzidenz bei steigender Bevölkerungsdurchimpfung. Und in Österreich kommt noch hinzu, dass man mit dem landesweiten Hochfahren den Ausländeransturm ankurbeln will. Wobei einem die etwa zwanzigköpfige Inderfamilie im blütenprunkenden Mirabellgarten wie eine Virusvarianten-Fata Morgana dünkt. Aber leben die womöglich in Europa?

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So wie die Stimmung ändert sich auch das Wetter zwischen blitzblankstrahlend und regenwolkenverhangenkühl. Es ist ein ständiges Auf und Ab der Emotionen, und nicht nur, weil die in Windeseile öffnenden Pfingstfestspiele nach der Absage im ersten Corona-Jahr 2020 den fast schon liveentwöhnten Musikenthusiasten nun die Barocknoten als Wechselbad der Operngefühle um die Ohren hauen.

Wenn man denn drin ist, im Haus für Mozart. Ohne die drei Gs, getestet, geimpft oder genesen, plus Ausweis und personalisiertem Ticket geht gar nichts. Jeder Rucksack wird durchleuchtet, Koffer sind verboten. Die Angst vor dem Terror ist durch die vor Covid angereichert worden.

Neben dem Pfingstrosenbouquet steht der Desinfektionsspender, hinter der Tür zum Karl-Böhm-Pausensaal ist eine Impfstraße eingerichtet. Menschen versuchen sich unter FFP2-Masken, die nicht abgenommen werden dürfen, zu erkennen, bevor sie sich im Schachbrettmuster im höchstens halbvollen Saal niederlassen.

Cecilia Bartoli (schwarz) und Mélissa Petit (blond) in Händels „Il trionfo del Tempo e del Disinganno“
Cecilia Bartoli (schwarz) und Mélissa Petit (blond) in Händels „Il trionfo del Tempo e del Disinganno“
Quelle: © SF / Monika Rittershaus

Immerhin, 48 Stunden sind Schnelltests in Österreich gültig, in festspielbezirknahen Stationen überwacht die Feuerwehr das selbstgedrehte Nasenbohrwerk. Wirklich fix geht das, nur anmelden muss man sich, besonders für den Samstag, wenn die Altstadt mit Shoppingwilligen vollläuft wie in alten Zeiten. Doch mit Test kommt man rein.

Ein schnarrige Lautsprecherstimme begrüßt die zu 50 Prozent Sitzzahl Zugelassenen mit einem „Danke, dass Sie den Anweisungen des Einlasspersonals Folge geleistet haben.“ Eine Pause gibt es nicht, auch keine Gastronomie, vorher wie hinterher. Bei einem Vorstellungsende um 21.15 Uhr haben auch draußen viele Lokale bereits Zapfenstreich, um 22 Uhr ist Sperrstunde. Immerhin lässt sich eine schnelle Erdäpfelsuppe ergattern. Dann ist da ja noch der Würstelstand an der Linzergasse. Es darf allerdings geklatscht werden, lang und viel. Denn die gekommen sind, sie lieben ihre Cecilia Bartoli, Hauptattraktion und Directrice der in normalen Jahren enorm erfolgreichen Pfingstfestspiele seit 2012 – und mindestens noch bis 2026. In zwei Jahren übernimmt sie zudem die Intendanz der Opéra de Monte-Carlo.

Diva reloaded

Auch Salzburg ist ein Kernschmelzpunkt ihrer Neuerfindung der Diva als Barocksängerin mit kleiner Stimme, die sich rar macht. Denn hier wird alles auf sie zurechtbesetzt, das Programm, die Regisseure, das selbst gegründete Orchester Les Musiciens du Prince-Monaco unter dem willfährigen Gianluca Capuano, sowie die inzwischen weitgehend ähnlich alten Sänger wie sie, oder jüngere, die keinerlei Gefährlichkeit ausstrahlen.

Die Zeit, die wird am Ende auch die Schönheit in ihre Schranken verweisen, sie entsagt dem wilden Party-, Sex- und Drogenleben, hat eine Psychotherapie hinter sich und geht ganz allein aus dem nackten Bühnenraum hinaus in die Salzburger Schnürlregennacht.

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So endet Robert Carsens zunächst Castingshow-neonbunte, am Ende kahle Inszenierung von Georg Friedrich Händels frühem Oratorium „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ zu dem ein römischer Kardinal das stark frömmelnde Libretto geschrieben hat. Bei diesen Pfingstfestspielen ist also das Feiern auf der Bühne, das eben erst wieder begonnen hat, sehr schnell schon vorbei; aber nur bei diesem moralischen Memento-Mori-Auftakt.

Cecilia Bartoli, im valentinoroten Hosenanzug und mit Kurzhaarperücke zwischen Heidi Klum und Angela Merkel, ist in dieser allegorischen Handlung Piacere – das Vergnügen – als puschende Agentin-Domina. Die treibt ihre Topmodel-Gewinnerin Bellezza (mit vibratoreichem Sopran: Melissa Petit) in die Ausschweifungen, die sich Robert Carsen so unterhaltsam bunt wie glatt ausgedacht hat und die das Publikum schließlich wieder einmal selbst in den Spiegel blicken lässt.

