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Foto: Monika Rittershaus.
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Bereits abgestanden – Premiere des „‚Zigeuner‘-Barons“ an der Komischen Oper Berlin

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„Diskurs-Operette“ nennt Tobias Kratzer, der Regisseur der im Vorjahr als erste Reprise in Bayreuth ausgefallenen Bayreuther Neuinszenierung des „Tannhäuser", Johann Strauß‘ Operette „Der Zigeunerbaron“. Mit ihr wurde an der Komischen Oper Berlin deren im Oktober vergangenen Jahres unterbrochene Premierenreigen fortgesetzt:

Als „die längst geprobte Inszenierung in der Geschichte Europas“ klassifiziert Hausherr Barrie Kosky die Inszenierung von Thomas Kratzer, die als „‚Zigeuner‘-Baron“ nach acht Monaten Probezeit endlich Premiere vor Publikum feiern durfte.

Jener Satz, der im Theaterbetrieb vor Generalproben häufig zu hören ist, „Ja, wenn wir eine Woche mehr Probenzeit gehabt hätten!“ trifft in diesem Fall wirklich nicht zu. Die Inszenierung von Tobias Kratzer wirkt nicht überprobiert, sondern leider bereits abgestanden.

„Das C-Wort“ so Barrie Kosky, werde von ihm nicht ausgesprochen, aber die Konzeption dieser Operette, mit dem Orchester auf der Hinterbühne und breiten, ins Publikum führenden Stufen, sei vom Regisseur a priori so geplant gewesen, inklusive dem auf 100 Minuten verkürzten Ablauf.

Der szenischen Umsetzung der Operette auf ein Libretto von Ignatz Schnitzer gilt der Fragestellung der Komischen Oper Berlin: „Kann man ein Stück, bei dem schon der Titel Unbehagen bereitet, überhaupt noch spielen? Oder sollte man zumindest den Titel ändern?“ Dem Haus an der Behrenstraße ist zu attestieren, dass sich dessen Leitung viel Mühe gibt, textlich und politisch korrekt zu sein, etwa durch eine die jüngste Operetten-Produktion ergänzende Podiumsdiskussion mit Sinti und Roma als Matinee am kommenden Sonntag.

Gleichwohl erscheint die Diskussion über die in Strauß‘ Komposition musikalisch überaus sympathisch gezeichneten ungarischen Zigeuner müßig. Letztlich helfen auch die Anführungszeichen vor und nach dem „Z-Wort“ nicht, und manch Einer würde angesichts aktueller Gender-Entwicklungen womöglich den Titel dieser Operette noch mehr verändert wissen wollen, zu einem „‘Zigeuner‘*innen-Baron“. Doch sind Gendersternchen und Anführungszeichen innerhalb eines Wortes auch auf der Bühne schwer auszusprechen.

Selbstredend ist der Auftritt dieser Volksgruppe in Johann Strauß‘ Operette ein Klischee. Die Operette arbeitet nun mal mit allerlei Klischees und auch mit Diskriminierungen, was zu Folge haben müsste, entweder die ganze Kunstform abschaffen und die zugehörigen Theater zu schließen – oder doch jeweils das Beste daraus zu machen.

Dies wollte wohl auch Tobias Kratzer mit seiner Bearbeitung, in der Graf Peter Homonay zum Rahmen-Husaren und -Erzähler umfunktioniert ist. Der Zigeunerschnitzel („Das Zigeuner-Schnitzel wollen Sie mir auch noch nehmen!“) und Schellack-Platten liebende Reaktionär initiiert durch sein Auflegen einer 78-er-Schallplatte den Einsatz des Orchesters, rezitiert dann die einleitende Szenenbeschreibung als Melodram und zerbricht am Ende des Abends den historischen Tonträger als Dokument einer unwiderruflich vergangenen Epoche.

Der Einsatz der Stilmittel auf der (diesmal merklich schlecht beleuchteten) Einheitsbühne von Rainer Sellmaier erweist sich als fragwürdig. Wenig überzeugen einige auf die Bühne gestellte Accessoires, wie eine Möbelgruppe oder heutige Campingzelte als Übernachtungsquartiere der Zigeuner*innen und als Liebeslagerstätte des von der Natur getrauten Liebespaares Sándor Barinkay und Saffi.

Das Auftrittslied des Schweinezüchters Zsupán erklingt nicht live; statt dessen wird eine Leinwand heruntergelassen, auf der ein Schwarzweiß-Tonfilm den Schweinezüchter Zsupán als Potentaten eines Fleischherstellungs-Konzerns zeichnet (Video: Manuel Braun).

Dirigent Stefan Soltesz ist ein trefflicher Sachwalter, der die opernhaften Elemente dieser Partitur ebenso auslotet wie deren chansonartige Elemente. Die Partitur aus dem Jahre 1885, inklusive der vom Komponisten selbst nach der Uraufführung vorgenommenen Überarbeitungen (Finales zwei und drei) hat er mit dem Orchester der Komischen Oper nahtlos im Griff. Im Spiel lässt sich Soltesz von einem Sänger auf den Rücken schlagen, zieht selbst eine Parade-Uniform an und führt später die als Militärblasmusik kostümierten Bläser des Orchesters als Prozession durch die Reihen der Streicher.

