Klassentreffen im dunklen Wald: Im Musical "Into the Woods" treffen Aschenputtel, Rotkäppchen, Rapunzel und noch ein paar andere Märchenfiguren aufeinander. Zu sehen derzeit an der Volksoper.

Foto: Volksoper

Die Wiener Bühnen im Lockdown: Das war wie ein Füllhorn mit Darmverschluss. Nichts ging mehr. Vor zehn Tagen hat sich die große Verstopfung aufgelöst, alles flutscht wieder. Premierenserien ergießen sich über das Publikum wie ein Konfettiregen. Auch an der Wiener Volksoper treibt man es bunt: Man zeigt das Märchenmusical Into the Woods.

Der dunkle Wald, das ist der Ort der Triebe, der Gefahr und des Abenteuers. In den dunklen Wald müssen sich in Sondheims Musical Aschenputtel, Rotkäppchen, Rapunzel und noch ein paar andere Märchenfiguren wagen, um ihre Wünsche erfüllt zu bekommen. Librettist James Lapine erzählt nämlich im ersten Akt mit sitcomartigem Witz und Tempo gleich vier Märchen parallel (und noch ein fünftes, verbindendes, gratis mit dazu). Schon im kleinen Finale vor der Pause ist alles schubidu und trallala. Und wenn sie nicht gestorben sind …?

Rachsüchtige Riesin

Sie sterben aber doch. Eine rachsüchtige Riesin trampelt durch die heile Märchenwelt. Aber schon vorher machen Aschenbrödel und Co einen Crashkurs. Thema: der Tod märchenhaften Glücks durch das desillusionierende Gift des Alltags. Etwas ist aber nicht totzukriegen: die Wünsche, das Antriebsmittel des Sehnsuchtsvehikels Mensch. Und mit etwas Teamwork gelingen die kleinen und großen Wunscherfüllungen gleich viel besser. Die Riesin wird gemeinsam erschlagen, es darf ein zweites Mal gejubelt werden.

Wurde es auch. Die Stargäste Bettina Mönch (Hexe) und Drew Sarich (als Wolf sexier denn als Prinz) machten ihren Job super und hauten lange Powertöne raus, die sich wie goldstrahlende Brücken in eine verheißungsvolle Zukunft wölbten. Herzensgut gab Julia Koci die Frau des Bäckers, deren Kinderwunsch das Schlamassel auslöst. Fein: das Aschenputtel von Laura Friedrich Tejero, lieb Oliver Liebls Kuhfreund Hans, aufgedreht Juliette Khalils Rotkäppchen. Die Kostüme von Lena Weikhard sind ein Traum, das Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann befriedigte leider nur ganz kurz: Bei der Defloration Rotkäppchens durch den Wolf tut sich plötzlich ein Blumenmeer auf. Zwei Minuten, 20.000 Euro (geschätzt).

Gesamteindruck? So mittel

Abgesehen davon war das Ganze eher dröge. Und der Gesamteindruck der Inszenierung von Olivier Tambosi und Simon Eichenberger? So mittel. Wenn man sich im Netz die Broadway-Originalproduktion anschaut, sieht man, wie viel besser die Amerikaner Pointen setzen und Dialoge können. Into the Woods musste pandemiebedingt verschoben werden, weswegen Wolfram-Maria Märtig die Premiere leitete. Die Partitur ist anspruchsvoll, es gibt einige schwierige Ensembles. Und das Orchester ist mit einem guten Dutzend Musiker schlank besetzt. Aber Märtig ließ am Donnerstagabend nur wenig Wünsche offen. (Stefan Ender, 29.5.2021)