Falscher Mozart

Die 55-jährige Bartoli, die die eigentlich für einen Kastraten geschriebene Partie schon konzertant und 2004 szenisch gesungen hat, also gegen sich selbst antritt, ist natürlich immer noch Herrin ihrer Vokalmittel. Und sie weiß: Koloraturen kommen am besten gestoßen und geknallt, auch wenn inzwischen die Kehlkopfmechanik hörbar mitklappert. Sehr gut aber kann sie nach wie vor das Langsame, Innige, obwohl sie es bisweilen zu manieriertem Melodiekaugummi dehnt.

Bei Händel geht das, weil man das schöne Werk kaum kennt, und der Star mit „Lascia la spina“ die herrlichste Abräumarie für sich selbst reserviert hat. Zeit und Erkenntnis, der als Priester ausstaffierte Tenor Charles Workman und der Countertenor Lawrence Zazzo, müssen sich hingegen als Best Ager mit stumpferen Vokalmitteln doch deutlich auf ihre gute Technik verlassen.

Deutlicher falsch gewählt ist am Folgeabend der klassizistische Sturm-und-Drang-Jüngling Sesto in Mozarts in Rom spielender Seria-Oper „La Clemenza di Tito“, die vor mit historischen Kulissenveduten prunkenden LED-Wänden gegeben wird. Der, den die Bartoli seltsamerweise nie auf der Bühne gesungen hat, ist ein viel zu spätes Debüt, den sie sich mit seltsamen Tempi und gequetschten Verzierungen zurechtlegt, da tönt die Stimme ältlich und einfach nicht mehr richtig.

Auch Charles Workman als Titus rutschen die Rouladen weg, und Anna Prohaska tut sich mit dem Fachwechsel zur intriganten Drama Queen Vitellia keinen Gefallen. Fast jeder hohe Ton macht da Not – nicht ideal. Die schönste Stimme ist offenbar Lea Desandre als mit nur zwei Arien bedachter Annio. Sie ist Salzburgs aktuelle „Così“-Despina und überall Cherubino vom „Figaro“-Dienst; sicher bald ein gesuchter Sesto.

Besondere Entdeckungen sind bei den Pfingstfestspielen immer die frühbarocken italienischen Oratorien. Das ist 2021 nicht anders mit dem freilich für Venedig komponierten „Primo Omicidio“ des Römers Alessandro Scarlatti. Die dramatisch zugespitzte Geschichte vom ersten Menschenmord Kains an Abel bot 1707 für die beiden Brüder Kastraten auf.

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Diesmal sind gleich vier Countertenöre dabei: Der Star Philippe Jaroussky dirigiert aber nur, auch er wird nicht jünger, stellt an der Spitze seines Ensembles Artaserse glänzend seine Begabung auch auf diesem Gebiet unter Beweis. Kain, die eigentliche Hauptrolle, ist mal wütend, mal büßend der charaktervolle Filippo Mineccia. Der viel zu früh tote Abel wird mit himmlischen Spitzen von dem Sopranisten Bruno de Sá als Engelknabe geflötet. Auch Gott ist ein Counter, Paul-Antoine Bénos-Djian heißt er. Und der Teufel wird mit höllischem Bassfeuer von dem ehemaligen Tänzer Yannis François im Reptilienprintanzug auch optisch überzeugend abgeliefert.

Die vielfache Cecilia: Bartoli in Salzburg
Die vielfache Cecilia: Bartoli in Salzburg
Quelle: © SF / Monika Rittershaus

Besetzungsausfälle gab es bei den Engländern, die wegen der aktuellen Quarantäneregeln nicht kommen konnten, kein John Eliot Gardiner und kein Bryn Terfel also. Für den Dirigenten sprang einmal mehr die Bartoli mit einem Barockarienprogramm ein. So sang sie in 36 Stunden eine Oper, ein Oratorium und das Konzert mit neun wieder meist langsamen Arien und vielen Kleiderwechseln. Taffe Chefin!

Als Scarpia in der ebenfalls in Rom spielenden konzertanten „Tosca“ zum Festspielfinale war jetzt Luca Salsi dabei, leider nur ein vokal vollmundiger, aber braver Buchhalter des Bösen. Weil aber auch Anja Harteros mal wieder die Absagendiva herausgekehrt hatte, gab es die seltene Gelegenheit, neben dem sich verlässlich steigernden Jonas Kaufmann als lässigen Maler Cavaradossi ganz unverhofft Anna Netrebko als Tosca zu erleben. Und die sang, lebte und bebte die ganz große Primadonna: tolle Töne, tolle Show mit zwei glitzergitterverzierten Roben, einmal rosaschwarz und einmal grauschillernd.

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Im Sitzen dirigierte der 85-jährige Zubin Mehta edelroutiniert und bedächtig das ihm bestens vertraute Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino samt Chor. Ob diese, in herzhafter Zweitklassigkeit auch in einem Mendelssohn/Respighi-Konzert an der Seite des Geigers Maxim Vengerov zu erleben, in Zeiten des Klimawandels noch reisenötig sind, wird sich künftig auch der Klassikbetrieb fragen müssen.

Und natürlich gab es auch jetzt ein paar Sekunden la Bartoli: In Trachtenlederhosen sang sie Anfang des dritten Aktes, beim Tagesanbruch über der Engelsburg, den Hirten; so wie als Zehnjährige bei ihrem Bühnendebüt. Und so leuchteten über diesen besonderen, zu 99,5 Prozent ausverkauften Pfingstfestspielen als neuerlichem Öffnungssymbol der Kultur nicht nur die Puccini-, sondern auch die Cecilia-Sterne.

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