In der pausenlosen Fassung entfallen zwangsläufig eine Reihe von Kompositionen – wie die Nummern 10 bis 12 und 13 a bis 14 a –, darunter auch der Frauenchor-Ohrwurm „Hochzeitskuchen, bitte zu versuchen!“ (Nr. 5b).

Der Chor singt Backstage und kommt nur zum Applaus auf die Bühne; dort wird er im Spiel vertreten durch vierzehn jugendliche Komparsen, die in schwarzen Anzügen die Zigeuner*innen und in schlecht sitzenden K&K-Uniformen die Soldateska mimen. 

Ein Trio von Trompete, Violine und Klavier begleitet das Couplet Nr.15 der Zigarren rauchenden Damen Arsena, Mirabella und Czipra, später ergänzt um Homonay, und die Nummer 12 a erklingt gar als eine alte, knisternde Schallplatteneinspielung, zu der die Solisten partiell mitsingen und die Komparsen laut „Ja!“ rufen.

Peter Konwitschny hatte seine Dresdener Inszenierung der „Csardasfürstin“ auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs angesiedelt, und auch andere Regisseure hatten die Heimkehr der Soldaten aus dem Krieg in der Strauß-Operette sehr viel drastischer gezeichnet, als sie hier zu erleben ist.

Ausschließlich der im Krieg nach seiner Jagd auf Frauen und deren Reichtümer offenbar irrsinnig gewordene Zsupán darf nun endlich auch einmal eine Nummer singen und dabei die Wirkung des Unsympathen auf die Spitze treiben. Hier wäre ein Rücklauf der Filmprojektion seines Auftrittsliedes denkbar gewesen, um so den Bogenschlag von Gemetzeln im Schlachthaus zu den Schlachten der Kriege zu bilden, analog einem Wort von Leo Tolstoi, es werde erst dann keine Kriege mehr geben, wenn keine Schlachthäuser mehr existieren würden.

Der heimkehrende Titelgeber, Sándor Barinkay, operiert zum Beweis seiner Alleskönnerschaft mit einer Voodoo-Puppe und schießt auf einen Blumentopf auf dem Balkon seines Nachbarn: das ist die linke Proszeniumsloge im ersten Rang, an welche später Arsenas Liebhaber Ottokar eine Leiter zum Fensterln anlegen wird. Mit selbiger Leiter erklimmt dann auch Barinkay die mittlere Säule jener drei Bögen vor dem Orchester, die das Orchester vom Bühnenraum trennen; mit einem Hammerschlag gegen den Korpus des archaischen Säulenheiligen löst er den Goldregen im Schatz-Terzett Nr. 9 aus.

Thomas Blondelle als Barinkay ist ein exzellent aussehender, schön und textverständlich singender lyrischer Tenor mit dramatischem Einschlag, dem nur leider (noch) die Kraft für Spitzentöne fehlt. Dominik Köninger, als querulantischer Graf Peter Homonay, in dessen Funktion auch die in dieser Fassung gestrichene Partie des Sittenkommissars Conte Carnero eingeflossen ist, verbleibt diesmal, trotz ständiger Bühnenpräsenz, vergleichsweise blass. Unterfordert erscheinen auch Philipp Meierhöfer als Ekelpaket Kálmán Zsupán und Alma Sadé als Zsupáns kurzsichtige Tochter Arsena. Julian Habermann gefällt als deren Liebhaber Ottokar, der seiner Angebeteten mit einem „Goldpfeil“-Füller sein Konterfei auf den Arm malt. Katharina von Bülow als Ziehmutter der Saffi vermag in der Beliebigkeit jenseits des von den Autoren angedachten Profils der alten Zigeunerin Czipra wenig Profil zu gewinnen, leichter hat es da die Erzieherin der Arsena, Helene Schneiderman als alte Mirabella. Unter den Damen ragt unangefochten Mika Wagner hervor: ihre stimmgewaltige Saffi mit ihren Plädoyers für das Zigeunerleben bleibt als Erlebnis dieses Abends im Sinn.

Der aus persönlichen Gründen nicht anwesende Regisseur wurde beim Applaus durch seine Mitarbeiter vertreten; es gab zwar keine Buhs, aber auch wenig Begeisterung.

Das Ende des Premierenabends bildete wieder Barrie Kosky – um seinen alljährlichen Flipper-Preis an Mitglieder des nichtkünstlerischen Personals zu verleihen. Je einen goldenen Flipper erhielten die in der Zeit beinahe täglicher Um-Planungen besonders gestresste Chef-Disponentin Saskia Lintzen und der als szenischer Produktionsleiter angestellte, aber in den vergangenen Monaten hauptsächlich mit Tests und der Umsetzung von Hygieneregeln beschäftigte Sebastian Ukena.

  • Weitere Aufführungen: 26., 28. Juni und 1. Juli 2021. 

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